Energiekrise:Scholz: "Kein einziger Bürger wird alleingelassen"

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Spielraum vorhanden: Bundeskanzler Scholz sieht Möglichkeiten, wie diejenigen entlastet werden können, die von Steuersenkungen nicht profitieren. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Der Kanzler schwört die Deutschen auf schwere Zeiten und höhere Preise ein. Helfen soll ein Schutzschirm für Bedürftige. Und selbst längere Atomlaufzeiten sind nun offenbar kein Tabu mehr.

Von Markus Balser, Berlin

Schon die eilige Einladung zur Pressekonferenz machte am Freitag die Dramatik der Lage klar: Kanzler Olaf Scholz wollte eigentlich in den Bergen um seinen Urlaubsort Nesselwang wandern. Doch in Berlin spitzte sich die Notlage um die Energie- und Gasversorgung des Landes derart zu, dass er seinen Allgäu-Urlaub kurzerhand abbrach. Statt im blauen Wanderdress kündigte der SPD-Politiker angesichts drohender neuer Preisschübe in Anzug und Krawatte im Kanzleramt neue Entlastungen für die Deutschen an: "You'll never walk alone - kein einziger Bürger wird alleingelassen", sagte Scholz.

Die vom Ukraine-Krieg ausgelöste Krise auf dem Weltmarkt wird den Deutschen über längere Zeit höhere Energiepreise abverlangen. Davon ist man in der Machtzentrale des Landes längst überzeugt. Und dazu führt auch eine Rettungsaktion der Regierung. Sie übernahm am Freitag bei einer der größten Rettungsaktionen in Deutschland überhaupt 30 Prozent des strauchelnden Gasversorgers Uniper und stockte die Finanzhilfen für den Konzern auf insgesamt 15 Milliarden Euro auf. Zum Rettungspaket gehört auch, dass Uniper spätestens von Oktober an höhere Gaspreise an die Kunden weiterreichen darf. Das werde für Verbraucher spürbar sein, warnte Scholz. Für Familien bezifferte er die Mehrkosten auf 200 bis 300 Euro pro Jahr. Fachleute rechnen damit, dass sich die Abschlagszahlungen für die Gasheizung im Extremfall verdreifachen können.

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Es ist eine nie dagewesene Rettung: Der Staat steigt mit bis zu 30 Prozent als Aktionär bei dem schwer angeschlagenen Energiekonzern Uniper ein und gibt weitere Kredite. Klar ist schon jetzt: Für die Kunden wird es teurer.

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Der Versorger war wegen der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland in finanzielle Schieflage geraten. Denn er muss zu hohen Preisen Gas zukaufen, konnte die Preise aber bislang nicht an die Kunden weitergeben. Geplant ist nun ein befristeter Staatseinstieg. Bessert sich die Lage, könnte der Staat - wie schon bei der Lufthansa-Rettung in der Corona-Krise - von einer Erholung des Unternehmens beim Ausstieg finanziell profitieren.

Auf die brisante Lage für Verbraucher will die Bundesregierung vor allem mit Hilfen für sozial Schwache reagieren. Etwa mit einer großen Wohngeldreform. Der Kreis der Empfänger soll wachsen, sie sollen zudem einen dauerhaften Heizkostenzuschuss bekommen. Nach dem Vorbild in der Corona-Pandemie werden Menschen, die in der Krise Mieten, Strom oder Heizrechnungen nicht zahlen können, vor Kündigung geschützt. Geplant sind auch Hilfen für Studenten. Um die Entlastungen zu erleichtern, soll das geplante Bürgergeld, das Hartz IV ablösen soll, nun sicher zum 1. Januar 2023 starten. Über dessen künftige Höhe streitet die Koalition allerdings noch immer. Die FDP lehnt eine Erhöhung der Regelsätze über den Inflationsausgleich hinaus bislang ab.

Zusätzliche Hilfspakete sollen von Herbst an folgen

Dass der Staat so langsam an Grenzen stößt, macht eine andere Entscheidung klar. Denn zwei für Millionen Deutsche spürbare Hilfen laufen nun sicher Ende August aus: das Neun-Euro-Ticket im Nahverkehr und der Tankrabatt für Autofahrer. Beides sei als befristete Maßnahme vereinbart worden, sagte Scholz. Verkehrsbetriebe hatten noch am Freitag für Anschlussangebote geworben, damit die Passagiere im Nahverkehr "nicht in ein Loch fallen". Aus Regierungskreisen verlautete aber, die monatlichen Ausgaben von fast einer Milliarde Euro für das Rabattticket wolle der Bund nicht weiter schultern.

Zusätzliche Hilfspakete sollen dann von Herbst an folgen. Bei den beiden bisherigen Entlastungspaketen mit einem Gesamtvolumen von 30 Milliarden Euro werde es nicht bleiben, kündigte Scholz an. Mitte September würden Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften über weitere Schritte beraten.

Der Kanzler schwor die Deutschen zudem bei seinem Auftritt auf anhaltend schwere Zeiten ein und deutete an, dass Russland seine Rohstofflieferungen in den nächsten Monaten weiter für politische Erpressungsversuche nutzen könnte. Man könne sich auf russische Zusagen nicht mehr verlassen, warnte der Kanzler. "Wir wissen, es wird nicht sicherer, als es jetzt ist." Deshalb beschaffe die Bundesregierung im Eiltempo Alternativen wie LNG-Terminals für Flüssiggas-Importe und lasse Kohlekraftwerke wieder anfahren. Russland liefert zwar seit Donnerstag wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1. Allerdings bleibt es bei stark gedrosselten Gasströmen.

Auch in die Debatte um eine befristete Laufzeitverlängerung für einzelne Atomkraftwerke kommt Bewegung. Kanzler Olaf Scholz schloss diese am Freitag nicht mehr aus. Wirtschaftsminister Robert Habeck habe für die Sicherheit des Strommarkts "eine verschärfte Worst-Case-Szenario-Rechnung in Auftrag gegeben. Die gucken wir uns mal an", antwortete Scholz auf die Frage, ob eine befristete Laufzeitverlängerung in Einzelfällen möglich sei. Zuletzt hatte er solche Forderungen noch strikt zurückgewiesen. In München wollen SPD und Grüne einem Weiterbetrieb des Reaktors Isar 2, der eigentlich Ende des Jahres abgeschaltet werden soll, für sechs Monate zustimmen, um Stromengpässe im Winter zu verhindern.

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