Einladung an türkischen Präsidenten:Erdoğan soll ruhig kommen

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Die Deutschen sind auf Erdoğan nicht gut zu sprechen. Dennoch ist es richtig, dass der türkische Präsident nach Deutschland kommt. (Foto: AP)

Der türkische Präsident kerkert Kritiker ein und unterstellt den Deutschen Nazi-Praktiken. Doch es ist richtig, dass der Bundespräsident ihn zum Staatsbesuch einlädt. Wer sollte sonst mit ihm Tacheles reden?

Kommentar von Detlef Esslinger

Wer darf nach Deutschland zu einem Staatsbesuch kommen? Wer also darf die Bundeswehr abschreiten, ein Staatsbankett bekommen und einen Kranz niederlegen? Gäbe es zu so etwas eine Meinungsumfrage, das Ergebnis wäre klar: die Queen? Immer. Der schwedische König und seine Frau, die geborene Sommerlath? Dito. Barack Obama? Jeden Monat einmal, auch als Ehemaliger. Erdoğan?

Es gibt wenige Menschen, die in Deutschland eine solche breite Empörung auslösen wie der türkische Präsident. Er hat in seinem Land Zehntausende Beamte, Wissenschaftler und Journalisten um ihre Existenz und sehr viele auch um ihre Freiheit gebracht. Er hält immer noch deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen gefangen. Bei seinen Verhaftungen von deutschen Journalisten und Geschäftsleuten nährte er den Eindruck, sie als Geiseln zu benutzen - um die Auslieferung angeblicher Putschisten zu erpressen.

Angespannte Beziehungen
:Erdoğan kommt offenbar bald nach Deutschland

Bundespräsident Steinmeier hat eine "Einladung allgemeiner Art" an den türkischen Präsidenten ausgesprochen.

Er nannte Deutschland das wichtigste Aufnahmeland für Terroristen, er verwies die Bundeswehr faktisch seines Landes, eines Nato-Mitglieds, er hielt nach all dem die Feststellung für angebracht: "Deutschland, ihr habt keine Vorstellung von Demokratie. Eure Praktiken machen keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken." Und selbstverständlich nutzte er die Causa Özil, um Deutsche und Türken gegeneinander auszuspielen. Sollte so jemand sich nicht ganz weit hinten anstellen müssen, bevor er hierher zum Staatsbesuch kommen darf; sehr gerne auch hinter, nur als Beispiel, den Präsidenten von Surinam und den Komoren?

Gut möglich, dass Frank-Walter Steinmeier, der Privatmann, dies ähnlich sieht; aber so ist das nun mal in jedem Job: Man muss auch mit Menschen reden, die man bei sich daheim im Wohnzimmer eher nicht haben will. Also hat Steinmeier, der Bundespräsident, den Herrscher aus Ankara eingeladen. Die führenden Politiker Deutschlands und der Türkei haben ja gar keine Alternative, als miteinander im Gespräch zu bleiben. Dafür sind die beiden Länder miteinander viel zu sehr verflochten. Nichts würde besser, manches würde schwieriger, beschlösse man, einander verbittert aus dem Weg zu gehen.

Das Format eines Staatsbesuchs war dabei vermutlich nicht zu verhindern: Erdoğan, der oft genug gezeigt hat, dass ihm die Ehre anderer wenig bedeutet, ist überaus ehrkäsig, wenn es um ihn selbst geht. Würde man versuchen, jemanden, der ein Staatsbankett verlangte, auf ein paar Gespräche plus warmes Mittagessen herunterzuhandeln - man hätte die Einladung auch gleich bleiben lassen können.

An diesem Staatsbesuch wird das Land keinen Schaden nehmen; so wenig wie an jenem des Chinesen Xi Jinping, der all das Zeremoniell vor genau einem Jahr bekam und der sich von Erdoğan doch vor allem in zwei Punkten unterscheidet: dass seine Diktatur viel ausgereifter ist und er es deshalb nicht nötig hat, durch Pöbeln um Aufmerksamkeit zu heischen. Man kann es doch auch so sehen: Innerhalb weniger Stunden haben unter anderem der Bundespräsident, die Kanzlerin, der Bundestagspräsident und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Gelegenheit, dem Mann Dinge zu sagen, die ihm zu Hause wahrscheinlich längst keiner mehr sagt. Wenn es dazu das klingende Spiel eines Stabsmusikkorps braucht: warum nicht?

© SZ vom 31.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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