Ein Jahr Regierung Obama:Unerfüllte Hoffnungen

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Steigende Arbeitslosenzahl, stockende Gesundheitsreform: Nach dem ersten Amtsjahr kann Präsident Obama nur wenige Erfolge vorweisen. Eine Zwischenbilanz der SZ-Korrespondenten.

Neuanfänge in der Außenpolitik

Für seinen politischen Mut im Ausland ist Präsident Barack Obama bisher nicht belohnt worden. (Foto: Foto: AFP)

Bei seinem Amtsantritt signalisierte Barack Obama eine Wende in der US-Außenpolitik in dreierlei Hinsicht. Erstens ein Bekenntnis zum Multilateralismus: Die Interessen der USA wolle er im Zweifel nicht auf eigene Faust durchsetzen, sondern im internationalen Konzert. Zweitens die Offenheit für Gespräche: Die USA suchen den Dialog auch mit den Mächten wie Iran, die ihnen offen feindselig gesonnen sind. Drittens die Bereitschaft zum Engagement: Seine Regierung werde sich auf die Probleme einlassen, etwa im Nahen Osten oder in Afghanistan. Sein Vorgänger George W. Bush hatte da vieles schleifen lassen.

Weltweit wurden Obamas Ankündigungen geradezu enthusiastisch begrüßt. Indes, wo man auch hinschaut: Für seinen Mut zum Neuanfang ist Obama bisher nicht wirklich belohnt worden. Die Europäer hat er vor allem in seinen ersten Monaten im Amt massiv umworben.

Doch ihre Unterstützung - politisch wie materiell - hält sich in engen Grenzen. Die Chinesen hat er umschmeichelt. Sie lassen ihn auflaufen. Er hat auf die Raketenabwehr in Polen und Tschechien verzichtet. Bisher haben sich die Russen dafür nicht sonderlich erkenntlich gezeigt.

Im Nahen Osten bewies Obama politischen Mut, als er Israels Siedlungspolitik öffentlich missbilligte. Gebracht hat es ihm nichts: Die Fronten sind verhärtet wie eh. Vor allem hat seine Gesprächsbereitschaft gegenüber Nordkorea und Iran keine greifbaren Ergebnisse gebracht. Nordkorea spielt weiter Katz und Maus. Iran treibt sein Atomprogramm weiter voran.

Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich Obamas Bilanz als nicht so schlecht: Zweifellos hat er das internationale Ansehen der USA gestärkt. Das wird ihm helfen, etwa wenn es um Sanktionen gegen Iran geht. Zudem dürfte bald ein neues Abkommen mit Russland zur weiteren Reduzierung der strategischen Atomwaffen ausgehandelt sein. Das wäre ein beachtlicher Erfolg.

Als Kandidat reüssierte Barack Obama, weil er 2002 gegen "den dummen Krieg" im Irak gewettert hatte. Im ersten Jahr als amerikanischer Oberbefehlshabers jedoch hat er sich - in Wort und Tat - selbst den Mantel eines Kriegspräsidenten umgelegt.

Weltreisender: Länder, die Obama seit Beginn seiner Präsidentschaft besucht hat. (Foto: Zum Vergrößern auf die Graphik klicken. SZ-Graphik)

Exakt 443 US-Soldaten sind seit dem 20. Januar 2009 unter dem Kommando des 44. US-Präsidenten gefallen. Gestorben wird inzwischen vor allem am Hindukusch, in Obamas "notwendigem Krieg": Gut 32.000 Heeressoldaten und Marine-Infanteristen waren dort vor einem Jahr stationiert, im Sommer 2010 sollen es 100.000 sein.

Die Eskalation in Afghanistan verkündete Obama in einer Rede im Dezember vor Kadetten der Militärakademie in West Point, und an vielen Stellen seiner Rede ließ er die Skrupel und Zweifel anklingen, die ihn zuvor wochenlang hatten zaudern lassen. Deshalb - und als Geste an seine längst kriegsmüden Parteifreunde im Kongress - stellte er beim Aufmarsch bereits vage einen Abzug in Aussicht: "Nach 18 Monaten werden die Truppen beginnen, nach Hause zu kommen." Sein Glaubensbekenntnis als Kriegspräsident reichte Obama dann neun Tage später in Oslo nach.

Ausgerechnet zur Verleihung des Friedensnobelpreises präsentierte er einen weitgehend selbstverfassten Diskurs über das Böse auf Erden - "Ich stelle mich der Welt, wie sie ist" - und dem daraus folgenden Sachzwang, bisweilen das Gute mit Gewalt zu erzwingen: "Das Instrument des Krieges spielt eine Rolle, um den Frieden zu sichern." Als er das Terrornetzwerk al-Qaida mit den Nazis assoziierte, klang er wie sein Vorgänger George W. Bush, der Saddam Hussein mit Adolf Hitler verglich.

Im Irak hat Amerikas Abzug begonnen. Es geht langsamer als geplant nach Hause, noch immer stehen 100.000 GIs in der Wüste. Derweil wuchern die Herausforderungen: Der an Weihnachten gescheiterte Anschlag des Unterhosenbombers rückte Jemen als neue Front ins Blickfeld.

Schafft er's - oder scheitert er doch noch auf der Zielgeraden? Barack Obama weiß selbst nicht, ob ihm die Gesundheitsreform - erklärtermaßen das bisher wichtigste Projekt seiner Amtszeit - gelingen wird. Alles hängt an einer Stimme im Senat: Geht ein Demokrat von der Fahne, ergattern die Republikaner die 41. Gegenstimme im Oberhaus, hätten sie (per Filibuster) die Blockademacht, "ObamaCare" zu vernichten - und Obamas Regentschaft ein wahres Waterloo zu bereiten.

Im Juli hatte Jim DeMint, Amerikas konservativster Senator, genau diesen Schlachtplan vorgegeben: Man könne "Obama zerbrechen", wenn es denn irgendwie gelinge, die von den Demokraten seit Jahrzehnten vergeblich angestrebte Gesundheitsreform zu stoppen. Und das Weiße Haus tat allerlei, um die eigene Sache zunächst zu schwächen. Ständig wechselten die Gründe für die Mega-Reform. Mal war es die drohende Kostenexplosion im eh schon überteuerten US-Gesundheitswesen, dann wieder stand das soziale Elend im Vordergrund, das 46 Millionen Amerikaner ohne Versicherungsschutz drohe.

Obama führte nicht, und im Sommer verlor er endgültig die Kontrolle: Da entlud sich in chaotischen Bürgerversammlungen der Volkszorn, da wuchs eine stramm-rechte Bürgerbewegung heran, die seither gegen alles protestiert, was irgendwie von oben und vor allem von Obama kommt.

Politisch weitaus fataler für das Weiße Haus ist, dass die Regierung im Kampf um die Gesundheitsreform den Rückhalt vieler unabhängiger Wähler verlor. Laut allen Umfragen lehnt Amerikas Mitte mittlerweile "ObamaCare" eindeutig ab. Mit einer späten, dann aber großen Rede vor dem Kongress gelang es dem Präsidenten zwar, seine eigenen Parteifreunde im September wieder auf Kurs zu bringen. Aber die Hoffnung, in Washington eine neue Kultur überparteilicher Zusammenarbeit zu etablieren, hat sich endgültig zerschlagen.

Gut sieht es nicht aus für Barack Obamas Klimaschutzpläne daheim in den USA. Zwar hatte das Repräsentantenhaus im Frühsommer ein Emissionshandelsgesetz verabschiedet. Doch der Senat kam nicht hinterher. Das Hickhack um die Gesundheitsreform nahm alle Kapazitäten in Anspruch. Obama konnte nicht, wie ursprünglich gehofft, zum Klimagipfel in Kopenhagen mit einem konkreten Angebot für einen verminderten Schadstoffausstoß der USA fahren.

Deshalb hatte das Weiße Haus sehr schnell seine Strategie umgekehrt: Eine Vereinbarung in Kopenhagen sollte nun den Senat dazu bewegen, endlich ein Gesetz zu verabschieden, damit die USA den - freilich rechtlich unverbindlichen - internationalen Verabredungen zum Klimaschutz nachkommen können.

Seit dem Herbst liegt dem Senat sogar ein entsprechender Gesetzentwurf vor. Ihn hatte unter anderem der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, John Kerry, eingebracht. Er sieht eine Reduzierung des US-Schadstoffausstoßes von 20 Prozent vor - auf der Basis der Emissionen von 2005. Das ist gemessen an den europäischen Zielen eher läppisch; für die USA wäre es indes ein Riesenschritt.

Inzwischen sieht es aber so aus, als wollten die Demokraten im Senat das Gesetz vollends auf die lange Bank schieben. Im Wahljahr dürfte es schwierig werden, eine Mehrheit der Senatoren für den Emissionshandel zu gewinnen. Bei den Republikanern ist das ohnehin schwierig. Doch selbst eine ganze Reihe von demokratischen Senatoren ist vom Hauptargument der Obama-Administration für einen ökologischen Umbau der amerikanischen Wirtschaft ebenso wenig überzeugt wie die amerikanische Öffentlichkeit.

Der Einstieg in alternative Energien, so hatte der Präsident noch kurz vor Weihnachten zu Protokoll gegeben, "wird einer der Hauptmotoren sein, die auf Jahrzehnte hin das Wirtschaftswachstum antreiben".

Für viele Amerikaner ist es mehr als ein Gefühl, es ist Gewissheit: Die Wall Street regiert Washington. Der Staat hat die Großbanken gerettet, einfache Bürger überlässt er ihrem Schicksal. Nichts belastet Barack Obama so schwer wie der Anschein, ein Kompagnon der Hochfinanz zu sein. Dabei geht der Präsident in seinen Reden mit den Bankern hart ins Gericht, macht ihre Gier für die Krise verantwortlich und beschimpft sie als lernresistente Bonzen.

Doch die Wut hat sich bisher nicht in Gesetzen niedergeschlagen. Die Finanzreform, die Obama im Juni auf den Weg gebracht hat, steckt im Senat fest. Das Weiße Haus will die Macht der Zentralbank stärken, sie zu einem Superregulierer ausbauen. Es will ein Insolvenzverfahren für Großkonzerne einrichten, deren Pleite das ganze Finanzsystem gefährdet. Und es will eine Verbraucherschutzbehörde schaffen, die über die Zulassung neuer Verschuldungsinstrumente richten soll. Was Obama davon durchsetzt, ist völlig unklar.

Und die Wall Street? Sie hat die Krise überwunden und zockt wie in Boomzeiten. Die Bonuszahlungen für 2009 dürften sich auf 140 Milliarden Dollar summieren - mehr als je zuvor. Der Einmischung von Obamas Gehaltsaufseher Kenneth Feinberg haben sich die Großbanken durch die Rückzahlung der Staatshilfen entledigt. Vor diesem Hintergrund ist die Sondersteuer für Finanzkonzerne zu verstehen, die Obama vergangene Woche ankündigte. Sie ist ein politisches Manöver, mit dem der Präsident zeigen will, dass er die Machtprobe mit der Wall Street für sich entscheiden wird.

Doch das Kernproblem seiner Administration bleibt: Obama hat sich mit Leuten umgeben, die im Ruch stehen, vor allem der Finanzindustrie zu dienen. Sein Wirtschaftsberater Larry Summers verkörpert die Verflechtung zwischen Washington und der Wall Street wie kein Zweiter.

Am Anfang gab es nur ein Thema: den Kampf gegen die Wirtschaftskrise. Als Barack Obama vereidigt wurde, verloren die USA 600.000 Jobs pro Monat. Der Präsident investierte sein politisches Kapital in ein Konjunkturprogramm. 787 Milliarden Dollar sollten den Absturz stoppen. Doch die Rendite blieb bescheiden.

Zwar ist die Wirtschaft stabilisiert, aber der Arbeitsmarkt erholt sich nicht. Mehr als 15 Millionen Amerikaner haben keinen Job. Die Arbeitslosenquote liegt mit zehn Prozent deutlich über der Höchstmarke von acht Prozent, die Obama einst voraussagte.

In Washington tobt ein Streit darüber, warum das Programm nicht seine erhoffte Wirkung entfaltete. Liberale Wissenschaftler meinen, Obama habe nicht genug Geld ausgegeben. Der konservative Konter, Staatseingriffe seien grundsätzlich Ressourcenverschwendung, ist von Ökonomen nur noch selten zu hören. Dafür umso öfter von republikanischen Politikern.

Vor Jahresende legte die Regierung ein zweites Konjunkturprogramm auf, um den Arbeitsmarkt endlich in Gang zu bringen. Sollte der Senat zustimmen, werden weitere 150 Milliarden Dollar in Infrastrukturprojekte, die Förderung erneuerbarer Energien und die Stärkung des sozialen Netzes fließen. Doch die Mehrausgaben spülten auch neues Wasser auf die Mühlen der Opposition, die Obama als Schuldenkönig verteufelt.

In der Tat: Das Haushaltsdefizit ist so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Doch das Wiedererstarken der Republikaner, die im Herbst 2008 vernichtend geschlagen waren, erklärt sich nicht mit einem Blick ins Budget. Erst die Versäumnisse des Präsidenten machen die Renaissance der Rechten verständlich.

Seiner pragmatischen Politik fehlt der Überbau, eine Erzählung, die sie begreiflich macht. Obamas Lässigkeit, sein größter Trumpf im Wahlkampf, lässt ihn distanziert, abgehoben, ja emotionslos erscheinen, wenn er mit sozialer Not konfrontiert ist.

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