Edward Snowden vs. NSA:Erbitterter Kampf um den eigenen Ruf

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Der NSA-Whistleblower Edward Snowden als virtueller Gast bei der Tech-Konferenz SXSW in Austin im März 2014 - im Hintergrund sind die ersten Zeilen der US-Verfassung zu lesen. (Foto: Bloomberg)

Er habe sich bei der NSA über deren Ausspähpraktiken beschwert, sagt Edward Snowden. Weil niemand reagierte, ging er an die Öffentlichkeit. Der Geheimdienst widerspricht. Kurz vor dem ersten Jahrestag der Snowden-Enthüllungen kämpfen alle Beteiligten um die Deutungshoheit.

Von Matthias Kolb

Die Frage, ob, wie oft und auf welchem Wege Edward Snowden seine Kritik an den Methoden der National Security Agency (NSA) geäußert hat, mag nebensächlich wirken. Für die Zukunft von Edward Snowden und seine öffentliche Wahrnehmung in den USA ist sie aber entscheidend. Mit entsprechend harten Bandagen kämpfen alle Beteiligten eine Woche vor dem ersten Jahrestag der Enthüllungen am 6. Juni um die Deutungshoheit in dieser Frage.

So veröffentlichte der Nachrichtendienst NSA erstmals eine E-Mail, die Snowden im April 2013 an die Rechtsabteilung der Behörde geschickt habe. Darin ( hier das Original als PDF) bittet er um eine einfache juristische Einschätzung. Angeblich ist dies die einzige Nachricht, welche die NSA finden konnte, in der sich Snowden an seine Vorgesetzten oder andere Mitarbeiter gewandt habe. Von Beschwerden finde sich keine Spur, heißt es.

Dem widerspricht Snowden in einer E-Mail an die Washington Post vehement. "Die Veröffentlichung der NSA ist unvollständig", schreibt der 30-Jährige, der sich im Exil in Moskau aufhält. Snowden beharrt darauf, dass er seine Bedenken "sowohl verbal als auch in schriftlicher Form, bei verschiedenen Anlässen" geäußert habe. Über diese Beschwerden gegenüber seinen Vorgesetzten und Kollegen - sowohl in der NSA-Zentrale in Fort Meade als auch auf Hawaii - sprach Snowden auch ausführlich in seinem ersten TV-Interview mit NBC News:

In seinem Schreiben an die Washington Post teilt Snowden mit, er begrüße es, dass die NSA nun immerhin eine E-Mail gefunden habe: "Ich bin froh, dass sie [die NSA] nun Zugang zu jenen Unterlagen gefunden haben, von denen sie vor Monaten noch gesagt haben, dass diese gar nicht existieren." Er hoffe, dass der Rest sehr bald publiziert werde.

Snowden, dessen russisches Visum am 1. August abläuft, will zurück in die USA - aber nicht um jeden Preis. Er sagte dem NBC-Moderator Brian Williams am Mittwoch, dass er sich nichts mehr wünsche, als "nach Hause" zurückzukehren. Allerdings zweifle er daran, dass ein Prozess gegen ihn in den USA frei und fair verlaufen werde. "Ich will gewiss keine Willkommensparade, aber ich will auch nicht direkt in eine Gefängniszelle wandern", sagte er wörtlich.

Diese Sorge ist mehr als begründet: Keine andere US-Regierung geht härter gegen Whistleblower vor als jene des Verfassungsjuristen Barack Obama. Seit seinem Amtsantritt 2009 wurden mehr Verfahren gegen Enthüller eingeleitet als unter allen 43 US-Präsidenten vor ihm. Als Grundlage dient zumeist der Espionage Act aus dem Jahr 1917, ein umstrittenes Gesetz gegen Geheimnisverrat ( Hintergründe in diesem SZ-Text). So war es auch im Fall des Wikileaks-Informanten Bradley (heute Chelsea) Manning - auch Snowden ist auf dieser Basis wegen Landesverrats angeklagt.

Das harte Vorgehen gegen Whistleblower wird von der Obama-Regierung damit gerechtfertigt, dass die Beamten und Mitarbeiter auf dem internen Dienstweg ja alle Möglichkeiten hätten, sich zu beschweren und Änderungen herbeizuführen. Dieser Weg sei gestärkt worden. Als Präsidentschaftskandidat hatte Obama 2008 die Wistleblower noch in höchsten Tönen gelobt: "Wir müssen Mitarbeiter von Regierungsbehörden zu Wachhunden gegen Rechtsverletzungen und zu unseren Partnern für größere Effizienz machen." Bereits in jenem Guardian-Interview, in dem Snowden seine Identität preisgab, sagte er Glenn Greenwald und Laura Poitras: "Je mehr ich darüber gesprochen habe, desto stärker wurde ich ignoriert."

Um zu zeigen, dass das System der internen Kritik jedoch in der Realität kaum funktioniere, führt Snowden in seiner E-Mail an die Washington Post folgendes Beispiel an: Selbst den beiden US-Senatoren Ron Wyden und Mark Udall, die seit langem die NSA-Praktiken als überzogen und als Missbrauch ansehen, habe jede Möglichkeit gefehlt, auf internem Wege eine Veränderung herbeizuführen.

Dass er Gesetze gebrochen habe, leugnet Snowden nicht. Es liege nun aber vor allem an der amerikanischen Öffentlichkeit und an den Politikern, ob eine Art Amnestie oder Strafverzicht möglich sei. US-Justizminister Eric Holder hatte hier im Januar eine gewisse Flexibilität angedeutet - und für die laufende Debatte wird es nun darauf ankommen, ob immer mehr Amerikaner Snowden glauben, dass seine Flucht von Hawaii nach Hongkong nur die letzte Option war. Der Washington Post hatte der 30-Jährige Whistleblower im Dezember gesagt, dass er im Oktober 2012 begonnen habe, seine Kritik über die Ausspähpraktiken der NSA zu äußern.

In seinem soeben erschienen Buch "Die globale Überwachung" schreibt Glenn Greenwald, dass Snowdens Bedenken bereits 2010 zunahmen. Er zitiert ihn auf Seite 69 wie folgt:

Sein Bedürfnis, die Verpflichtung, öffentlich zu machen, was er beobachtete, wurde immer drängender. 'Je länger ich bei der NSA in Japan war, desto sicherer wusste ich, dass ich das alles nicht für mich behalten konnte. Dass es wirklich falsch wäre, die Allgemeinheit darüber in Unkenntnis zu lassen."

Kritiker des jungen Whistleblowers wie die einflussreiche demokratische Senatorin Dianne Feinstein werfen ihm hingegen vor, dass er seine Enthüllungen langfristig geplant habe - oder zumindest zweigleisig fuhr. In einem Statement zu der nun von der NSA veröffentlichten E-Mail weist Feinstein, die Chefin des Geheimdienstausschusses, darauf hin, dass Snowden Anfang 2013 eine schlechter bezahlte Stelle bei dem Dienstleister Booz Allen Hamilton angenommen habe, weil er in dieser Funktion Zugang zu noch mehr Dokumenten hatte, die er herunterladen wollte. Dies hat der 30-Jährige nie bestritten.

Für viele Amerikaner ist der junge IT-Spezialist entweder ein "Held", der aus Überzeugung ein privilegiertes Leben auf Hawaii aufgegeben hat; andere sehen ihn als "Verräter", der die Sicherheit der USA gefährde und womöglich als Spion mit Russland und China kooperiere. Obwohl es für letztere Diffamierungen keine Belege gibt, werden sie in US-Sicherheitskreisen ständig angebracht.

Welches Urteil sich die Mehrheit der Amerikaner über Edward Snowden bilden wird, hängt auch davon ab, welche Seite ihre Argumente am besten belegen kann. Ob der NSA zu glauben ist, wenn angeblich keinerlei E-Mails zwischen Snowden und seinen Vorgesetzten gespeichert wurden, hängt wohl sehr von der persönlichen Meinung eines jeden über die Arbeit dieses Geheimdiensts ab.

Allerdings dürfte es nicht verwundern, wenn Edward Snowden irgendwann diese Konversationen veröffentlichen würde. Wer Greenwalds Buch gelesen hat ( hier die Kritik aus der SZ), der weiß, wie genau der Ex-Spion alles geplant hat. Es erscheint kaum vorstellbar, dass er keine Kopien dieser Schriftwechsel angefertigt hat.

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