Greenwald-Buch über Snowden:Fürchtet euch doch!

Greenwald testifies before a Brazilian Congressional committee on NSA's surveillance programs, in Brasilia

Glenn Greenwald vor einem Ausschuss des brasilianischen Parlaments, der sich mit der NSA-Abhöraffäre beschäftigt.

(Foto: REUTERS)

Zwischen Agententhriller und Analyse: Dem US-Journalisten Glenn Greenwald ist ein furioses Buch über die NSA-Enthüllungen gelungen, die er für Edward Snowden aufschrieb - und das ganz ohne neue Sensationen. Dafür begreift man nun das ganze Ausmaß des Wahnsinns.

Von Andrian Kreye

Es gibt im Reporterberuf einen Fieberzustand, der sich einstellt, wenn aus einem Hinweis, einer Idee, einem Bauchgefühl eine Spur wird. Wenn dann hinter der ersten Entdeckung ganze Kaskaden neuer Erkenntnisse auftauchen. Eine Geschichte. Ein Drama. Das ist unwiderstehlich, aber es gibt nur wenige Autoren, die das beschrieben haben. Warum auch - es spielt in der Regel für Leser keine Rolle, wie Geschichten entstehen. Der amerikanische Journalist Glenn Greenwald tut es trotzdem. Aus gutem Grund.

Im ersten Kapitel seines Buches "Die globale Überwachung" (auf Deutsch bei Droemer) erzählt er, wie er gemeinsam mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras von New York nach Hongkong fliegt, um zum ersten Mal den geflüchteten Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden zu treffen. Im Flieger sichtet er die Datensätze, die Snowden an Poitras übermittelt hat, und es dämmert ihm, welches Ausmaß diese Enthüllungen haben werden.

Zwischen Agententhriller und Internet-Analyse

Was im Vorwort nüchtern mit einer Einführung in die Geschichte der Überwachung und des Internets beginnt, gewinnt in diesem Kapitel massiv an Schub. Das ist wichtig, denn die Geschichte über Edward Snowden und seine Enthüllungen über die globale Überwachung durch die NSA spielt an der Schnittstelle zwischen einem der aufregendsten und einem der langweiligsten Genres des Erzählens - dem Agententhriller und der Internet-Analyse. Doch spätestens wenn Greenwald in den schlaflosen Nächten von Hongkong gemeinsam mit Edward Snowden aus dem Datenmaterial eine Artikelserie destilliert, die das Verhältnis der Welt zum Internet und zu Amerika verändern wird, hat er es geschafft, den Leser in jenen Fieberzustand zu versetzen, in dem er auch bereit ist, sich auf komplexe technische Beschreibungen einzulassen. Und die sind nötig, um den Wahnsinn zu begreifen.

Greenwald verzichtet auf neue Sensationen. Welche sollte er auch liefern? Was Greenwald, Poitras und die Weltpresse in den vergangenen noch nicht einmal zwölf Monaten aus Edward Snowdens Material gemacht haben, lässt sich erst einmal nicht übertreffen. Was noch folgen könnte (wenn man die Andeutungen aus Snowdens Umkreis richtig versteht), wäre viel zu groß für ein erstes Buch des Teams. Also die Verbindungen zwischen Überwachung und der Geopolitik der USA und befreundeter Mächte, die Unterdrückungsmechanismen, die sich daraus ergeben, die Schulterschlüsse zwischen den Überwachern und den militärischen und paramilitärischen Vollstreckern. Umso wichtiger ist es deswegen, dass Greenwald diese erste Phase der Enthüllungen in einen Kontext stellt.

Der Dramaturgie folgend

Auch das gelingt ihm. Wobei die Symbiose zwischen ihm als Autor und Edward Snowden als Stoffsammler kongenial gewesen sein muss. Snowden hatte nicht nur die rohen Daten gesammelt und dem Journalisten übergeben. Er hatte sie in ein klares System aus digitalen Ordern sortiert, hatte Material dazugegeben, das für die Enthüllungen keine Rolle spielte, für das Verständnis sehr wohl. Und er hatte das alles so angelegt, dass Greenwald daraus eine Dramaturgie entwickeln konnte.

Diese Dramaturgie war letztlich auch der entscheidende Unterschied zwischen der Wucht, mit der die NSA-Enthüllungen die Welt bewegten, und der immer deutlicheren Ermüdung und Skepsis der Öffentlichkeit, in der Wikileaks versandete. Es lag an den Personen. Bradley Manning, der Wikileaks wohl mit dem Material aus den Rechnern des US-Militärs und -Außenministeriums versorgte, schob die Datenmengen vermutlich weitgehend unbesehen an Assange. Der aber hatte mit seiner Ideologie der radikalen Transparenz immer den Drang, möglichst viel und rasch zu veröffentlichen. (Wobei Greenwald Assange und Manning gegen die anhaltenden Verleumdungen und Beleidigungen in Schutz nimmt, nicht zuletzt, weil er selbst, Laura Poitras und Edward Snowden vor allem in den amerikanischen Medien so heftig angegriffen werden - man darf nicht vergessen, dass Snowden in den USA keineswegs eine so umfassend von Politik und Bevölkerung gefeierte Heldenfigur ist wie bei uns).

Snowden und Greenwald arbeiteten wie Dramaturg und Regisseur. Die Enthüllungen verliefen nach dem Muster des Thrillers. Hinter jeder Wendung verbarg sich eine Eskalation. Auf das Abhören der Telefonleitungen folgte die Kontrolle der Metadaten, darauf die Überwachung des gesamten Internets, die Komplizenschaft des Silicon Valley, schließlich die Bespitzelung befreundeter Staatschefs. Und weil Greenwald die Kunst der Dramaturgie beherrscht, hat er es auch geschafft, mit einem so komplexen Stoff ein Buch zu schreiben, das jede einzelne Ebene der in sich vernetzten Geschichte in einen linearen Spannungsbogen fügt.

Über 366 Seiten hinweg immer wahnsinniger

Im Zentrum des Wahnsinns, der über 366 Seiten hinweg immer wahnsinniger wird, steht Edward Snowden. Greenwald versucht sich da nicht mal in journalistischer Distanz. Deswegen kommt man Snowden auf diesen Seiten sehr viel näher als in den objektiven Porträts über ihn oder bei den wenigen Auftritten im Fernsehen, bei denen sein sachlicher Ton und seine freundliche Art so gar nicht zum Drama seiner Enthüllungen passen wollten. Greenwald thematisiert diese Kluft zwischen Erscheinung und Wirkung der Person. "Er wirkte insgesamt recht proper, hielt sich militärisch gerade, war aber ziemlich dünn und blass und sichtlich angespannt und zurückhaltend", schreibt er über die erste Begegnung.

Dann aber skizziert er einen noch sehr jungen Mann und seine Lebensgeschichte, die eben nicht zwangsläufig in der Rolle des Aufklärers von Weltrang enden musste. Es ist die Geschichte eines Schulabbrechers, der in den Netzwerkstrukturen des Internets ein Spielfeld für seine extreme Intelligenz und dann in den Geheimdiensten nicht nur einen Abnehmer für seine außerordentlichen Fähigkeiten, sondern auch ein Ventil für seinen Patriotismus suchte.

Porträt eines Archetypen

Es ist dann dieser uramerikanische Patriotismus der aufrechten Heimatliebe, der Snowden dazu bringt, sich zunächst bei seinen Vorgesetzten und den Kontrollinstanzen über Machtmissbrauch und Übergriffe zu beschweren. Immer wieder vergebens, bis er frustriert den Entschluss fasst, die Daten zu sammeln und an die Öffentlichkeit zu gehen. Ohne das auszuformulieren, gelingt Glenn Greenwald dabei das Porträt eines Archetypen. Snowden ist eben nicht nur der Sonderfall. Er ist der exemplarische Vertreter einer Generation, die im Internet "das Epizentrum unserer Welt" entdeckt hat, wie es Greenwald in der Einführung beschreibt. Und die bereit ist, diese Welt auch zu verteidigen. Denn Snowden kämpft ja nicht nur für die digitale Menschenwürde eines Internets ohne ständige Überwachung. Er kämpft auch für die Freiheit im digitalen Raum.

Die ist so massiv gefährdet, wenn nicht gar unmöglich geworden, dass man den Mittelteil des Buches immer fassungsloser liest. Greenwald schlüsselt das auch für Laien auf. Er zeigt all die Folien und Powerpoint-Tafeln, mit denen die Geheimdienste ihre Übernahme der digitalen Weltöffentlichkeit planen. Es sind Bilder frappierender Banalität. Mit den verkrampft originellen Typografien, den ungelenken Layouts und kruden Logos wirken die Tafeln wie die Speisekarten schäbiger Imbisse.

Im Subtext bleibt am Ende eine Botschaft

Er beschreibt aber auch, wie etwas so Abstraktes wie Metadaten funktioniert: "Stellen wir uns einmal Folgendes vor: Eine junge Frau ruft ihren Gynäkologen an, gleich darauf ihre Mutter, dann einen Mann, mit dem sie während der vergangenen Monate häufiger nach 23 Uhr telefoniert hat; als Nächstes eine Familienberatung, die auch Abtreibungen durchführt. Daraus lässt sich eine schlüssige Geschichte herleiten, die sich so deutlich aus dem Abhören eines einzelnen Telefonats nicht ergeben würde."

Gegen Ende des Buches wird Greenwald (auf Kosten der Spannung) politisch immer deutlicher. Er beschreibt, wie Überwachungssysteme immer wieder ganze Bevölkerungen gewaltlos unterdrückten. Er fordert ein Ende der Überwachung und Freiheit für die Presse. Im Subtext bleibt am Ende die Botschaft: Fürchtet euch doch!

Die aber kann man zweifach interpretieren. Bürger und Presse, ganz klar, haben guten Grund zur Angst. Die Mächtigen aber werden solcher Figuren wie Edward Snowden nie Herr werden. Im Zeitalter des Internets noch weniger als je zuvor.

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