Am Anfang: ein großes weißes Banner mit dem bunten Aufdruck "#unteilbar", das mehr als ein Dutzend Hände gemeinsam tragen. Am Ende: junge Menschen, die zu elektronischer Musik tanzen. Dazwischen: resolute Familien, skandierende Rentner, selbstbewusste Schüler, singende Geflüchtete, der Bundesfinanzminister, die Bundesvorsitzende der Grünen und viele andere.
Für diesen Demonstrationszug haben sich Aktivisten, Politiker und vor allem Tausende Bürger zusammengerauft, die Haltung zeigen wollen. Die Veranstaltung in Dresden steht unter dem Motto "Solidarität statt Ausgrenzung". Sie organisiert und seit Monaten bundesweit mobilisiert hat #unteilbar, ein Bündnis von etwa 400 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Etwa 40 000 Menschen sind dem Aufruf gefolgt, werden die Veranstalter im Nachhinein schätzen. In fast 40 thematisch aufgeteilten Blöcken marschieren sie durch die Dresdner Innenstadt - voneinander abgegrenzt, aber doch einig; so ist die Idee.
Während der SPD-Block am Ende so ausgelassen wirkt wie ein Trauermarsch und die Schüler im Klimablock in der Mitte professionell Parolen rufen, sind die ersten paar Blöcke von Musik, Ausgelassenheit und kreativen Schildern geprägt. Viele Grüppchen tragen ihr Hauptanliegen schon im Namen. Da sind zum Beispiel die "Lesben gegen rechts" oder auch Dutzende "Omas gegen rechts" - zumindest besagen das die Schilder, die die älteren Frauen schwenken. Einige von ihnen haben Kinder an der Hand. Man sollte meinen, dass Großmütter und ihre Enkel einen der letzten heißen Samstage des Jahres für einen gemeinsamen Ausflug an den See nutzen. Stattdessen marschieren sie also vom Altmarkt zur Cockerwiese, über die Elbbrücken und an unzähligen Wahlplakaten vorbei.
Die Demonstration in Sachsens Landeshauptstadt findet eine Woche vor der Landtagswahl statt, bei der die AfD stark abschneiden dürfte. Umfragen sehen sie bei etwa 25 Prozent, auf Platz zwei hinter der CDU. Wer sich bei der Kundgebung umsieht, kann kaum glauben, wie stark der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch ist, wie unzufrieden und abgehängt sich viele in Sachsen fühlen, wie stark die Vorbehalte, aber auch die sozioökonomischen Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch sind.
Die Demonstrierenden kommen aus Dresden oder sind mit Sonderzügen aus Berlin und in Bussen aus der ganzen Republik angereist. Aus Berlin kommt etwa Susanne Loewens. Zu Beginn der Kundgebung steht die 50-Jährige auf dem Altmarkt und fächelt sich mit dem Routenplan Luft zu. Sie ist mit ihren betagten Eltern hier, "um ein Zeichen zu setzen gegen rechts". Sie seien ja selbst aus Ostberlin, deshalb erlaube sie sich zu sagen, wie "enttäuscht" sie von den Dresdnern ist, denen es doch gar nicht so schlecht gehe - und die trotzdem rechte Aufmärsche duldeten und rechte Parteien wählten.
Die Stadt, in der Lutz Bachmann seine Bewegung formierte
Hier auf dem Altmarkt treffen sich regelmäßig die Anhänger der Pegida-Bewegung, die von vielen als "islamfeindlich" bezeichnet wird, deren Formulierungen und Aufrufe aber eher schlicht rassistisch zu nennen sind. Dresden ist die Stadt, in der sich um Lutz Bachmann 2014 die selbsternannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" formierten und in der 2015 auf dem Höhepunkt des Streits um die Aufnahme von Geflüchteten Tausende protestierten. Inzwischen kommen nur noch wenige Hundert; gelegentlich organisieren Gegendemonstranten genauso große Kundgebungen. Trotzdem wird Dresden den Ruf der "Pegida-Stadt" nicht los. Für die Initiatoren von #unteilbar war das ein wichtiger Grund, Dresden als Veranstaltungsort zu wählen.
Wie die Dresdner die Kritik an ihrem Protest- und Wahlverhalten wohl finden? Einige Anwohner lehnen sich aus den Fenstern und von den Balkonen eines Plattenbaus und beobachten die Protestierer. Unten stellt sich eine Band an den Straßenrand, zu ihrer Musik tanzen barfüßige Menschen auf dem Gehweg und auf dem Rasen vor dem Wohnhaus. Ein Stückchen weiter reißt ein Demonstrant ein AfD-Plakat von einem Laternenpfahl und wirft es auf den Boden. Einige Minuten später trampelt ein weiterer Demonstrant auf dem Plakat mit der Aufschrift "Mut zu Sachsen" herum.