Die Troika und die Kandidatenfrage:Steinbrück zeigt der SPD die Zukunft

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Einer glänzt, einer menschelt, einer twittert: Beim "Zukunftskongress" der SPD in Berlin überlässt Sigmar Gabriel seinen beiden Troika-Kollegen das Rampenlicht. Der ehemalige Finanzminister Steinbrück zeigt, dass er Fraktionschef Steinmeier an die Wand reden kann. Aber reicht das, um die Bürger für den Finanzexperten zu begeistern? Wenn nicht, wird er eben Präsident von Borussia Dortmund.

Jannis Brühl, Berlin

Die Vergangenheit lässt die SPD nicht los, selbst wenn die Partei eigentlich über die Zukunft reden will. Wer Paul-Löbe-Haus des Bundestages während ihres "Zukunftskongresses" betritt, muss an Stellwänden vorbei, auf denen die ruhmreiche Geschichte der Sozialdemokraten geschildert wird. Widerstand gegen die Nazis, Brandt, Schmidt. Generalsekretärin Andrea Nahles eröffnet die Veranstaltung. Sie sagt: "Heute soll es nicht um Vergangenes gehen." Dann zitiert sie Willy Brandt.

Die Troika: Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier auf dem Zukunftskongress der SPD (Foto: dpa)

Hinter der haushohen Glaswand ziehen auf der Spree Touristenschiffe vorbei. Vor dieser Kulisse sprechen an diesem Samstag nacheinander alle drei Mitglieder der SPD-Troika: Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, Parteichef Sigmar Gabriel und der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück. Einer dürfte Kanzlerkandidat werden und 2013 gegen Angela Merkel antreten. Einem Medienbericht, die SPD habe sich verständigt, ihren Kandidaten noch vor der Niedersachsenwahl im Januar zu benennen, widersprach Gabriel: "Nein, wir haben ja verabredet, dass wir die Frage der Kanzlerkandidatur Ende des Jahres, Anfang kommenden Jahres, spätestens nach der Landtagswahl in Niedersachsen klären."

Offiziell geht es auf dem "Zukunftskongress" um die Forderungen der Bundestagsfraktion, wie sie sich das Land 2020 vorstellt. Dazu gehören mehr Gleichstellung, weniger Schulden und ein "Kreativpakt" für digitale und künstlerische Berufe. Das ist so etwas Ähnliches wie ein Programm. Viele in der Partei hätten aber möglichst bald so etwas Ähnliches wie einen aussichtsreichen Kandidaten.

Steinmeier muss in die erste Reihe, er begleitet Steinbrück vor dessen Rede zur Bühne. Die beiden erinnern ein wenig an Brautvater und Braut auf dem Weg zum Altar, als sie ruhigen Schrittes durch den Mittelgang zwischen den Stuhlreihen Richtung Bühne gehen. Nachdem Steinmeier gesprochen hat, liefert er Steinbrück am Mikro ab. Der frühere Finanzminister ist es dann, der die einzige Rede an diesem Tag hält, die wirklich nach dem Thema dieses Kongresses klingt: nach Zukunft.

Steinbrücks Rede ist die strukturierteste, analytischste, nüchternste an diesem Tag. Gleichzeitig spricht der 65-Jährige - anders als Gabriel und Steinmeier - völlig frei. Das mag daran liegen, dass er die gleiche Rede schon öfter gehalten hat, wie manche im Publikum meinen. Er lobt nur kurz die angeblichen Verdienste der SPD um die derzeit so gute Wirtschaftslage.

Doch das Land hat auch Probleme, und Steinbrück zählt sie unerbittlich auf: öffentliche Schulden, Armut der Kommunen, zu viele prekäre Jobs. Er warnt, dass sich zwei Parallelgesellschaften bildeten: eine unten, bei den Abgehängten, und eine oben, bei den Superreichen. "Die oben sind nicht auf öffentliche Güter angewiesen. Deshalb sind sie auch nicht bereit, für öffentliche Güter zu zahlen."

Steinbrück versucht, seine Gegner zu überzeugen, dass auch sein Herz rotes Blut pumpt, dass er echter Sozialdemokrat ist. Wenn er davon spricht, die Politik sei "von einem entfesselten Finanzkapitalismus getrieben", glaubt man ihm, dass er weiß, wovon er spricht. Zur Besteuerung äußert Steinbrück sich vorsichtig: "Einige Steuern für einige" müssten erhöht werden, sagt er - sonst könne die Schuldenbremse nicht eingehalten werden und nicht in Bildung oder Infrastruktur investiert werden, dies sind die wichtigsten Themen der SPD für 2020.

Am härtesten geht Steinbrück die Union bei einem Thema jenseits von Staatsschulden und Euro-Krise an: Sie halte bei Homo-Ehe und der Besteuerung unverheirateter Mütter fest "an einer spießigen Biedermeier-Idylle des 19. Jahrhunderts". Steuerlich würden beide Gruppen behandelt, "als ob sie in Sünde leben".

Am Ende hat er 20 Minuten kürzer gesprochen als Steinmeier und erhält doppelt so langen Applaus. Das rhythmische Klatschen klingt ein bisschen nach Kanzlerkandidatur, es bleibt allerdings ein Problem: Er wirkt zwar sachlich und rhetorisch brillant an diesem Tag, doch lassen die Wähler sich von dem Zahlenmenschen begeistern? In Umfragen liegt er etwa genauso weit hinter Merkel wie Steinmeier.

Zudem ist Steinbrücks Verhältnis zur Parteilinken problematisch. Ihr sagt er in seiner Rede, dass sie sich von bestimmten Vorstellungen verabschieden müsse: Bestimmte konventionelle Kraftwerke und Stromtrassen dürften nicht aus ideologischen Gründen abgelehnt werden: Eine starke Industrie ist Kern seiner Vorstellung von Sozialdemokratie, für sie müsse Infrastruktur ausgebaut werden. Er warnt weiter: Wenn man Steuern erhöhe, müsse das mit Augenmaß geschehen, sonst könne man den Mittelstand abwürgen.

Steinmeier hatte bereits am Vormittag gesprochen. Er gilt als Konsenskandidat, die maßvolle Mitte zwischen dem nüchternen Steinbrück und dem Emotionspolitiker Gabriel. Der Fraktionschef war nach der Haushaltswoche noch im Bundestagsmodus: "Die Regierung redet die Bevölkerung ins Koma - mit dem jeden Tag wiederholten Satz: Uns geht's doch gut." Das saß. Dann aber sagte Steinmeier selbst seinen Koma-Satz: Schwarz-Gelb "ernte auf Feldern, auf denen sie nicht gesät haben." Das war schon am Mittwoch im Plenum sein Mantra gewesen. Die hohen Staatseinnahmen, die Rekordbeschäftigten - das sei eben alles das Werk von Rot-Grün.

Er schafft es zumindest phasenweise, vom Fraktionsvorsitzenden, der die gleichen Sprüche wie im Bundestag klopft, zum Genossen zu werden. Zu einem, der nicht nur Parteifunktionär ist, sondern sich um die einfachen Leute im Land sorgt: Bildung sei die Schlüsselfrage für Deutschlands Zukunft. Er zitiert einen englischen Reformer: "Schulen sollten Paläste sein" - und ganztags geöffnet. Er gibt sich als ein Genosse, der bescheiden ist und verzeihen kann: Fehler habe er in Regierungsverantwortung gemacht: "Ich weiß das, und ich habe nichts vergessen." Und als ein Genosse, der verzeihen kann: "Lasst uns die Türen öffnen und auf die zugehen, die wir mit unserer Politik verloren haben." Steinmeier weiß, dass er Wähler von Linken und Piraten zurückgewinnen muss.

Aber will Genosse Steinmeier denn auch Kanzler werden? Er bleibt allgemein und sagt immerhin klar, dass die SPD den Kanzler stellen will: "Wir wollen nicht als Juniorpartner in eine große Koalition, wir wollen eine Regierung von vorne führen." Es folgt ein klares Bekenntnis: "Rot-Grün, das ist die Koalition der Zukunft." Die Vergangenheit ist für Steinmeier wohl die beste Zukunft - und die Umfragen sehen Rot-Grün momentan sogar knapp vorne, selbst wenn die FDP im Bundestag bleibt.

Steinmeier zeigt das Selbstbewusstsein, das Steinbrück später als "politische Körpersprache" einfordern wird. Am Ende seiner Rede ruft er: "Wir spielen auf Sieg, nicht auf Platz." Ein Jahr vor der Wahl klingt der Fraktionschef optimistisch. Der höfliche Applaus, den er von seinen Untergebenen im Publikum erhält, klingt aber nicht, als wären sie so siegessicher wie er.

Parteichef Gabriel profiliert sich auf Twitter mehr als auf dem Rednerpult. Während am Mittag alle auf Steinbrücks Rede warten, beantwortet er auf dem Kurznachrichtendienst Fragen - das ist ja auch irgendwie Zukunft: "Kaffee fertig, Vitamine griffbereit, kann losgehen!" Statt eine große Rede zu halten wie die anderen beiden aus der Troika, begnügt Gabriel sich damit, ein paar Schlussworte für den zweitägigen Kongress zu sprechen. Er gibt den Gästen in ruhigem Ton ein paar Merksätze mit auf den Weg, zum Beispiel: "Deutschland braucht ein neues Gleichgewicht zwischen oben und unten." Diesen Samstag ließ er von den anderen beiden Troika-Mitgliedern dominieren.

Am Ende des Zukunftskongresses bleibt die Erkenntnis: Steinbrück kann Steinmeier an die Wand reden, aber wenn denn die Entscheidung über einen Kandidaten schon gefallen ist, hält die Partei sie unter Verschluss. Der Fraktionschef blockt routiniert alle Fragen der Journalisten nach der K-Frage ab. Ob er Steinbrücks Rede denn staatstragend gefunden habe? "Mehr als staatstragend", sagt Steinmeier. "Er hat die Zuhörer mit harten Realitäten konfrontiert."

Falls er nicht Kanzler wird, hat Steinbrück einen Alternativplan. Als er während einer Podiumsdiskussion nach seiner Rede gefragt wird, was er denn 2020 machen werde, sagt er: "Da bin ich Präsident von Borussia Dortmund."

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