Neulich durfte Jürgen Trittin erleben, was er so vielleicht noch nie erlebt hat. Ein prominenter Grüner hat sich bei ihm entschuldigt: öffentlich, leidenschaftlich, sogar mit Herz. Auf dem Länderrat der Grünen vor anderthalb Wochen begann der Kieler Umweltminister Robert Habeck seinen Auftritt nicht mit einem "Juhu" oder "Gott sei Dank" nach einem gerade noch akzeptablen Wahlergebnis.
Habeck sagte, Politik sei "ein scheißhartes Geschäft". Vor vier Jahren seien die Grünen mit dem gleichen Ergebnis aus der Wahl gekommen - und hätten ihre Spitze anschließend knallhart rausgeschmissen. "Mir tut leid, dass wir mit euch damals so hart umgegangen sind."
Trittin blieb ernst, er wusste nicht so recht, wie ihm geschah. Es kam zu unerwartet; es war zu außergewöhnlich. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sich hinter seiner unbeweglichen Miene auch tiefe Genugtuung ausbreitete. Trittin, 63, wusste, was der Auftritt bedeutet: Er ist ab sofort wieder mittendrin im Geschäft um Sondierungen, Koalitionen, Ministerposten. Sie brauchen ihn vorne dabei, so die Botschaft.
Für Jürgen Trittin ist dieser Trittin zwar nie weg gewesen. Seine Nachfolger freilich hofften das lange - und müssen erkennen, dass sie den Parteilinken, den sie 2013 als Verlierer vom Hof gejagt hatten, in dieser schwierigen Lage offenbar doch brauchen. Ohne Trittin, so lautet mindestens Habecks Signal, ist ein Votum zum Jamaika-Bündnis mit der Union und der FDP in der Partei nicht durchzusetzen.
Immer zwischen konstruktiv und garstig
Da mag sich das Berliner Führungsquartett in vier Jahren noch so sehr abgestrampelt haben - es ist ihm nicht gelungen, ein eigenes Machtzentrum zu entwickeln. Das gilt für die Realos und Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir; es gilt in einer auf Balance achtenden Funktionärsschicht aber noch mehr für die Linken Simone Peter und Anton Hofreiter. Trittin ist dabei, weil sie nicht stark genug sind.
Was das heißt, konnte man am Montag in ARD und ZDF studieren. Als sich die Union über ihre Asylpolitik geeinigt hatte, wurden in beiden Sendern nicht die Parteichefs oder Spitzenkandidaten gefragt. Es war Trittin, der interviewt wurde. Und der erklärte nicht nur selbstbewusst, was er an diesem Kompromiss alles für falsch hält. Er zeigte, wie er in der Lage ist, zwischen konstruktiven und garstigen Formulierungen hin- und herzuwechseln.
Im ZDF agierte er nach dem Motto: blöd, aber wir verhandeln trotzdem. Bei der ARD klang er nach einem harschen: Wir verhandeln, aber das wird sehr schwer werden. Es sind Nuancen, die in der jetzigen Lage großen Einfluss aufs Klima haben. Trittin weiß das, er kann das, und er wird es nutzen.
Brückenbauer? Fallensteller? Bei ihm ist beides möglich. 1998 wäre Joschka Fischer ohne Trittins Werben für Rot-Grün nicht Außenminister geworden. Und 2013 war sein "Nein" zum Bündnis mit der Union mit entscheidend. Daumen hoch? Daumen runter? Die Frage stellt sich ihm auch jetzt wieder.