IS-Terroristen:Wenn die deutschen Dschihadisten heimkommen

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IS-Propaganda-Werbung: Auch Deutsche haben sich den Islamisten angeschlossen. (Foto: imago)
  • Die deutschen Sicherheitsbehörden bereiten sich auf eine mögliche Strafverfolgung der im Nahen Osten Inhaftierten IS-Kämpfer vor.
  • Einem Dossier des Auswärtigen Amts zufolge haben 42 Islamisten in Gewahrsam die deutsche Staatsbürgerschaft.
  • US-Präsident Donald Trump hatte am Wochenende gefordert, dass europäische Staaten diese Gefangenen zuhause vor Gericht stellen.
  • Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hat die Bundesrepublik bereits 18 Haftbefehle erlassen.

Von Georg Mascolo

Im Referat 511 des Auswärtigen Amtes - zuständig für die sogenannte "Nothilfe für Deutsche im Ausland" - wird seit Monaten eine streng vertrauliche Liste geführt. Die Namen von Frauen und Kindern finden sich darauf, aber auch Dutzende Männer sind inzwischen erfasst. Penibel wird notiert, wer in der Türkei, im Irak oder in Syrien ist. Unterschieden wird zwischen "Gewahrsam/Flüchtlingslager" und "Haft". Einer sitzt in Griechenland ein.

Das Dossier gibt tagesaktuell Aufschluss darüber, wie viele der aus Deutschland stammenden IS-Anhänger nach dem Zerfall des selbsternannten Kalifats inzwischen wieder in der Region aufgetaucht sind. Ihre Zahl ist erstaunlich hoch, zählt man die Kinder mit, sind es weit mehr als hundert. 63 sind Erwachsene, 42 von ihnen haben nur oder auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Zahl wird steigen, wenn die Kämpfe um die letzten IS-Bastionen beendet sind. Die Deutschen können nicht einfach untertauchen, die meisten sprechen nicht einmal anständig Arabisch.

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Niemand hat so viele Gefangene gemacht wie die kurdische YPG. Auch hochrangige deutsche IS-Kader sind darunter. So ergab sich gerade erst der aus Sachsen stammende Martin Lemke, der beim IS-Geheimdienst in der Kalifats-Hauptstadt Raqqa Karriere gemacht haben soll. Aber alle Versuche, vor allem die Europäer davon zu überzeugen, ihnen die Gefangenen endlich abzunehmen und in ihren Heimatländern vor Gericht zu stellen, blieben ungehört. "Dass uns Deutschland das Problem überlässt, ist nicht fair und ungerecht," klagte ein kurdischer Offizieller bereits vor Monaten. "Wir haben für Europa den Krieg gegen den IS gewonnen, mit den Folgen darf man uns nicht alleine lassen."

Inzwischen haben die Kurden prominente Unterstützung bekommen, US-Präsident Donald Trump persönlich hat sich in die Debatte eingeschaltet: Die Europäer - Trump nannte namentlich Deutschland, Frankreich und Großbritannien - müssten die Leute zurückholen und vor Gericht stellen. Sonst müssten die USA sie "freilassen". Letzteres dürften die Verbündeten der USA in Europa als eine nackte Drohung empfunden haben - und als eine Unverschämheit.

Berlin hat die Drohung des amerikanischen Präsidenten kalt erwischt

Vor allem die Bundesregierung haben die Tweets kalt erwischt, obwohl seit Monaten darum gerungen wird, wie man mit diesem Problem umgehen soll. Einerseits weiß man sehr wohl um die völkerrechtliche Verpflichtung, die Deutschen zurückzuholen und ihnen hier den Prozess zu machen. Andererseits fürchtet man einen öffentlichen Aufschrei, wenn die oft an bestialischen Taten beteiligten IS-Schergen wieder im Land sind - und wegen Beweisschwierigkeiten nicht zu harten Strafen verurteilt werden können. Oder womöglich ohne Verurteilung davonkommen.

So versuchte es die Regierung mit einer Doppelstrategie: Frauen und Kinder werden aus der Türkei und dem Irak meist unbemerkt von der Öffentlichkeit zurückgeholt. Zudem akzeptiert und unterstützt man, dass die irakische Justiz wenn möglich anklagt und aburteilt - schließlich beging der IS seine Taten auch auf irakischem Boden. Syrien aber blieb das Problem. Der Kurden-Staat ist international nicht anerkannt, dem diktatorischen syrischen Regime will und kann man die Aburteilung der Gefangenen nicht überlassen. So fand Berlin eine inzwischen oft wiederholte Formel: Die Deutschen in Syrien hätten ein Recht auf Rückkehr, aber die dafür notwendige konsularische Betreuung sei in dem Land derzeit eben nicht möglich.

Dass diese Position schwer zu halten sein wird, weiß die Bundesregierung sehr wohl. Bereits vor einem Jahr hatte der damalige US-Verteidigungsminister James Mattis die Europäer gedrängt, sich der Sache endlich anzunehmen. "Nichts zu tun, ist keine Lösung", erklärte er bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister. Ursula von Leyen und ihre Beamten saßen dabei. Später übermittelten die USA sogar eine Namensliste deutscher Gefangener, die zurückgeholt werden sollten. Szenarien wurden diskutiert, die USA könnten die Gefangenen in die Türkei bringen - oder direkt nach Deutschland fliegen. Aber nichts geschah. Im Dezember schließlich machten Meldungen die Runde, dass die von der Türkei militärisch bekämpften Kurden die Gefangenen irgendwann freilassen könnten, weil sie ihre Kämpfer nicht länger als Wärter einsetzen wollten.

Wegducken funktioniert also nicht mehr. Die Sorge wächst, dass die teils hochgefährlichen IS-Anhänger in einer der unsichersten Regionen der Welt nicht mehr sicher verwahrt sind. Wären sie plötzlich auf freiem Fuß, wäre dies eine Katastrophe. Auch Trump steht in der Sache unter Druck: Im Januar forderte ihn eine Gruppe US-Senatoren auf, zumindest "die schlimmsten dieser IS-Kämpfer" ins US-Gefangenenlager nach Guantanamo auszufliegen. Die Regierung in Washington ließ durchsickern, dass dies in Betracht komme. Einige der Deutschen könnten Kandidaten für den Karibik-Knast sein: Lemke etwa oder der Bonner Fareed Saal, den die USA und die UN auf eine Liste internationaler Top-Terroristen gesetzt haben. Saal erklärte gerade erst in einem Interview mit NDR und SWR, dass er in Deutschland vor Gericht gestellt werden wolle.

Entschieden ist nichts, aber mit den Trump-Tweets ist Berlin klar geworden, dass die USA bereit sind, den Druck in dieser Sache weiter zu erhöhen. Mancher fürchtet sich bereits davor, was passieren könnte, wenn Trump seinen Willen nicht bekommt. Die Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten ist für die deutschen Sicherheitsbehörden von herausragender Bedeutung. "Lebensnotwendig" nannte Kanzlerin Angela Merkel sie gerade bei der Einweihung des BND-Neubaus in Berlin.

Der BND hat längst Agenten in die Gefangenenlager der Kurden geschickt

Am Montag erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, wichtig sei, dass man mehr über die "Gefährlichkeit" der Inhaftierten erfahre und über "strafrechtliche Handlungsmöglichkeiten". Außenminister Heiko Maas sagte in der Talkshow "Anne Will", eine Rückkehr sei nur möglich, wenn sichergestellt sei, dass diese Menschen "sofort" vor Gericht kämen. Tatsächlich laufen die Vorbereitungen hierfür bereits seit Monaten. Im Mittelpunkt steht der BND, der Agenten in die kurdischen Gefangenenlager schickt und die deutschen Häftlinge dort befragt. Manche leugnen, behaupten nur Maurer, Zimmermann oder Klempner gewesen zu sein. "Der IS", spottet ein Sicherheitsmann, "muss ein Handwerkerparadies gewesen sein." Andere aber haben sich selbst belastet oder zumindest umfassend über weitere IS-Schergen Auskunft gegeben.

Im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin laufen diese Informationen nun alle zusammen, eine Arbeitsgruppe mit dem Namen "Haftfälle" beugt sich über die vom BND per "Behördenerklärung" zur Verfügung gestellten Informationen. Jeder der einsitzenden erwachsenen IS-Angehörigen auf der Liste des Auswärtigen Amtes hat inzwischen ein eigenes Dossier, Ziel ist die Einleitung von Ermittlungsverfahren und der Erlass von Haftbefehlen. Die Bilanz ist ordentlich: Von den 42 Inhaftierten, die nur die deutsche oder auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, laufen gegen 32 inzwischen Ermittlungsverfahren. In 18 Fällen wurde bereits ein Haftbefehl erlassen. 17 der 42 sind in Deutschland als Gefährder eingestuft - sie würden nach ihrer Rückkehr engmaschig überwacht. So wie vermutlich die meisten der Rückkehrer. In der AG "Haftfälle" wird daran gearbeitet, weitere Verfahren einzuleiten, weitere Haftbefehle zu beantragen. Der BND ist weiter in Syrien unterwegs. Der Bundestag kennt das Verfahren, der BND ist gehalten, Gefangenenbefragungen dem für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständigen Gremium zu melden. Noch ist in Berlin nicht entschieden, ob man nach Trumps Tweets die Linie ändert. Aber man bereitet sich vor auf den Tag, an dem die deutschen Dschihadisten womöglich doch nach Hause kommen.

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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