Der Weg nach Berlin:Zweitstimme per Luftballon

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Wahlkampf zwischen Maultaschen und frittiertem Schokoriegel: Die Liberale Judith Skudelny wirbt auf einem Stuttgarter Volksfest mit Pappfliegern und Kondomen für die FDP - und ruft zur Wahl des CDU-Direktkandidaten auf.

Von Roman Deininger, Stuttgart

Politiker "sind doch alle gleich", lautet das Pauschalurteil vieler Deutscher. Sind sie nicht. Die Süddeutsche Zeitung begleitet bis zur Bundestagswahl 2013 sieben Menschen aus sieben Parteien auf ihrem Weg in die Politik - Fehler, Rückschläge und Niederlagen inklusive.

Wer sich auf dem Stuttgarter Feuerseefest eine Maultasche gönnen will oder, etwas mutiger, einen "frittierten Schokoriegel", der muss erst mal aufpassen, dass er überhaupt noch eine Hand frei hat für das Essen. Wahlkämpfer beladen den arglosen Besucher mit kiloschwerem politischen Informationsmaterial und binden ihm in unachtsamen Momenten Luftballons in allen Parteifarben an die Finger.

Am FDP-Stand gibt es außerdem Pappflieger für die Kleinen und Kondome für die Großen. Und Judith Skudelny, die liberale Direktkandidatin für den Wahlkreis Stuttgart I, hat noch etwas anderes im Angebot: eine Wahlempfehlung, mit der nicht jeder gleich rechnet.

Der Feuersee, der wohl so heißt, weil "Löschwasserteich" doof klingt, liegt im Stuttgarter Westen, einem Studentenviertel, das die Einheimischen etwas überschwänglich für ihr Schwabing halten. Der Westen ist das Herz des Wahlkreises Stuttgart I: Auf all die Studenten, Künstler und Akademiker, die hier leben, baut der grüne Bundesvorsitzende Cem Özdemir bei seinem Versuch, dem CDU-Abgeordneten Stefan Kaufmann am Sonntag das Direktmandat zu entreißen. Es ist richtig eng zwischen den beiden. Skudelny und ihre FDP können nur zuschauen bei diesem schwarz-grünen Duell um die politische Vorherrschaft in Baden-Württemberg. Oder?

Die Erststimme nicht an sie, sondern an den CDU-Kollegen

Es war noch vor der Landtagswahl in Bayern, vor dem Absturz der FDP, da erklärte Skudelny auf einer Mitgliederversammlung ihren Leuten freimütig, was sie vielleicht doch tun könnten: die Erststimme nicht ihr, sondern dem geschätzten CDU-Kollegen Kaufmann geben. Gut, sie erklärte gar nicht so viel, sie rief am Ende einfach unvermittelt: "Erststimme CDU! Zweitstimme FDP! Wir stärken diese Regierung!" Verstanden haben es ihre Parteifreunde natürlich trotzdem. Und die Wähler, sagt sie, würden das auch verstehen.

Jetzt sitzt Skudelny, 37, im Schatten der Johanneskirche auf dem Geländer am See, sie demonstriert mit einiger Wahlkampfroutine, wie man Luftballons mit einem dünnen Faden am Handgelenk fixiert. Sie wirkt entspannt, ganz anders als der Rest ihrer Partei in diesen Tagen. Wenn die FDP in den Bundestag einzieht, woran sie "keinerlei Zweifel" hat, wird wohl auch sie miteinziehen für eine zweite Legislaturperiode: Ihr Platz sechs auf der Landesliste gilt als sicher, sollte die Partei - grob verkürzt - bundesweit mehr als 5,3 Prozent holen und im Südwesten im Schnitt liegen. Den Wählern sagt Skudelny deshalb einfach: "Mich wählen Sie mit der Zweitstimme." Es ist nur an diesem ruhigen Mittag auf dem Feuerseefest kaum ein Wähler da, dessen Interesse über Pappflieger und Kondome hinausgeht.

Skudelny findet es wichtig, dass es in Stuttgart keine förmliche Vereinbarung zwischen der FDP und der CDU gibt, keine Bevormundung der Wähler. SPD und Grüne dagegen haben sich etwas offensiver zu einem "partnerschaftlichen Wahlkampf" zugunsten Özdemirs entschlossen - wenige Tage, darauf weist Skudelny natürlich gerne hin, nachdem die SPD jede Form von Partnerschaft empört ausgeschlossen hatte. Aber ob die Wähler wirklich Sinn haben für die Unterschiede im taktischen Detail? Ob sie sich nicht einfach wundern, dass da eine Kandidatin für einen anderen Kandidaten wirbt? Skudelny sagt: "Vor allem wollen die Wähler ihre Stimme ja nicht verschenken."

Die SZ begleitet sieben Kandidaten in ihrem Wahlkampf: Charles M. Huber (CDU), Bruno Kramm (Piraten), Stefan Liebich (Linke), Sabine Poschmann (SPD), Alexander Radwan (CSU), Judith Skudelny (FDP) und Petra Zais (Grüne).

© SZ vom 20.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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