Demokratie:Rechtsextremismus-Debatte: AfD im Landtag im Kreuzfeuer

Lesezeit: 3 min

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von NRW, spricht in der Aktuellen Stunde im Landtag von Nordrhein-Westfalen zu den friedlichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD der vergangenen Tage. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Ist die AfD in NRW für Deportationen von Ausländern? Nach Bekanntwerden des Potsdamer Radikalen-Treffens steht sie im Landtag unter Druck wie selten zuvor. Ein Sozialdemokrat wird persönlich.

Von Bettina Grönewald und Florian Gut, dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) - Still wird es am Mittwoch vor allem, als Serdar Yüksel (50) ans Mikrofon tritt, um in einer Aktuellen Stunde des Düsseldorfer Landtags zu erklären, was „Deportationsfantasien“ bei Betroffenen auslösen. „Mama und Papa, müssen wir denn eigentlich jetzt auch bald weg?“, gibt der Bochumer SPD-Abgeordnete mit kurdischen Wurzeln sorgenvolle Fragen von Familien mit Migrationshintergrund wider. Der Anlass: Ein vor zwei Wochen bekannt gewordenes Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam mit Überlegungen, eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft über „Remigration“ aus Deutschland zu vertreiben.

In der ersten Plenarsitzung seit dieser Veröffentlichung nehmen CDU, SPD, Grüne und FDP gemeinsam kräftig die AfD unter Beschuss. Die sei „der parlamentarische Arm“ solcher verfassungswidriger, menschenfeindlicher Pläne, warf FDP-Fraktionschef Henning Höne der Oppositionsfraktion vor.

Angesichts des Dauerfeuers der vier Fraktionen reagierte die AfD teils mit Empörung, teils mit Spott und Gelächter - insgesamt aber überraschend gelassen. „Ehrlich gesagt sehe ich es nicht im geringsten ein, uns gegen diese Propaganda-Kampagne - und nichts Anderes ist es - zu verteidigen“, erwiderte der AfD-Abgeordnete Markus Wagner. „Ausländisch stämmige Freunde“ sollten sich dadurch nicht verunsichern lassen.

„Keiner von euch, die hier rechtstreu und assimiliert mit uns zusammenleben, die einen deutschen Pass haben, wird durch die AfD deportiert oder vertrieben“, versicherte Wagner. Das sei vollkommener Schwachsinn. „Die AfD in NRW ist natürlich nicht rechtsextrem.“

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte zuvor, ebenso wie Redner der übrigen Parteien, sein Bedauern darüber geäußert, das inzwischen „leider in den meisten Parlamenten - auch in unserem Landtag“ Politiker säßen, die Menschen deportieren wollten. „Die Würde des Menschen ist unantastbar - es gibt Kräfte, die an diesem Fundament der Bundesrepublik Deutschland rütteln“, stellte er fest. „Auch wenn die Feinde der Demokratie demokratisch gewählt sind, sind es noch lange keine Demokraten“, betonte Wüst.

Bei dem Potsdamer Treffen seien menschenverachtende Pläne geschmiedet worden. „Da sind Nazis am Werk“, sagte Wüst. Ebenso wie die Fraktionschefs von CDU, SPD, FDP und Grünen dankte er den vielen tausend Menschen, die in den vergangenen Tagen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind. „Die schweigende Mehrheit unseres Landes steht auf meldet sich zu Wort“, hob der Ministerpräsident hervor. Die klare Botschaft sei: „Nordrhein-Westfalen ist demokratisch und Nordrhein-Westfalen bleibt demokratisch.“

SPD-Oppositionsführer Jochen Ott bezeichnete die AfD als „großes Unglück für Deutschland“. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte hätten gerade große Angst. „Die Faschisten sind zurück in Deutschland.“

In seiner Familie mache sich sehr viel Bitterkeit und Traurigkeit darüber breit, dass in diesem Land wieder ungestraft faschistische Pläne ausgeheckt werden könnten, berichtete sein Fraktionskollege Yüksel. „Viele überlegen und sagen: Haben wir eigentlich noch eine Zukunft? Und was machen wir eigentlich, wenn die hier mal regieren? Wo gehen wir dann eigentlich hin, wenn wir über Nacht weg müssen?“

In NRW wären etwa fünf Millionen Menschen von solchen „Deportationsplänen“ betroffen, sagte der ausgebildete Krankenpfleger. Es sei unsäglich für die Betroffenen, „sich von denen sagen zu lassen, dass sie kein Teil dieser Gesellschaft sind“. Viele Millionen Migranten hätten das Land nach dem Zweiten Weltkrieg mit aufgebaut. Rechtsextremisten wolle er daher zurufen: „Wir sind Nordrhein-Westfalen. Sie sind es nicht.“

Wüst appellierte an die Bürger, auch im Alltag Zivilcourage zu beweisen und für demokratische Werte einzustehen. Jeder Einzelne könne einschreiten, wenn etwa ein Nachbar, eine Arbeitskollegin oder ein Bekannter diskriminierende Kommentare von sich gebe oder rassistische Bilder im Netz teile.

Allein in NRW waren am vergangenen Wochenende mehr als 100.000 Menschen in vielen Städten auf die Straße gegangen und hatten gegen die AfD und für die Demokratie demonstriert. Viele weitere Kundgebungen sind geplant. Vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass Rechtsextremisten im November bei einem Treffen in Potsdam besprochen hatten, wie man eine große Zahl Menschen ausländischer Herkunft dazu bringen könnte, das Land zu verlassen. Bei dem Treffen waren auch einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion.

Vize-Regierungschefin Mona Neubaur (Grüne) betonte: „Wir alle machen den Unterschied, denn zusammen sind wir mehr“. Der AfD-Abgeordnete Christian Loose verspottete hingegen die Redner der politischen Konkurrenz und sprach von „staatlich gelenkten Demonstrationen gegen die AfD“.

CDU-Fraktionschef Thorsten Schick sieht in den Demonstrationen auch einen Auftrag an die Politik, jetzt Lösungen zu präsentieren für drängende Fragen in den Bereichen Migration, Sicherheit, Wirtschaft und Energie. „Wenn wir diese Themen aus der Mitte der Politik heraus lösen, ziehen wir Demokratie-Feinden den Stecker.“

Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer mahnte, sich verschärft dem Hass im Netz zu widmen. „Wir dürfen das Internet nicht den Rechtsextremen überlassen.“ Das sei eine Aufgabe sowohl für die Sicherheitsbehörden als auch für die Digitalunternehmen.

© dpa-infocom, dpa:240124-99-731281/5

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: