Demonstration gegen Kohle-Tagebau in Garzweiler:Menschenkette an Deutschlands größtem Loch

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Menschenkette an Deutschlands größtem Loch: Braunkohlegegner demonstrieren gegen den Tagebau Garzweiler II. (Foto: dpa)

Ende Gelände: Tausende Menschen demonstrieren im Rheinland gegen den Braunkohle-Tagebau Garzweiler - und unterstützen dabei unfreiwillig Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

Von Jannis Brühl, Erkelenz

Die Geisterstadt ist noch einmal zum Leben erwacht, um anderen Orten ihr Schicksal zu ersparen. Im rheinischen Immerath ziehen bunt gekleidete Menschen durch die Straßen, vorbei an mit Brettern vernagelten Türen, heruntergelassenen Rollläden, Klingelschildern ohne Namen. Auf einen Briefkasten hat jemand zwei Aufkleber geklebt: "Absurd" steht auf dem einen, "Grotesk" auf dem anderen. "Na, macht ihr einen Ausflug?", fragt der ältere Herr im Shuttle-Bus, der die Klimaschützer bringt. Das kleine Mädchen mit der Trillerpfeife um den Hals antwortet: "Wir gehen demonstri-an!"

Immerath ist aufgegeben, 2017 kommen die Bagger. Für den Tagebau Garzweiler ist der Ort fast vollständig umgesiedelt worden, es gibt nun ein neues "Immerath", ein paar Kilometer weiter. Fünf weitere Orte in der Gegend bereiten sich auf die Umsiedlung vor. An diesem Samstag ist das alte Immerath aber noch einmal einer der Schauplätze im Kohlestreit. Hier verläuft die Menschenkette, die Klimaschützer an der Westseite des Tagebaus Garzweiler bilden. Ihre besten Verbündeten stehen am Horizont, fest in der Erde: Ausgerechnet hier ziehen sich Windräder durch die Landschaft. Aus Sicht der Demonstranten geht es um nicht weniger, als das Generationenprojekt Energiewende zu retten.

Die Frage, die an diesem Samstag viele Menschen auf die Straße treibt, ist: Wie lange soll in Deutschland noch Braunkohle abgebaut werden? RWE will in Garzweiler bis 2045 fördern. Nein, 2030 müsse Schluss sein, fordern die Organisatoren der Menschenkette - Greenpeace, BUND und Campact. Kohleabbau erzwinge Umsiedlungen, gefährde das Trinkwasser - vor allem aber das Klimaschutzziel der Bundesregierung, bis 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu senken. Denn klimaschädliche Kohlekraftwerke laufen immer noch, sie verdrängen die umweltschonenderen Gaskraftwerke, entgegen der ursprünglichen Erwartungen vieler Klimaschützer. Und wenn die Umweltschutz-Nation Deutschland im November mit so schlechten Prognosen zum Klimagipfel in Paris reist, dann wäre das eine Blamage.

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Die 7,5 Kilometer lange Menschenkette soll eine Grenze simulieren: bis hierhin und nicht weiter. "Ende Gelände" steht auf dem weißen Schutzanzug eines Demonstranten, der eine Pandakopf-Mütze auf dem Kopf trägt und singt: "Kohleabbau/mag' keine Sau".

Der Kampf ist hart, und Garzweilers Westseite nur eine Flanke. Fast zeitgleich mit der Demo der Klimaschützer bringen die Gewerkschaften IG Bergbau Chemie Energie und Verdi in Berlin nach eigenen Angaben 15 000 Menschen auf die Straße. Sie sagen, der Kohleausstieg bringe den "sozialen Blackout". Deshalb demonstrieren sie vor dem Kanzleramt - und dem Wirtschaftsministerium. Dort sitzt Sigmar Gabriel (SPD), nach dessen Vorschlag einer Klimaabgabe auf die ältesten Kohlekraftwerke sich der Ton der Gewerkschaften verschärft hat.

Die Abgabe soll bewirken, dass weniger Strom in diesen schmutzigen Anlagen produziert wird. Gabriel ist Stromkonzernen und Gewerkschaften aber schon wieder entgegenkommen, er will die Abgabe nun an die Strompreisentwicklung koppeln, was den Unternehmen Geld sparen könnte. Eine RWE-Sprecherin bestätigt am Samstag nochmals, dass der Konzern die Abgabe grundsätzlich für falsch hält.

In Immerath, wo als einzige Fahne einer großen Partei die der Grünen weht, ist der Vorschlag des Sozialdemokraten beliebt. Die Menschenkette ist eher unfreiwillig zu einer Pro-Gabriel-Demo geworden. "Kohlekraft stoppen, Herr Gabriel" steht auf einem Transparent - das ist an diesem Wochenende eher als Ermutigung denn als Aufforderung zu verstehen.

"Dringend nötig", sei so eine Abgabe, sagt Bernd Brinkmeier, der Kohleausstieg müsse beschleunigt werden. Der Elektroingenieur mit dem grauen Bart ist aus Aachen gekommen. Der Kampf gegen die Kohle zieht sich durch sein Leben: "Wir haben schon vor 30 Jahren gegen die Pläne für Garzweiler II demonstriert. Zwischendurch resigniert man immer wieder, aber jetzt muss es weiter gehen." Der Ausbau der Erneuerbaren stagniere, die Förderung gehe zurück. Und die Kohlelobby mache mobil, wie heute in Berlin.

100 000 Arbeitsplätze seien gefährdet, zum Beispiel im Rheinland und der Lausitz, heißt es dort auf der Gewerkschaftsdemo. Das Umweltbundesamt kommt zwar nur auf 4700, aber das spielt an diesem Demosamstag keine große Rolle. Es geht schließlich um Mobilisierung und Symbole. Dafür ist das Wirtschaftsministerium sicher ein guter Ort, aber Garzweiler ist auch nicht schlecht.

Bagger interessieren sich nicht für Demonstranten, sie fahren weiter durch die braun-schwarze Grube, durch Deutschlands größtes Loch. Jedes Jahr will RWE im Tagebau Garzweiler bis zu 45 Millionen Tonnen Kohle aus der Erde holen. Vor dem Loch steht Dirk Jansen in grüner Regenjacke und Baseballcap, breitet die Arme aus und sagt: "Das ist ja keine Agrarlandschaft mehr, das ist eine Industrielandschaft." Er organisiert die Menschenkette für den BUND Nordrhein-Westfalen mit und hält die Zahlen der Gewerkschaft für völlig übertrieben. Dann muss er auf seinem Fahrrad los, die Menschen in der Kette zählen.

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6000 hat er gezählt - die Polizei spricht von "Tausenden". Es sind auf jeden Fall weniger, als die Veranstalter gehofft haben, dennoch verkündet um 14.09 Uhr ein Organisator per Megaphon: "Die Kette steht!". Jubel bricht aus unter den Demonstranten, auf ihren Transparenten steht: "Kohle stoppen - Klima schützen"; auf ihren T-Shirts: "Gegen Kohle mach' ich alles". Lücken zwischen den Menschen haben sie mit gelben Bändern überbrückt.

Für Gabriel wird es hart werden, seinen Vorschlag durchzusetzen. Nicht nur die Gewerkschaften leisten Widerstand, auch Teile der eigenen Partei. Die NRW-SPD ist traditionell nah an der Kohleindustrie und ihren Gewerkschaften in Brandenburg hat die rot-rote Landesregierung 2014 einen neuen Braunkohletagebau des Konzerns Vattenfall erlaubt. Die CDU schießt in der Frage ohnehin gegen Gabriel. Ihr NRW-Chef Armin Laschet ließ am Samstag verlauten: "Es gibt kein Moralmonopol für Klimaschutz."

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Gabriel warf der CDU in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung falsches Spiel vor, er habe seinen Vorschlag natürlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestimmt. Es müssten nun einmal 22 Millionen Tonnen CO2 im Stromsektor zusätzlich eingespart werden, um das Klimaziel bis 2020 zu erreichen.

Am Sonntag, nach einem Abend mit Gesprächsrunden, Musik und Reden, werden die Tausenden Klimaschützer wieder aus Immerath verschwunden sein. Sie hinterlassen einen fast leeren Ort. Am neuesten in der Stadt wirkt das Schild an einem Gebäude im Ortskern. Darauf steht: "Sprechstunden RWE Power und Stadt Erkelenz". Und weiter unten findet sich eine Telefonnummer, unter der meldet sich die: "Umsiedlungsbeauftragte des Landes NRW".

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