Umsiedlung wegen Braunkohleabbau:Der Boden unter ihren Füßen

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Wenn in Deutschland Konzerne Braunkohle fördern wollen, müssen ganze Dörfer weichen - und mit ihnen ihre Bewohner. Ein Besuch bei Menschen, die ihre alte Heimat verloren haben.

Aus der Lausitz von Nakissa Salavati

Die Bäume müssen mit. Das war eine Bedingung, die Ute und Günter Wirth an den Energiekonzern Vattenfall stellten, bevor sie ihr Heimatdorf Haidemühl bei Spremberg verließen. Das eigene Haus zum Abriss freigeben, es der Braunkohle opfern, umziehen - dazu waren die beiden letztlich bereit.

Aber nicht die Bäume. Also wurden die stattlichen Lebensbäume aus der Erde des alten Haidemühl in den Boden des neuen Haidemühl umgepflanzt. Dort stehen sie, fest verwurzelt und wachsen. Für die Wirths sind die Bäume vor allem das Bekannte im Neuen, ein Bezug zum Alten. "So ist das Leben leichter", sagt Günter Wirth.

Alt-Haidemühl, kurz vor dem Abriss. (Foto: Gerhard Fugmann)

Beinahe zehn Jahre ist es nun her, dass die Wirths, damals schon im Rentenalter, das Dorf Haidemühl in der Lausitz verließen, früher und überzeugter als andere Bewohner. Umsiedlung heißt das in den Tagebaugebieten Deutschlands, wie hier in Brandenburg, wenn ein ganzer Ort zwangsweise umzieht, damit unter ihm oder in unmittelbarer Nähe ein Konzern Braunkohle fördern kann. 83 Orte sind bislang auf diese Weise allein in der Lausitz verschwunden.

Als die Einwohner 1993 von dem Umsiedlungsplan erfuhren, begannen Jahre der Uneinigkeit, des Widerstands, der Zermürbung und Ernüchterung. 2006 war der letzte Bewohner umgezogen. Viele Umsiedler haben sich arrangiert, manche konnten sich sogar durch die Entschädigung von Vattenfall finanziell verbessern.

Doch vergessen haben sie nicht: Weder das Ehepaar Wirth, das die Umsiedlung nicht wollte, sich aber nicht wehrte. Noch der Lehrer Hagen Rittel, der lange gekämpft und irgendwann aufgegeben hat. Und besonders nicht der Widerständler Günther Bartusch, dem mit 84 Jahren zum zweiten Mal eine Umsiedlung droht. Ein Besuch.

Ute und Günter Wirth vor ihrem Haus in Neu-Haidemühl: Hier fühlen sie sich zu Hause, sagen sie. (Foto: Nakissa Salavati)

Pragmatismus

Ja, es fiel dem Ehepaar schwer, zu gehen, "vor allem mir", sagt die 73-jährige Ute Wirth. Aber warum sich jahrelang streiten, nur, um am Ende doch umzusiedeln? So war es bisher immer. Günter Wirth hat nicht lange gezögert. Er verbrachte Abende damit, einen Grundriss zu entwerfen. Am Ende stand der Plan des neuen Hauses, die Bäume zentimetergenau im Garten verzeichnet. "Wenn man nichts ändern kann, muss man vergessen", sagt der 74-Jährige.

Nur ist das Vergessen doch nicht so leicht. Das zeigen die Bilder vom alten Haidemühl an der Flurwand und die Foto-DVD mit dem Titel "Meine alte Heimat", die Günter Wirth auf dem Flachbildschirm abspielt. Haidemühl war einst ein kleines, aber bedeutendes Dorf: Ein Glaswerk stellte als einziges Unternehmen für die DDR Milchflaschen her, eine Brikettfabrik exportierte die Kohle ins Ausland. Dann kam die Wende. Die Fabriken schlossen, die Angestellten, meist Einwohner Haidemühls, wurden arbeitslos, viele verließen den Ort. Mitten in diesem Durcheinander kam die Nachricht: Die Bagger sollen bis ans Dorf vordringen, es soll weichen, weg. Heute stehen nur noch das Glaswerk und Betriebswohnungen, weil Vattenfall sich mit dem Eigentümer noch nicht geeinigt hat. Gras wuchert über die Gebäude, Unbekannte klauen immer wieder Backsteine, reißen Teile der Dächer ein.

Die Wirths erzählen: Vom Widerstand mancher Bewohner, dem sie sich nicht anschließen wollten. Von den Verhandlungen mit Vattenfall: Der Konzern entschädigt nach dem Prinzip, dass die Größe des alten Hauses taxiert und unabhängig von dessen Marktwert durch einen Neubau ersetzt wird. Details - wie etwa Bäume - sind Verhandlungssache. "Jeder hat privat mit dem Konzern ausgehandelt, was er als Entschädigung bekommt. Klar waren da diejenigen im Vorteil, die im Gemeinderat saßen, die Zugpferde der Umsiedlung." Über Entschädigungssummen sei nicht geredet worden, so hat es Vattenfall gefordert. Daran hätten sich alle gehalten, weil man ja vielleicht später doch noch eine Garage oder einen anderen Zaun heraushandeln musste. Da wollte man das Unternehmen nicht herausfordern, verschenken würde Vattenfall nämlich nichts, sagen die Wirths. Das Menschliche im Dorf habe gelitten, zermürbend sei das gewesen.

Wenn die beiden ihren täglichen Spaziergang machen - "für die Gesundheit" - dann laufen sie an all den bunten Neubauten vorbei, über die unverbrauchten Straßen, genießen die wohlige Ordnung. Das Neue sei jetzt ihre Heimat, sagen die Wirths. Dann zeigen sie noch ihre Sitzecke im Garten, zwischen ihren mitgebrachten alten Bäumen. Von dort aus können sie der Sonne beim Untergehen zuschauen. Das ging im alten Haidemühl nicht. Der Damm für die Briketteisenbahn versperrte ihnen die Sicht.

Kapitulation

Hagen Rittel ist nach der Umsiedlung sicher: In das alte Haidemühl zurückfahren, das will er nicht. Dann macht er es doch. Ausgerechnet in dem Augenblick, als ein Abrissbagger sein Haus zerstört, der Schornstein kracht aus dem Gebälk. Rittel knipst ein Foto. Und dann ist es auch gut so. Vorbei ist die Zeit im alten Ort, das Neue beginnt.

Hagen Rittel hat erst gekämpft, dann kapituliert und schließlich Bedingungen gestellt, auch für sein Haus in Neu-Haidemühl. (Foto: N/A)

Das war für Rittel nicht immer klar. Dass er kapituliert. Dass sein Protest gegen die Umsiedlung irgendwann in Akzeptanz, vielleicht sogar in Vorfreude umschlägt. Dass er nicht im ehemaligen Häuschen seiner Großmutter wohnen wird, sondern in einem Neubau mit Carport und großem Garten.

Der 48-jährige kämpfte lange im Gemeinderat gegen die Umsiedlung. So lange, bis er seine Meinung änderte. Einige hätten ihm das übel genommen, sähen ihn als Verräter, sagt Rittel. Das Umdenken kam, als das Dorf Horno nordöstlich von Cottbus wenige Jahre vor Haidemühl den Kampf gegen die Bagger verlor. Der Protest dort war laut gewesen, lauter als in Haidemühl. "Für mich wurde klar: Es ist nicht eine Frage der Argumente, sondern der Macht.", sagt Rittel.

Die SPD-geführte Landesregierung unter Manfred Stolpe stand im Fall Haidemühl dem Vorgängerkonzern von Vattenfall, der Laubag, nicht im Weg. Auch die heutige rot-rote Landesregierung hat sich für den Abbau des wichtigsten Energieträgers Deutschlands ausgesprochen, die Tagebauerweiterung Welzow Süd II durchgewinkt. Etwa 800 Menschen wären wieder von einer Umsiedlung betroffen.

Rittel stellte gemeinsam mit den anderen Haidemühlern Bedingungen, nicht nur, was seine eigene Entschädigung betraf. Grundschule und Kita sollten gebaut, die Vereine großzügige Räume bekommen. Auf all das haben sich die Bewohner im "Haidemühler Vertrag" mit Vattenfall geeinigt. Sozialverträgliche Umsiedlung heißt es, wenn die Bürger daran beteiligt werden, wohin und unter welchen Bedingungen sie ihre Heimat verlassen. Trotzdem: Auf der einen Seite standen die Vermittlungsprofis von Vattenfall, auf der anderen Seite Laien. Für sie waren Entschädigungen von 200 000 Euro sehr viel Geld.

Rittel sagt, er ist froh, dass alles vorbei ist. Kurz nach dem Umzug hätten sich er und seine Familie mit Arbeit im Garten betäubt. Eine Zeitlang habe er vom Geruch des alten Hauses geträumt. Doch das sei vergangen. Er hat mit seiner zweiten Frau noch einmal Kinder bekommen, seine Großmutter ist gestorben. Im neuen Haidemühl entstehen neue Erinnerungen.

Widerstand

"Zu Hause bin ich hier nicht", sagt Günther Bartusch über das neue Haus in Proschim. (Foto: Nakissa Salavati)

Günther Bartusch steht da in kurzer Jogginghose und Unterhemd und sieht trotzdem würdevoll aus. Der 84-Jährige fixiert sein Gegenüber mit Blicken, erhebt den Zeigefinger: "Sind Sie für oder gegen die Umsiedlung?" Er, so viel ist klar, ist dagegen.

Bartusch musste - genau wie die Wirths und Rittel - sein Haus der Kohle opfern. Obwohl er zwar nicht direkt in Haidemühl, aber seit seiner Geburt an der Ortsgrenze im Nachbardorf Proschim wohnte. Ins Neubaugebiet wollte er nicht ziehen, nun lebt er am anderen Ende seines Geburtsorts. Nicht weit genug weg von den Baggern, wie sich zeigt: 2026 soll nach Plänen von Vattenfall auch Proschim dem Tagebau Welzow Süd II weichen. Ein zweites Mal umsiedeln? "Das kann nicht sein. Das darf nicht sein", sagt er bestimmt, aber seine Schultern fallen ein. Eigentlich hätte er es ahnen können. Bereits während der Umsiedlung von Haidemühl war auch Proschim im Gespräch. Bartusch wollte aber unbedingt in seiner Heimat bleiben.

Es sind nur Momente der Hoffnungslosigkeit. Bartusch bekämpft sie, indem er an Protestcamps teilnimmt und sich mit anderen Widerständlern austauscht. Das sind seine Freunde, sagt er. Alle anderen nicht.

Günther Bartuschs Heimat, von Gras überwachsen: das Grundstück an der Grenze zu Haidemühl, wo einst sein Geburtshaus stand. (Foto: Nakissa Salavati)

Mit Sohn, Schwiegertochter und Enkel lebt auch er in einem Haus, das Vattenfall bezahlt hat, und sagt: "So schön's auch ist. Ich bin hier nicht zu Hause." Die Umsiedlung hat ihm, so empfindet es Bartusch, nicht nur die Heimat genommen: Seine Frau ist zwei Wochen nach dem Umzug gestorben, sie habe das nicht verkraftet. Er zögert nicht mit dieser Erzählung, er will zeigen, was ihn umgibt: Mit dem Auto umfährt er die Schranken, die der Konzern um das ehemalige Grundstück aufgestellt hat, klettert aus dem Pkw, stapft vorwärts, bleibt plötzlich stehen. "Hier war das Geburtshaus, da hat mein Sohn gelebt, dort war der Friseur, da hinten der Dorfladen", sagt Bartusch. Vor ihm erstreckt sich eine weite Fläche, mit hohem Gras bewachsen.

Er hat selbst Jahrzehnte in der Brikettfabrik gearbeitet, mit der Kohle sein Leben aufgebaut. Heute sagt er: "Wir haben mittlerweile Biokraftwerke, Windräder! Und sollen wegen der Kohle weg?" Das Energiewende-Paradox, von einem alten Mann im Unterhemd auf den Punkt gebracht.

© SZ vom 01.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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