Die "Zukunft" gibt es nicht mehr. Fast 50 Jahre lang wurde in dem gleichnamigen Tagebau bei Aachen Braunkohle gefördert, irgendwann war nichts mehr zu holen. Heute ist dort, wo einst Zukunft war, ein See. So wird es überall sein, irgendwann: in anderen Tagebauen des Rheinlands, in der Lausitz, in Mitteldeutschland. Früher oder später.
Früher oder später - der Kampf um diese Frage wird am Wochenende kulminieren. Dann ziehen Tausende Beschäftigte aus den Revieren zur Demo nach Berlin, "gegen den sozialen Blackout ganzer Regionen". Zeitgleich schließen Umweltschützer eine Menschenkette um den Tagebau Garzweiler, während Wissenschaftler in flammenden Appellen dafür werben, an den deutschen Klimaschutz-Zielen festzuhalten - auf Kosten der Kohle. Deutschland erlebt das Ende einer Lebenslüge.
Jahrelang beschworen deutsche Regierungsvertreter die Zukunft der Kohle, während sie parallel eine Energiewende forcierten und auf internationalen Klimakonferenzen den Vorreiter gaben. Braun- und Steinkohle, so hieß es stets, seien "auf absehbare Zeit unverzichtbar". Wörtlich steht es so auch noch im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die Wahrheit ist: Auf absehbare Zeit wird die Kohle Vergangenheit. Sie muss es sogar werden.
Die Kohle wird Vergangenheit. Das muss so sein.
Das Ende hat längst begonnen - durch den Verzicht auf Neubauten. Nirgends in Deutschland wird mehr ein Braun- oder Steinkohlekraftwerk geplant. Das liegt zum einen daran, dass es europaweit derzeit nicht zu wenige, sondern zu viele Kraftwerke gibt. Zum anderen aber können auch Strommanager rechnen: Wenn neue Windparks und Solaranlagen billiger Strom erzeugen als neue Kohleblöcke, dann wird sich ein Neubau kaum rechnen können. Als "Schattenkraftwerke", die in Flautenzeiten einspringen könnten, taugt die schwerfällige Kohlekraft auch nur bedingt. Und mit Klimazielen verträgt sie sich erst recht nicht: Wenn Deutschland bis 2050 mindestens 80 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen will als 1990, ist für die Kohle kaum noch Platz; dann muss vor allem von der so klimaschädlichen Braunkohle möglichst viel im Boden bleiben. Die Frage ist nicht mehr, ob Kohlekraftwerke und Tagebau auf Dauer verschwinden - sondern wie.
In dieser Lage hat der SPD-Chef und Energieminister Sigmar Gabriel ein überaus cleveres Modell vorgelegt. Es trifft die größten Kohlendioxid-Schleudern, nämlich ältere Braunkohlekraftwerke, fordert von ihnen einen zusätzlichen "Klimabeitrag". Das macht den klimaschädlichsten Strom teurer - zugunsten modernerer, effizienter Kraftwerke.
Klimabeitrag:Im Tagebau der Argumente
Der Wirtschaftsminister will die Leistung alter Braunkohlekraftwerke drosseln. Damit eckt er an.
Vor allem aber nennt Gabriel die Dinge beim Namen: Implizit macht er die Kohlekraft zur endlichen Technologie. Und das in Deutschland, wo die Kohle über Generationen Bedingung für Wohlstand und Arbeitsplätze war. Allein das erklärt den heftigen, teils überzogenen Widerstand der Gewerkschaften. 100 000 Jobs sehen Verdi und IG BCE in Gefahr, es drohe gar ein "Strukturbruch" in den Revieren.
Das Gegenteil ist der Fall. Nicht Gabriels Vorstoß bringt einen Strukturbruch, dafür ist der Klimabeitrag viel zu moderat bemessen. Nein, den Strukturbruch könnten die Gewerkschaften selbst heraufbeschwören - sollte es ihnen gelingen, die Pläne zu vereiteln. Je später und abrupter der Kohleausstieg kommt, desto schmerzhafter wird er. Etwa, wenn der EU eine Reform ihres Klimaschutz-Werkzeugs Emissionshandel gelingt, denn das könnte den CO₂-lastigen Strom erheblich verteuern. Oder erst recht, wenn immer mehr Privatleute sich lieber billigen Strom vom Solardach holen als teuren aus der Steckdose.
Keine ewige Zukunft vorgaukeln
All das ist so absehbar, wie es die Folgen des Klimawandels und einer unverminderten Verbrennung von Kohle mittlerweile sind. Verantwortliches Handeln läge darin, den Ausstieg aus der Kohle möglichst sanft und planvoll zu gestalten, den Strukturwandel in den betroffenen Regionen rechtzeitig abzufedern. Vor allem aber heißt es, den Beschäftigten nicht länger eine ewige Zukunft vorzugaukeln, die es nicht geben kann und nicht geben wird. Gabriel hat den ersten Schritt getan.
Nun muss die Kanzlerin auch einen tun. Anfang Juni will sie den Industriestaaten-Club G 7 auf den Klimaschutz einschwören, die Pläne ihres Vizekanzlers dürften ihr da ganz gelegen kommen. Sie stärken Deutschlands Glaubwürdigkeit im Kreis der Mächtigen, mehr noch: Sie könnten die "Klimakanzlerin" neu erstehen lassen. Zugleich aber sieht sie tatenlos zu, wie der Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion sich auf Gabriels Ideen einschießt, teils mit hanebüchenen Vorschlägen. Angela Merkel weiß genau, wie es um die Kohle bestellt ist. Es wird Zeit, dass sie ihr Schweigen bricht.