USA:Die Demokraten sollten der linken Versuchung widerstehen

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Alexandria Ocasio-Cortez ist zur Ikone der Demokraten geworden. (Foto: REUTERS)

Immer mehr Demokraten sehnen sich im Kampf gegen Trump nach ideologischer Reinheit und linker Politik. Aber um 2020 das Weiße Haus zu erobern, müssen sie die Mitte besetzen.

Kommentar von Hubert Wetzel, Washington

Vor vier Monaten haben die Demokraten in den USA eine Wahl gewonnen. Acht Jahre lang hatten sie in der Opposition geschmachtet wie in einem Kellerverlies, darunter zwei besonders scheußliche unter Präsident Donald Trump. Doch dann, an einem Dienstag im November - die Befreiung. Die Demokraten eroberten die Mehrheit im Abgeordnetenhaus zurück und damit ein wesentliches Stück der Macht in Washington.

Das war ein immens wichtiger Sieg. Er zeigte, dass es genügend Amerikaner gibt, die Trumps Drama satthaben, seine Lügen und sein spalterisches Geschwätz, und die um die Seele ihres Landes fürchten. Reihenweise verjagten die Wähler damals republikanische Abgeordnete und ersetzten sie durch Demokraten, vor allem aber durch Demokratinnen. Es war, als wollten sie einen Fehler aus der Vergangenheit zumindest notdürftig reparieren.

Doch der Sieg war auch für die Zukunft von enormer Bedeutung. Wenn die Demokraten die Lehren, die darin stecken, richtig deuten, dann kann dieser Wahlerfolg das Fundament für einen noch größeren und wichtigeren Triumph bei der Präsidentschaftswahl im November 2020 werden, durch den Trumps Herrschaft nicht nur eingedämmt, sondern beendet würde.

Trump hat die Republikaner so weit nach rechts gerückt, dass sie für viele unwählbar geworden sind

Sicher ist nach jetzigem Stand: Donald Trump ist 2020 schlagbar. Sicher ist aber auch: Nur zu hoffen, dass er sich in seinem Zerstörungsdrang schon irgendwie selbst besiegt, wird nicht reichen. Völlig unsicher ist leider, ob die Demokraten das wirklich verstanden haben.

Die Lehre aus der Wahl 2018 ist eigentlich simpel: Trump hat die Republikaner so weit nach rechts gedrückt, dass er und die Partei für viele alte Anhänger unwählbar geworden sind. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Enttäuschten zu den Demokraten überlaufen. Das tun sie nur, wenn diese ihnen das richtige Angebot machen. Das heißt: wenn sie Kandidaten aufstellen, die zu den Wählern passen anstatt in ein abstraktes linkes Schema. Den Demokraten ist es 2018 erstaunlich gut gelungen, solche Kandidaten zu rekrutieren. Das war der Grund, warum Dutzende Republikaner abgewählt wurden, selbst in konservativen Gegenden, in denen die Menschen zwei Jahre zuvor für Trump gestimmt hatten.

Die Frauen und Männer, die diese Siege errangen, waren so gut wie alle gemäßigte, pragmatische Mitte-Demokraten, darunter viele Quereinsteiger und Militärveteranen. Sie redeten über die Alltagsprobleme der Menschen, über zu hohe Krankenversicherungsprämien, zu teure Universitäten, zu schlecht bezahlte Jobs. Sie sprachen sich dafür aus, dass der Staat hilft, aber nicht dafür, dass der Staat alles bezahlt. Sie versprachen, zusammen mit den Republikanern Lösungen finden zu wollen. Von allzu ideologischen linken Forderungen wie der Abschaffung der Einwanderungsbehörde ICE oder einem Impeachment gegen Trump hielten sie sich fern. De facto verdanken die Demokraten ihren Wahlsieg also einem begrenzten Rechtsruck.

Mit dieser Strategie könnte die Partei auch in die Präsidentschaftswahl 2020 gehen. Die Demokraten müssen keine verkappten Republikaner werden, im Gegenteil: Gerade ihr Widerstand gegen Trumps Exzesse, ihr Beharren darauf, dass Amerika besser ist als der derzeitige Präsident, machen sie für viele Menschen zu einer Alternative. Aber die Demokraten sollten die politische Mitte, die sie im vorigen November erobert haben, nicht wieder räumen. Mag sein, dass manche Parteidogmen bei den Wählern dort nicht so beliebt sind. Dafür gibt es in der Mitte etwas Wertvolleres: Mehrheiten und Wahlsiege.

Eine dezidiert linke Linie macht es den Republikanern allzu leicht

Im Moment benehmen sich die Demokraten freilich so, als könnten sie gar nicht schnell genug zurück nach links fliehen. In der Öffentlichkeit dominiert das Phänomen AOC das Bild der Partei. Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die dieses Twitter-Kürzel zu ihrer Marke gemacht hat, ist einerseits wohl das größte politische Talent, das die Demokraten seit Barack Obama hervorgebracht haben; andererseits vertritt sie Ansichten, mit denen man in einem Fantasieschweden vielleicht Wahlen gewinnen kann, aber nicht in den USA. Dass ihre Forderung nach einem Green New Deal, einer radikalen linken Wende in der Umwelt-, Sozial-, Verkehrs-, Wirtschafts- und jeder sonstigen denkbaren Politik, für den Wahlkampf taugt, ist jedenfalls längst nicht bewiesen. Der spektakuläre Aufstieg von Ocasio-Cortez drückt die Sehnsucht vieler demokratischer Parteianhänger nach ideologischer Reinheit aus, so wie die Tea Party es einst auf der republikanischen Seite getan hat. Weil Trump ständig Amerikas Demokratie und Gesellschaft angreift, ist das verständlich.

Doch die Bewunderer von Ocasio-Cortez übersehen oft, dass ihr Idol nicht im Abgeordnetenhaus sitzt, weil sie einem Republikaner den Sitz weggenommen hat. Stattdessen hat sie in der Vorwahl einen Parteifreund besiegt und dessen sicheren demokratischen Wahlkreis geerbt. Mit der Machtübernahme im Abgeordnetenhaus hatte AOC nichts zu tun. In einem jener knappen Rennen, die andere, weniger linke Demokraten voriges Jahr gewonnen haben, wäre sie chancenlos gewesen.

Trotzdem hat Ocasio-Cortez es binnen zwei Monaten geschafft, fast alle Präsidentschaftsbewerber der Partei auf ihre dezidiert linke Linie festzulegen. Das Kandidatenfeld, aus dem die Demokraten den Gegner oder die Gegnerin von Trump auswählen werden, ist linksliberaler als je zuvor. Das macht es den Republikanern leicht, die älteste aller Keulen zu schwingen und vor Amerikas Absturz in den Sozialismus zu warnen, sollte Trump verlieren. Das ist absurd. Aber das heißt nicht, dass es nicht wirksam sein wird. Bis zur Präsidentschaftswahl sind es noch eineinhalb Jahre. In dieser Zeit kann viel passieren. Doch die Weichen werden jetzt gestellt. Und wenn die Demokraten dabei aufs falsche Gleis geraten, dann rauscht ihr Zug 2020 wieder gegen den Prellbock. Den Preis bezahlt dann die ganze Welt: vier weitere Jahre Trump.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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