Demos gegen Rechtsextremismus in Sachsen:Protest unter verschärften Bedingungen

Lesezeit: 3 min

Am vergangenen Sonntag demonstrierten im sächsischen Görlitz mehr als 2000 Menschen gegen Rechtsextremismus. (Foto: Sebastian Kahnert/DPA)

Verglichen mit Berlin oder München, wo Hunderttausende auf die Straßen gehen, wirken die Demos gegen Rechtsextremismus in Kleinstädten wie Zittau oder Meißen winzig. Doch gerade dort setzen die Organisatoren viel aufs Spiel.

Von Tim Frehler

Pfarrer Bernd Oehler brummt am Dienstagmorgen noch etwas der Kopf, wie er sagt. War ja auch einiges los am Vorabend: Da kamen mehrere Hundert Menschen auf den Marktplatz im sächsischen Meißen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Eine Blaskapelle spielte - und bevor die Demonstration losging, beteten sie gemeinsam in der Meißner Frauenkirche für den Frieden. Zu der Veranstaltung aufgerufen hatte der Verein "Buntes Meißen", Oehler ist dessen Vorsitzender. 700 Menschen seien es gewesen, sagt er. "Der Markt war richtig voll", zwischendurch habe es auch ganz schön geregnet, sagt Oehler. "Aber es blieben alle stehen." Rückblickend kommt er daher zu dem Schluss: Am Montagabend habe sich "die Bürgerlichkeit Meißens gezeigt".

Und Meißen war nicht die einzige kleine Stadt in Sachsen, in der es am Montag Menschen auf die Straße zog: In Freiberg und Zittau fanden ähnliche Veranstaltungen statt, bereits am Sonntag wurde unter anderem in Torgau, Pirna und Radeberg demonstriert. Auf dem Marienplatz in Görlitz sprach Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Keine dieser Städte hat mehr als 60 000 Einwohner.

Eine Aktivistin in Zittau bewacht ihr Grundstück nach Drohungen mit Videokameras

Verglichen mit den Teilnehmerzahlen aus München, Hamburg oder Berlin wirken die aus Meißen oder Zittau geradezu winzig. Doch ihre Bedeutung wächst, je näher man den Zahlen kommt. Schließlich ist es etwas anderes, in diesen kleinen ostdeutschen Städten eine solche Demonstration auf die Beine zu stellen.

Warum? Das zeigt ein Blick auf die politischen Verhältnisse. Beispiel Zittau: Die Stadt mit ihren etwa 25 000 Einwohnern liegt im Südosten Sachsens, an der Grenze zu Polen und Tschechien. Sie gehört zum Wahlkreis Görlitz, in dem sich bei der Bundestagswahl 2021 der Kandidat der AfD das Direktmandat holte, Parteichef Tino Chrupalla. Bundesweite Schlagzeilen machte die Stadt im vergangenen Frühjahr, als sich nach einer Demonstration gegen eine geplante Asylunterkunft aggressive Teilnehmer ins Rathaus drängten. Aufgerufen zu der Demonstration hatten damals die rechtsextremen "Freien Sachsen".

Was es unter diesen Bedingungen heißt, Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus zu organisieren, weiß Dorothea Schneider, Vorsitzende von "Augen auf - Zivilcourage zeigen" in Zittau. Der Verein kümmert sich um Demokratie- und Integrationsprojekte, gibt Workshops an Schulen oder organisiert Konzerte. Schneider ist seit mehr als zwanzig Jahren Mitglied im Verein, während dieser Zeit hat sie sich durchaus Feinde gemacht.

Ordner sollten die Demo vor rechten Gruppen schützen

So sei sie etwa von Fremden fotografiert worden, als sie mit ihren Kindern im Garten war, sagt Schneider. "Das wurde dann mit Adresse veröffentlicht." Mittlerweile wird ihr Grundstück daher mit Videokameras überwacht. Bei den ungewollten Fotos sei es nicht geblieben, auch die Reifen ihres Autos seien schon zerstochen worden, sagt Schneider. Sie vermutet, dass Rechtsextreme hinter alldem stecken.

Trotzdem hat sie nach den Correctiv-Recherchen zu einem Geheimtreffen von AfD-Mitgliedern mit Rechtsextremisten am Montagabend eine Veranstaltung in Zittau mitorganisiert - und zwar unter verschärften Bedingungen: Auf dem Marktplatz kamen nämlich nicht nur diejenigen zusammen, die ein Zeichen gegen Rechtsextreme setzen wollten, sondern auch eine Gruppe, die sich dort jeden Montag trifft und die ihre Anhänger aus dem Milieu von Verschwörungsideologen und extremen Rechten rekrutiert.

Auch daher galt für Dorothea Schneiders Demo das, was für ihr Haus gilt: verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. "Wir hatten Ordnerinnen und Ordner im Einsatz, die darauf geachtet haben, dass von der Gegenseite keine Leute zum Fotografieren kommen", sagt Schneider. Auch hätten sie große Regenschirme dabeigehabt, um Fotos zu verhindern.

Dorothea Schneider hat Demos für das ganze Jahr angemeldet

Die Teilnehmer, etwa 500 seien es am Montagabend gewesen, sagt Schneider, könnten mit einem guten Gefühl zu diesen Demonstrationen kommen, "weil wir mittlerweile ein gutes Team haben, das auf bestimmte Kriterien achtet". Etwa auf zwielichtige Gestalten am Rand der Veranstaltung. Schließlich gebe es in Zittau und der Region Jugendgruppen aus der rechten Szene "die sportlich und gewaltbereit in der Stadt unterwegs sind". Auch am Montagabend.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Genau für diese Fälle hätten sie aber ihre Ordner im Einsatz, sagt Schneider, die die Polizei auf solche Leute hinweisen würden. Die Beamten wiederum hätten dann gestern auch super gearbeitet, sagt Schneider. Damit alle nach der Veranstaltung auch wieder sicher abreisen konnten, meldeten die Organisatoren in Zittau eine Demonstration zum Bahnhof an. So konnten die Teilnehmer unter Begleitung der Polizei zu ihren Zügen kommen.

Die Bedingungen in den sächsischen Kleinstädten sind andere als in den großen Metropolen, abschrecken lassen will sich Dorothea Schneider davon aber nicht. Noch am Dienstag hat sie neue Demonstrationen in Zittau angemeldet - für jeden zweiten Montag, im ganzen Jahr 2024.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAnti-AfD-Demonstrationen
:Bröckelt da was?

Seit den Enthüllungen über das Treffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremisten in Potsdam gehen Zehntausende auf die Straße. Aber ändert das etwas an der Zustimmung zur AfD? Und wie blickt die Partei selbst auf die Proteste?

Von Tim Frehler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: