Debatte:EKD lehnt Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen ab

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Diakoniepräsident Ulrich Lilie ist einer der Autoren des umstrittenen Papiers. (Foto: Juergen Blume/imago/epd)

Ein Papier führender protestantischer Theologen regt an, entsprechende "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen". Die Evangelische Kirche Deutschland erwidert, Selbsttötung dürfe keine Option werden.

Von Annette Zoch, München

In der evangelischen Kirche ist eine Debatte um den Umgang mit Sterbehilfe entbrannt. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) distanzierte sich von einem Papier führender protestantischer Theologen, das am Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen war. "Jede organisierte Hilfe zum Suizid, die dazu beiträgt, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen wird, lehnt die Evangelische Kirche in Deutschland ausdrücklich ab", sagte ein EKD-Sprecher.

Die EKD setze sich für den Schutz des Lebens ein und stehe dabei auch an der Seite derer, die aufgrund von Erkrankung oder einer anderen Notsituation keinen anderen Ausweg als die Selbsttötung sähen. "Dass Menschen nur noch die Möglichkeit des Suizids sehen, ist immer eine tragische Grenzsituation, die die EKD und ihre Diakonie durch die Bereitstellung palliativer Versorgung, Seelsorge, Beratung und die Arbeit der Hospize zu verhindern versuchen."

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In dem Gastbeitrag hatten sich die Theologen dafür ausgesprochen, auch in kirchlichen Einrichtungen einen assistierten professionellen Suizid zu ermöglichen. Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Selbstbestimmung am Lebensende nachdrücklich betont habe, könne es eine Aufgabe kirchlich-diakonischer Einrichtungen sein, neben medizinischer und pflegerischer Versorgung auch "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen", so die Autoren. Dies könne bedeuten, "abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten".

Das Papier verfasst haben Reiner Anselm, Professor für evangelische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum, und Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland.

Umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 für nichtig erklärt und damit das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dazu gehöre auch die Freiheit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Jeder Einzelne solle als Mensch in seiner individuellen Würde in den Blick genommen werden, schreiben die Theologen. "In dieser Hochschätzung des Individuums und seiner Selbstbestimmung gibt es keine Differenz zwischen dem Urteilstenor des Verfassungsgerichts und der Position der evangelischen Ethik." Die Selbstbestimmung anzuerkennen bedeute nicht, jede Handlungsweise gutzuheißen. "Aber es bedeutet, den unterschiedlichen Formen, das eigene Leben zu gestalten, Respekt entgegenzubringen - auch wenn sich diese Gestaltung darauf bezieht, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen." Die Autoren warnen vor "entmündigender Bevormundung" und verweisen gerade kirchlich gebundene Mitarbeiter auf Matthäus 7, 1: "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet."

"Anstatt durch eine Verweigerung Suizidwillige dazu zu zwingen, sich auf die Suche nach - möglicherweise durchaus eigennützig und nicht im Interesse des Lebensschutzes handelnden - Organisationen zu machen, dürfte es sehr viel eher Ausdruck verantwortlichen Handelns sein, entsprechende Möglichkeiten durch besonders qualifizierte interdisziplinäre Teams in den Einrichtungen zuzulassen", schreiben die Theologen. Nur wenn Suizidwillige den Eindruck hätten, dass ihre Ängste ernst genommen und ihre Selbstbestimmung geachtet werde, seien sie vielleicht bereit, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Scharfer Widerspruch kommt auch von der katholischen Bischofskonferenz. Deren Sprecher sagte, den assistierten Suizid zu ermöglichen sei "nicht die richtige Antwort". Nicht die Hilfestellung zum Suizid, sondern die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven sei geboten. "Den subtilen Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, halten wir für eine große Gefahr."

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