Glücklich über die Reisefreiheit: DDR-Bürger auf der Berliner Mauer am 10. November 1989.
(Foto: dpa)Sie hingegen wurden Opfer einer der intensivsten Mobbingmaßnahmen der Stasi. Was hat man mit Ihnen gemacht?
Ich gehörte ja vor meiner Zeit in der Opposition zu den Elite-Kadern. Deswegen auch der Titel meiner Akte: Verräter. Für die war ich der Ausgestiegene, der Renegat, der Verräter. Den kleinzukriegen, den mürbezumachen, darauf hat die Stasi eine ziemliche Anstrengung verwandt. Es ist ihnen nicht gelungen. Aber der Preis, den ich damit meiner Familie zumutete, war hoch. Sie machten das Alltagsleben kaputt. Dazu gehörte es etwa, Romeos (Agenten, die sich gezielt an Frauen heranmachen sollten - Anm. d. Red.) auf die Frauen der Oppositionellen anzusetzen. Oder unseren Kindern in den Schulen Druck zu machen. Uns wurden alle Berufschancen genommen, unsere Familien wurden in Sippenhaft genommen. Die meisten von uns mussten sich als soziale Parias durchschlagen.
Wie hält man diese extreme Minderheitenposition aus?
Mit einer Gegenwelt. Eine, in der andere Maßstäbe gelten. Wie dieser: Wir helfen uns in jeder Situation. Wenn einer wirklich nicht mehr durchkam, dann wurde auch Geld gesammelt. Oder sich gegenseitig gestützt, getröstet. Wir feierten die wildesten Feten. Jeder Geburtstag wurde zu einem Gruppentreffen, Kindergeburtstage verwandelten sich in politische Veranstaltungen. Das war ein eigener sozialer Raum, der weit über '89 hinaus funktionierte. Dazu gehörte politischer Streit genauso wie ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Zu wissen, wie viel schwerer und härter die Bedingungen für andere waren, die Ähnliches in anderen Ländern wollten. Wenn ich an die sowjetischen Dissidenten denke: Der Gulag existierte bis in die 80er Jahre unter Gorbatschow, da gab es Hungerrevolten, Menschen kamen ums Leben. Da sind wir noch glimpflich davon gekommen.
Was hätten Sie sich im Herbst 89 erträumt?
Dass es einem Land wie der Ukraine gelungen wäre, einen ähnlichen Reformweg einzuschlagen wie Polen. Was mir ukrainische Freunde häufig sagen: Dass sie genau das damals wollten und noch mehr als 20 Jahre warten mussten. Dass es jetzt wirklich konsequent auf diesen Weg geht. Die Chance dieser ganzen Region wird allerdings davon abhängen, wie lange sich Russland diesem Weg in Demokratie, in den Rechtsstaat, noch verweigert.
Ist die Maidan-Bewegung mit der DDR-Bürgerrechtsbewegung vergleichbar?
Im großen historischen Sinne ja. Es gab bereits 89 Unabhängigkeitsbestrebungen in der Ukraine. Viele fragten sich: Warum soll das, was die Polen, was die Deutschen können, bei uns nicht auch möglich sein? Es kam aber nicht dazu. Die Ukraine blieb eine Art Zwitterwesen, ein unabhängiger post-sowjetischer Staat. 2004 dann kam der erste Anlauf, der mich auch schon an 89 erinnerte. Und jetzt, zehn Jahre später, haben wir wieder eine solche Situation. Und da habe ich - bei aller Verschiedenheit sehr, sehr ähnliche Bilder vor Augen.
Was meinen Sie damit?
Die Gewalt, die kriegerische Auseinandersetzung hätte auch bei uns kommen können. Die Panzer standen 1989 bereit. Das war überhaupt nicht gesetzt, dass die Revolution so friedlich verlaufen würde. Für mich drängen sich da viele Parallelen auf. Auch in der Mentalität der Maidan-Kräfte. Ich erkenne mich da in der eigenen Biographie wieder.
Bei der Wahl in der Ukraine wurde die Partei der Maidan-Aktivisten drittstärkste Kraft. Was raten sie ihnen für die künftige politische Arbeit?
Seid bereit zu Kompromissen, aber wachsam wie ein Luchs, wenn ihr sie eingeht. Lasst euch keinen Moment einwickeln. Lasst euch nichts vormachen von denjenigen, die auf der anderen Seite einen Kompromiss mitgestalten wollen. Was sind deren Interessen, wer sitzt euch gegenüber, was erzählen sie, was haben sie noch in der Hinterhand? Und für diejenigen, welche Teil der zivilen Gesellschaft geblieben sind. Bleibt euren Weggefährten in der Politik intensiv auf den Fersen. Lasst das Band zwischen euch nicht zerreißen. Man braucht im höchsten Maße die Bewusstheit der eigenen Geschichte, um weiterzukommen.