Wer die Augen schließt und dem Redner zuhört, der könnte sich in einer Megachurch in irgendeiner Großstadt wähnen. "Die größte Kraft, die es in der Welt gibt, ist die Liebe", sagt dieser enthusiastisch. Das eigene Land, die USA, sei nicht entstanden, weil alle gleich ausgesehen und zum gleichen Gott gebetet hätten, sagt er. "Ich will nichts 'weißwaschen', es gab schlimme Zeiten voller Hass und Sexismus, aber die haben wir überwunden dank der Liebe", ruft er.
Wer die Augen öffnet, der sieht einen schlanken, glatzköpfigen Mann auf der Bühne des riesigen Convention Center in Austin herumlaufen. Es ist Cory Booker und der demokratische Senator hält die Eröffnungsrede der "South by Southwest" (SXSW), dem wichtigsten Technik-Festival der Welt. Leidenschaftlich erinnert der Afroamerikaner an die Fähigkeit der Amerikaner, den Hass zu überwinden und zitiert ein afrikanisches Sprichwort: "Wenn du schnell vorankommen willst, dann geh allein. Wenn du aber weit kommen willst, geh gemeinsam mit anderen."
Bookers Botschaft ist der größtmögliche Gegensatz zum Weltbild von US-Präsident Donald Trump, der im Wahlkampf Latinos, Frauen und Behinderte beleidigte und beim Amtsantritt ein "amerikanisches Blutbad" beklagte. Trumps Person und seine Politik (besonders die angedrohten Abschiebungen und d er Einreisebann) bestimmen die Diskussionen dieser SXSW, doch kein Spitzen-Republikaner traut sich nach Austin. Hierher reisen Kreative aus aller Welt und auf den Toiletten stehen Solidarität-Schilder mit Transgender-Aktivisten in Texas.
Der Senator spricht also vor einem Saal von Bekehrten, die er nicht mehr überzeugen muss - eine typische Situation für die USA 2017, in der Dialog zwischen den Lagern selten stattfindet.
Für Booker reicht Verständnis für andere Meinungen aber nicht aus: "Amerika braucht mehr Liebe, Toleranz ist nicht genug." Toleranz bedeute nicht mehr als die Straßenseite zu wechseln, doch man scheue die Auseinandersetzung. Booker verachtet Trump, aber er will auf dessen Wähler zugehen: "Die einzige Rettung ist, uns gegenseitig zu lieben."
Nach 20 Minuten endet der Vortrag mit langem Applaus, danach spricht Booker mit der Google-Bürgerrechtsbeauftragten Malika Saada Saar. Er wolle die aktuelle Lage nicht beschönigen, sagt er: "Niemals habe ich ein solches Klima der Angst in diesem Land erlebt." Er erinnert aber auch an strukturelle Missstände: Jeder fünfte Häftling weltweit sitzt in einem US-Gefängnis. Er warnt die Liberalen davor, Trumps Sieg falsch zu interpretieren: "So etwas passiert nur, wenn sich die Leute nicht engagieren."
Fluch und Segen: Der Vergleich mit Ex-Präsident Obama
Diese Sätze klingen nach einem Spruch, mit dem Barack Obama seine Fans zum Wählen aufrief: "Don't boo, vote." Vergleiche mit dem Ex-Präsidenten ( er war 2016 Star der SXSW) verfolgen den 47-Jährigen seit Jahren, auch wenn sie nicht ganz präzise sind. Der Rede-Stil des Senators erinnert an einen Prediger und er ist deutlich emotionaler und extrovertierter als der coole "No Drama Obama", doch beide können Millionen inspirieren.
Bookers Biographie ist ähnlich beeindruckend wie die Obamas. Er wuchs in einem Vorort in New Jersey auf, war exzellenter Football-Spieler und besuchte die Elite-Unis in Stanford und Oxford, bevor er zum Jura-Studium an die Yale Law School ging. Er arbeitete für Bürgerrechtsorganisationen und engagierte sich im Stadtrat der heruntergekommenen Großstadt Newark. Dort trat er zehn Tage lang in Hungerstreik, um auf das Armutsproblem aufmerksam zu machen.
Mit 37 wurde er 2006 zum Bürgermeister gewählt und sofort landesweit bekannt: Er forderte die Menschen auf, ihn via Twitter auf Probleme hinzuweisen. Eigenhändig schaufelte er Einfahrten frei und war - ganz Medienprofi - dabei, wenn die Feuerwehr hilflose Katzen befreite. Schon 2013 schwärmte er bei SXSW davon, wie soziale Medien das Verhältnis von Bürgern zu Politikern revolutionieren werden. Als kurz darauf Senator Frank Lauterberg starb, gewann Booker die Nachwahl; seither vertritt er New Jersey im US-Senat.
Kritik an Booker: Elitär, abgehoben, zu nah an der Wall Street
Die SXSW-Eröffnungsrede ist fulminant und lässt die Augen der Zuschauer leuchten, die Cory Booker nie live erlebt haben. Die Aufforderung aus dem Publikum, 2020 unbedingt fürs Weiße Haus zu kandidieren, kontert er professionell: Er schließe nichts aus, aber wichtiger als alle Ämter sei es, gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten zu kämpfen und die Welt zu verbessern.
Doch wer die Karriere des Shootingstars genau verfolgt, der sieht einen charismatischen Politiker, der die aktuelle Misere der Demokraten gut verkörpert. Booker ist inspirierend und sehr telegen, doch seine Bilanz mehr als durchwachsen. Es gelang ihm trotz Dauer-Erreichbarkeit und vielen Tweets nicht, Newark zu modernisieren und den Lebensstandard der Bürger zu verbessern ( laut Daily Beast ist der "Super-Bürgermeister" nur ein Mythos).
Und trotz seiner glänzenden Rhetorik ist er in der Praxis vielen nicht progressiv genug: Erst im Januar wurde Booker heftig dafür kritisiert, dass er gegen ein Gesetz stimmte, dass den Import verbilligter Medikamente aus Kanada erlaubt hätte - der Schutz der Pharma-Industrie in New Jersey war ihm wichtiger als eine Entlastung der ärmsten Amerikaner.
Bei einem Technik-Festival wie der SXSW kommt Cory Booker mit seiner Eloquenz und seiner Begeisterung für Innovationen bestens an, mit Sätzen wie: "Mit einem Facebook-Post erreiche ich mehr als mit einer Rede vor dem Senat" oder "Die Regierung behindert mit zu vielen Auflagen die Tech-Firmen bei der Arbeit". Doch der 47-jährige Veganer scheint der Falsche zu sein, um 2020 jene einst industriell geprägten Staaten im Mittleren Westen für die Demokraten zurückzugewinnen.
Booker ist als Yale und Stanford-Absolvent Teil genau jener Eliten, die viele ablehnen und als abgehoben empfinden. Dass er mit TV-Star Oprah Winfrey oder Regisseur Spike Lee befreundet ist, beeindruckt in Youngstown, Ohio niemand. Die Menschen dort könnten Booker hingegen abschreiben, wenn sie erfahren, dass er in seiner Zeit als Bürgermeister in Newark weiter Geld von seiner Anwaltskanzlei erhielt: fast 700 000 Dollar.
Booker glaubt an Bildung als Allheilmittel
Dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg den Schulen seiner Heimatstadt Newark 100 Millionen spendete, priesen Medien an der Ost- und Westküste als extrem innovativ - allerdings sind auch hier die Erfolge äußerst mau und anstatt die Summe in öffentliche Schulen zu stecken, wurden vor allem private charter schools gefördert. Auch Booker gehört zu jenen Demokraten mit eben jenem Bildungsfetisch, den Autor Thomas Frank für die Entfremdung der Partei von der Arbeiterklasse verantwortlich macht - und es dürfte ihm äußerst schwer fallen, glaubwürdig den Freund der working class zu verkörpern.
Trotz aller Kritik: Wenn sich der Ausnahmeredner Cory Booker dafür einsetzt, das US-Justizsystem zu reformieren und Mindeststrafen für Drogenbesitz zu senken (darunter leiden vor allem Schwarze und Latinos), dann zeigt das Wirkung. Er hat knapp drei Millionen Twitter-Follower hinter sich und kann Themen alleine setzen. Dass er mit alten Regeln brach und im Senat bei der Anhörung von Nun-Justizminister Jeff Sessions aussagte und davor warnte, dass dieser die Rechte von Homosexuellen, Frauen, Latinos und Afroamerikanern nicht garantieren werde, verdient Anerkennung.
Sollte Cory Booker 2020 ins Rennen ums Weiße Haus einsteigen (sein Ehrgeiz und seine bisherige Karriere sprechen dafür), dann dürfte er nur Siegchancen haben, wenn er die liberalen Amerikaner sowie Latinos und Afroamerikaner mindestens genauso gut mobilisiert wie Obama. Von "Liebe" für die Trump-Fans ist dann womöglich sehr viel weniger zu hören.