Corona-Krise:Übernachtungsverbote auf dem Prüfstand

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Der Tourismus leidet unter der Corona-Pandemie. (Foto: dpa)

Aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft gibt es weiter starke Kritik an den geltenden Regeln zu Beherbergungen. Kanzlerin Merkel will sie am Mittwoch mit den Länderchefs diskutieren.

Von Felix Hütten, Wolfgang Janisch und Kristiana Ludwig, Berlin/Karlsruhe/München

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will über das umstrittene Beherbergungsverbot, das mittlerweile in vielen Bundesländern für Besucher aus innerdeutschen Corona-Risikogebieten gilt, am Mittwoch mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten diskutieren. Das kündigte ihr Sprecher Steffen Seibert am Montag an. Merkel wolle sich die Argumente aller Seiten anhören, sagte er.

Zuletzt hatten etwa Armin Laschet (CDU) aus Nordrhein-Westfalen und Michael Müller (SPD) aus Berlin die Regelungen infrage gestellt. Aus der Wissenschaft war Kritik laut geworden, wie etwa von dem Hamburger Virologen Jonas Schmidt-Chanasit. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband kündigte am Montag eine Klage gegen das regionale Beherbergungsverbot an.

Am Montagabend äußerte sich auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kritisch. "Wenn es um Mobilität geht und keine einheitlichen Regeln da sind, untergräbt das massiv die Akzeptanz", sagte er bei einer Veranstaltung von Süddeutscher Zeitung und Ifo-Institut. Es sei "ganz, ganz wichtig, dass wir am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten auf eine einheitliche Linie kommen".

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Die Auseinandersetzungen über geltende Corona-Regeln in Deutschland werden nach Ansicht der Polizeigewerkschaften immer aggressiver geführt. Der Bundespräsident ist derzeit in Quarantäne, ein erster Test fiel aber negativ aus.

Grundsätzlich, sagte Seibert, wolle man sich bei künftigen Schutzmaßnahmen aber weiter an den regionalen Fallzahlen orientieren. Die Infektionszahlen seien der Maßstab dafür, "ob die wichtigste Aufgabe, nämlich die Kontaktnachverfolgung weiterhin leisten zu können, noch erbracht werden kann oder nicht". Jetzt sei "die Zeit, in der sich entscheidet, ob wir uns erfolgreich gegen diese Entwicklung stemmen können oder ob uns die Zahlen in Richtung Winter und Weihnachten davonlaufen".

Die Gerichte dürften die Beherbergungsverbote durchaus kritisch beurteilen. Sollte sich herausstellen, dass das Reisen gar nicht maßgeblich zur Ausbreitung des Virus beiträgt, wäre dies ein starkes juristisches Argument. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beispielsweise beanstandete bereits Ende Juli das Verbot der Beherbergung von Gästen aus Risikogebieten als unverhältnismäßig - weil der von der Politik veranschlagte Grenzwert von 50 Infizierten pro 100 000 Einwohner in einer Woche zu pauschal sei. Jedenfalls dann, wenn das Infektionsgeschehen auf einen Betrieb oder einen Wohnblock begrenzt ist. Die frühen Beherbergungsverbote, die bis in den Mai andauerten, waren dagegen beispielsweise von Oberverwaltungsgerichten in Magdeburg und Berlin bestätigt worden; sie hielten sich innerhalb des Einschätzungsspielraums der Verwaltung.

Übernachtungen offenbar ohne großen Einfluss auf die Pandemie

Und tatsächlich spricht aus wissenschaftlicher Sicht nicht viel dafür, dass Übernachtungsverbote einen großen Einfluss darauf haben, die Pandemie einzudämmen. Zwar ist es zunächst naheliegend, dass Menschen, die viel unterwegs sind, in Bahnhöfen, Hotellobbys oder Autobahnraststätten auch eher auf eine infizierte Kontaktperson treffen. Zu Hause bleiben schützt. Doch was gegen das individuelle Risiko einer Infektion hilft, lässt sich nicht unbedingt als sinnvolle Maßnahme auf die Gesellschaft übertragen. Bereits im April zeigte eine Analyse im Fachblatt Science, dass etwa Reiseverbote für die Einwohner Wuhans das Virus nur leicht bremsen konnten. Es zirkulierte vor Ort bereits zu sehr.

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Und diese Freiheit ist eben keine weiche Knetmasse, die sich jedem noch so unplausiblen Konzept zur Pandemiebekämpfung anpasst. Die Gerichte sollten den Mut aufbringen, Verbote zu kippen, wo sie auf schwachen Beinen stehen.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Zu einem ähnlichen Fazit kommen Experten des renommierten Cochrane-Netzwerks in einer Auswertung bestehender Studien zu Reisebeschränkungen. Sie fanden lediglich leichte Hinweise darauf, dass grenzüberschreitende Reisebeschränkungen die Zahl der Neuinfektionen reduzieren. Auch zweifeln viele Experten an dem Sinn von Übernachtungsverboten. Zwar fehlen bislang belastbare Daten zu der Rolle von Hotels im Infektionsgeschehen. Wenn die Hygieneauflagen, etwa für Lobby oder Frühstücksraum, eingehalten werden, scheinen sie bislang aber nicht gefährlicher zu sein als andere öffentliche Orte wie etwa U-Bahnen oder Bibliotheken.

Wesentlich bedrohlicher sind Studien zufolge Zusammenkünfte vieler Menschen in engen, geschlossenen Räumen. Das Robert-Koch-Institut hat "Feiern im Familien- und Freundeskreis" als eine der wichtigsten Ursachen für den aktuell "beschleunigten Anstieg" ausgemacht. Berlin und Frankfurt reagierten bereits mit einer nächtlichen Sperrstunde und Alkoholverbot. In München gelten von Mittwoch an Maskenpflicht in Teilen der Innenstadt und ein Alkoholverbot in der Gastronomie nach 22 Uhr.

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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