Pandemie:"Wir können es so nicht laufen lassen"

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat beim Corona-Briefing in der Bundespressekonferenz keine guten Nachrichten. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Gesundheitsminister Lauterbach beschreibt die Corona-Lage als kritisch und appelliert an die Bundesländer, strenge Schutzmaßnahmen zu beschließen. An Ungeimpfte spricht er eine Warnung aus.

Von Angelika Slavik, Berlin

Es ist ein Szenario, das man in dieser Pandemie schon unzählige Male gesehen hat: Der Bundesgesundheitsminister lädt zum Corona-Briefing in die Bundespressekonferenz. Neben ihm sitzt dann immer Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts. Dann und wann bitten sie noch wechselnde Experten dazu, in dieser Woche ist das Susanne Johna, die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund.

Am Freitagmorgen sitzen diese drei also an dem unvermeidlichen Holzpult, mit dem unvermeidlichen Corona-Abstand, vor dem unvermeidlichen blauen Hintergrund. Die Fotos, die die Fotografen machen, werden am Ende genauso aussehen wie die vom letzten und vom vorletzten und vom vorvorletzten Mal. Trotzdem ist die Lage fundamental anders.

Das RKI vermeldet an diesem Freitag eine Inzidenz von 1756, aktuell werden jeden Tag etwa 300 000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus registriert. Verliert Deutschland die Kontrolle über die Pandemie? "Es ist leider keine gute Situation", sagt Karl Lauterbach. Zumal viele Infektionen ja gar nicht erfasst würden: Es sei davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl der Neuinfektionen mehr als doppelt so hoch sei. "Alles in allem ist das eine Situation, wo wir unmittelbar und schnell reagieren müssen." Täglich etwa 300 Tote könne man nicht akzeptieren: "Wir können es so nicht laufen lassen."

Der Gesundheitsminister ist in einer komplizierten Lage: Erst vergangene Woche verabschiedete die Ampel-Koalition das neue Infektionsschutzgesetz, das eigentlich das Ende fast aller Schutzmaßnahmen vorsieht. Es sei rechtlich nicht mehr möglich, bundeseinheitliche Maßnahmen durchzusetzen, wenn die Bedrohung der Gesundheitsversorgung nicht bundesweit einheitlich sei, argumentiert Lauterbach.

Der Druck in den Kliniken kommt von zwei Seiten

Aber eben deshalb gebe es ja im Gesetz die Hotspot-Regelung: Wenn die Landtage feststellen, dass es die Situation erfordere, seien an Orten mit hohen Infektionszahlen weiterhin scharfe Schutzmaßnahmen möglich. Und wenn ein komplettes Bundesland diese Maßnahmen benötige, könne es auch als Ganzes zum Hotspot erklärt werden - so wie es etwa in Mecklenburg-Vorpommern die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) plane. Diese Regelung sollten die Länder nun bitte nutzen, appelliert der Minister. Denn: Einfach abzuwarten und zu hoffen, dass mit dem besseren Wetter auch die Inzidenzen fallen würden, sei nicht genug.

Die Ärztevertreterin Johna lässt keinen Zweifel daran, dass die Anwendung der Hotspot-Regelung angemessen wäre: Es gebe in allen Bundesländern coronabedingte Probleme in Krankenhäusern. Die Uniklinik in Münster etwa biete im Wesentlichen nur noch eine Notfallversorgung an. Insgesamt müssten Dreiviertel aller Krankenhäuser ihre Angebote einschränken.

Der Druck komme von zwei Seiten: Da sind die Corona-Patienten, die aufwendig versorgt werden müssen. Und da ist die wachsende Zahl von Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern, die selbst erkrankt oder in Quarantäne sind. Mehr Patienten, weniger Personal - die Lage sei angespannt, sagt Johna. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass hinter den Zahlen der Corona-Statistik Schicksale stünden. Menschen, die gegen das Virus kämpfen. Angehörige, die sich Sorgen machen. Angehörige, die trauern.

Um die Pandemie irgendwann doch zu einem Ende zu bringen, brauche man eine höhere Impfquote, da ist sich die Runde einig. Aktuell seien vor allem die Ungeimpften in der Altersgruppe der über 60-Jährigen gefährdet: RKI-Chef Wieler beziffert diese Gruppe auf 2,2 Millionen Menschen in Deutschland. So wie das Virus derzeit grassiere, sei es fast unmöglich, ohne Immunschutz einer Infektion zu entgehen, sagt Lauterbach. Er rate deshalb dringend auch jetzt noch zu einer Impfung. Schon die erste Dosis verringere das Risiko, schwer oder tödlich an Covid-19 zu erkranken, deutlich.

"Diese Welle wird nicht die letzte Welle sein"

Auch die Gruppe der über 70-Jährigen, denen eine vierte Dosis empfohlen werde, müsse offensiver angesprochen werden, kündigt der Minister an. Bislang seien erst zehn Prozent ein viertes Mal geimpft, auch hier müsse man ansetzen.

RKI-Chef Wieler versucht noch einmal, die Dimensionen der aktuellen Corona-Welle zu verdeutlichen: Binnen einer Woche wurden drei Prozent der Bevölkerung positiv getestet. Sehr viele Menschen seien aktuell erkrankt, entsprechend hoch sei die Gefährdung, sich anzustecken. Viele der rund 300 Todesfälle, die es jeden Tag zu beklagen gebe, hätten durch eine Impfung vermieden werden können, sagt Wieler. Die Idee, man habe es jetzt zwei Jahre durch die Pandemie geschafft, ohne sich anzustecken, deshalb könne das auch weiterhin gelingen, sei trügerisch. Der Infektionsdruck sei enorm - und die Pandemie längst nicht vorbei. "Diese Welle wird nicht die letzte Welle sein."

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