Debatte um Corona-Regeln:Auf Abstand bedacht

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"Derzeit sehr unterschiedlich": Die Infektionszahlen liegen in den einzelnen Bundesländern weit auseinander, aber auch die Regeln für den Umgang mit der Pandemie - etwa bei der Maskenpflicht in Schulen. Im Bild das Rheingau-Gymnasium in Berlin. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Gespräche ja, Zugeständnisse nein - viele Bundesländer wollen auf ihren ganz eigenen Vorschriften beharren. Am Donnerstag gibt es einen neuen Anlauf, einheitliche Antworten zu finden.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Als Heiner Garg, der Gesundheitsminister von Schleswig-Holstein, am Montagabend vor die Journalisten tritt, ist er deutlich später dran als erwartet. Erst gab es technische Probleme in der Telefonkonferenz der sechzehn Landesgesundheitsministerinnen und -minister, dann folgten Diskussionen. Zum Beispiel über die Frage, ob und wie man in Deutschland während dieser Pandemie miteinander feiern darf. Im Freien oder drinnen, mit einer Obergrenze für Gäste oder nur mit Hygienekonzept? "Da gehen die Meinungen nach wie vor relativ bunt durch die Bundesländer", fasst Garg zusammen. Das sei "zum Teil auch dadurch begründet, dass das Infektionsgeschehen derzeit sehr unterschiedlich ist": In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gebe es im Moment nur wenige Corona-Fälle, jedenfalls im Vergleich zu Bayern oder Baden-Württemberg.

Für den FDP-Minister Garg ist die Sache deshalb klar: Er habe nichts dagegen, über bundeseinheitliche Corona-Regeln zu sprechen - solange dabei nicht herauskomme, dass Schleswig-Holstein seine recht strengen Vorgaben für private Treffen lockern müsste. Wer in Kiel oder Lütjenburg seinen Geburtstag oder eine Hochzeit feiern will, darf derzeit maximal 50 Gäste bewirten. Garg sagt: Abstimmung mit anderen Ländern ja, Zugeständnisse nein. Und damit ist er nicht allein.

"Deshalb müssen wir testen“: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder besteht darauf, dass Urlaubsheimkehrer aus Risikogebieten weiterhin untersucht werden - Teststation an der Raststätte Hochfelln-Nord an der Autobahn A 8. (Foto: Ernst Wukits/imago images)

Spahns Fokus liegt gerade auf den Tests - weil die Materialien knapp werden

In der Videokonferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten am Donnerstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte keine Frage für so viel Streit sorgen wie die der privaten Treffen. Berlin, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz sind für eine einheitliche Obergrenze bei Familienfeiern, Partys oder Hochzeiten, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Mecklenburg-Vorpommern lehnt das ab. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte am Wochenende im WDR: "Im privaten Haushalt hat die Politik bisher nie irgendetwas verboten." Auch Hochzeiten dürften jetzt, "nachdem sie Monate verboten wurden, wieder stattfinden". Im Augenblick erlaubt Nordrhein-Westfalen solche Feierlichkeiten mit bis zu 150 Teilnehmern. Bei dieser Frage werde er sich deshalb "im Zweifel nicht" mit den anderen Ländern verständigen, sagte Laschet.

Andere Länder, darunter Bayern und Baden-Württemberg, ziehen dagegen eine Verschärfung der Auflagen für private Feiern in Erwägung. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ließ zuletzt deutlich anklingen, wie er Partys zu Corona-Zeiten findet. "Die Wahrheit ist", das hätten ihm Gastwirte im Münsterland erklärt: "Nach dem dritten Bier ist es selbst bei einer Zwanzigergruppe fast unmöglich, dass alle die Regeln einhalten." In seinem Beschlussvorschlag, den er Anfang der Woche schon einmal seinen Ressortkollegen in den Bundesländern vorlegte, sparte er dieses schwierige Thema trotzdem aus.

Spahns Fokus lag vielmehr darauf, die Massentests von zurückgekehrten Urlaubern, die er erst vor etwas mehr als zwei Wochen per Verordnung eingeführt hat, zum Ende der Sommerferien wieder einzustellen. Längst erreichen sein Haus Meldungen über knapp gewordene Testmaterialien und überlastetes Personal. In einer Mehrheit der Bundesländer sahen die Gesundheitsminister das ähnlich. Statt gleich getestet zu werden, sollten Menschen, die aus Risikogebieten einreisen, erst einmal fünf Tage in Quarantäne, so der Vorschlag. Auch die kostenlosen Tests für Rückreisende ohne Symptome sollen laut Spahn wieder fallen.

Dinner am Mittelkreis: Hochzeitspaare und jeweils vier Begleitpersonen speisten am Sonntag unter in Herzform angeordneten Baldachinen auf dem Rasen des Stadions des 1. FC Köln, selbstverständlich unter Einhaltung aller Abstandsregeln. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Was für eine Stadt wie Berlin plausibel klingt - man sei hier mit den Kapazitäten am Anschlag, hieß es -, ist allerdings für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) alles andere als ausgemacht: "Bayern will das nicht", sagt er. "Corona ist gefährlich, die Infektionszahlen schnellen hoch, deshalb müssen wir testen."

Wenn die Kanzlerin ihre Schalte am Donnerstag mit einem einheitlichen Ergebnis beschließen will, werden sie und die Landeschefs Bayern entgegenkommen müssen. Vielleicht mit einem Kompromiss an anderer Stelle, denn Söder fordert zugleich "eine einheitliche Maskenpflicht", für ganz Deutschland, und zwar "nicht nur in der Bahn": Man müsse darüber nachdenken, das Tragen einer Maske "an einigen Stellen" und "in den nächsten ein, zwei Monaten" noch zu verstärken, sagte er. Auch die Bußgelder sollten bundesweit die gleichen sein, findet er. Wer in Bayern ohne Mund-Nasen-Schutz erwischt wird, soll bald 250 Euro zahlen. Bei wiederholten Verstößen drohen gar 500 Euro. In Brandenburg oder Sachsen-Anhalt kostet ein Ausflug ohne Mund-Nasen-Schutz dagegen nichts - und so soll es auch bleiben, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).

Kommen jetzt Reihentests für die Beschäftigten in Kliniken und Pflegeheimen?

Die Schalte der Regierungschefs dürfte also ungemütlich werden, obwohl die steigenden Infektionszahlen innerhalb und außerhalb der deutschen Grenzen jetzt eigentlich einen guten Plan erfordern. Im jüngsten Lagebericht warnt das Robert-Koch-Institut vor zunehmenden Ausbrüchen in Heimen, Krankenhäusern, Flüchtlingsunterkünften, bei Familienfeiern, Gottesdiensten und "insbesondere" Reiserückkehrern. Immer mehr Urlaubsregionen wie die Balearen oder die Côte d'Azur gelten jetzt als Risikogebiete. "Diese Entwicklung ist sehr beunruhigend und nimmt an Dynamik zu", heißt es. Nun müsse man verhindern, "dass auch die älteren und besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen wieder vermehrt betroffen werden". Derzeit infizierten sich eher die Jüngeren.

So bockig die Landespolitiker bei vielen anderen Corona-Regeln sind, so klar dürfte ihnen sein, dass kranke und alte Menschen jetzt den größten Schutz brauchen. Spahn hat vorgeschlagen, "dass mit dem Start in den Herbst Reihentestungen der Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen leichter regelhaft möglich werden". Denn heute, klagt der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, hätten Pflegerinnen und Pfleger nur dann Zugang zu Corona-Tests, "wenn sie bereits Symptome aufweisen oder sie beim zuständigen Gesundheitsamt darum bitten". Damit stehen sie im Augenblick schlechter da als jeder Heimkehrer aus Mallorca.

© SZ vom 26.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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