Urlaub in der Pandemie:Reisen ist nicht verwerflich

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Luftbild vom Strandbad am Ritzensee in Saalfelden, Österreich (Foto: imago images)

Politiker wie Winfried Kretschmann rücken Auslandsurlaub in diesem Sommer in den Bereich moralischer Verwerflichkeit. Doch das ist falsch.

Kommentar von Meredith Haaf

Darf man jetzt noch verreisen? Angesichts täglich steigender Neuinfektionen in Deutschland und vielen anderen Ländern wächst wieder die Unsicherheit darüber, wie viel Freiheit man sich diesen Sommer gönnen soll, wie viel von der Welt man sich erlauben darf. In den Diskussionen darüber werden aber weniger konkrete Argumente gegen den Urlaub im Ausland vorgebracht als eine Mischung aus moralischen Ansprüchen und Verunsicherung. So entsteht der Eindruck, eine Urlaubsreise sei so ziemlich das Egoistischste, was man tun kann. Dabei gibt es gute Gründe, gerade jetzt eine Reise zu unternehmen.

Zumal die offizielle Ansage eindeutig ist: Man darf. Die europäischen Grenzen sind offen und werden es hoffentlich auch bleiben. Reisegesellschaften, Fluglinien oder Hotels müssen Hygiene-Konzepte ausweisen - und ihre Kunden sich daran halten. Es ist also schwer nachvollziehbar, wenn der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, befindet, es sei "unangemessen", diesen Sommer in Urlaub zu fahren. Denn zum einen stellt er damit das Vertrauen infrage, das die Menschen in Behörden und Dienstleister legen müssen, um mit der Denormalisierung in Corona-Zeiten zurechtzukommen. Zum anderen unterstellt er den Bürgern, die trotz Ängsten und Einschränkungen in die Ferne schweifen, moralisches Fehlverhalten.

Natürlich gibt es Formen des Urlaubens, die derzeit besonders unangemessen sind: Sauftourismus und Buffet-Scharmützel in Bettenburgen sind schon immer eine Belastung für Geist, Gesundheit und lokales Gemeinwohl gewesen. Deswegen finden sie dieses Jahr deutlich seltener statt, trotz vereinzelter Ballermann-Exzesse. Andererseits ermöglicht es Massentourismus vielen Menschen, eine bezahlbare Auszeit von vielleicht nicht besonders ausgelassenen oder üppigen Lebensumständen zu Hause zu nehmen.

Dieses Bedürfnis ist derzeit besonders stark. Natürlich kann man die Belastungen all der Corona-Einschränkungen immer in Relation zu anderen, viel schlimmeren setzen. Aber sie reichen schon für Erholungsbedarf. Natürlich kann man fürchten, dass größere Bewegungsfreiheit höhere Infektionsraten und neue Einschränkungen nach sich zieht. Aber gerade Letzteres ist kein Naturgesetz.

Auslandsurlaub ist moralisch nicht verwerflich. Es gibt gerade jetzt berechtigte Gründe dafür

Es lebt nicht jeder in einem Haus, in dem er im Sommer den Garten genießt; oder wenigstens in einer Stadt, die umgeben ist von schönen Ausflugszielen, wo man "grillen und abhängen" kann, wie es der Grüne Andreas Schwarz empfiehlt. Der Wunsch, wenigstens eine Woche im Jahr nicht dieselben Straßen und vier Wände zu betrachten, den Kindern etwas anderes zu zeigen oder sich im Hotel versorgen zu lassen, ist auch 2020 nicht verwerflich. Zumal der Austausch mit Menschen in anderen Ländern die Wahrnehmung und das Verständnis für pandemische Zusammenhänge erweitern kann.

Wer Freiheit achtet, sollte Reisefreizügigkeit nicht verachten. Dieses Grundrecht gilt trotz der Beschränkungen; ob es weiter eingeschränkt werden soll, ist epidemiologisch und politisch abzuwägen. Zum Glück wird das von den Verantwortlichen hierzulande sorgfältig getan. Weiter gilt das Gebot, Rücksicht zu nehmen, Abstand zu halten, Maske zu tragen. Das kann man in Italien, Dänemark oder Portugal genauso tun wie zu Hause.

© SZ vom 01.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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