Corona:Wie Israels Regierung für die dritte Impfung wirbt

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Die dritte Spritze soll die israelische Bevölkerung vor der nächsten Infektionswelle bewahren. (Foto: Ronen Zvulun/Reuters)

Trotz Negativrekorden bei den Infektionszahlen verbreitet die Regierung in Jerusalem vorsichtigen Optimismus. Sie setzt alles auf den Erfolg der Auffrischungsimpfung - und erhöht zugleich den Druck, Impfangebote auch wahrzunehmen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israel erlebt gerade, wie paradox die Pandemie sein kann. Die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen ist so hoch wie nie zuvor: Am Dienstag wurden als neuer Negativrekord fast 11 000 neue Fälle innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei mehr als 700 - und damit fast zehnmal höher als in Deutschland. Zugleich jedoch verbreitet die Regierung in Jerusalem zumindest vorsichtigen Optimismus. Von einem Lockdown redet längst niemand mehr, und an diesem Mittwoch beginnt wie geplant das neue Schuljahr mit weitgehendem Präsenzunterricht.

Der Widerspruch zwischen den aktuellen Zahlen und der allgemeinen Stimmung erklärt sich dadurch, dass die Verantwortlichen fest mit dem Erfolg der nächsten Impfkampagne rechnen. Als erstes Land weltweit bietet Israel bereits seit Ende Juli eine dritte Impfdosis an. Zunächst betraf das die Altersgruppe 60 plus. Seit Wochenbeginn ist dieser sogenannte Booster-Shot für jeden über zwölf Jahre zu haben. Einzige Bedingung: Die zweite Impfung muss länger als fünf Monate zurückliegen. Seitdem gibt es plötzlich wieder lange Schlangen vor den Impfstationen.

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Knapp sechs der insgesamt gut neun Millionen Israelis sind zweifach geimpft. In der vierten Welle mit der Delta-Variante hatte sich jedoch gezeigt, dass der Impfschutz teils deutlich nachgelassen hatte. Inzwischen haben deshalb schon mehr als zwei Millionen Menschen die Auffrischungsimpfung in Anspruch genommen, die erneut fast ausschließlich mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer verabreicht wird. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums haben sie damit ihren Schutz vor Ansteckung und ernsten Symptomen um das Zehnfache gegenüber den nur zweifach Geimpften erhöht.

Mit solchen Zahlen macht die Regierung massiv Werbung für die dritte Impfung. Premierminister Naftali Bennett spricht von einem "Privileg, das kein anderes Land hat". Zugleich wird der Druck erhöht, das Impfangebot auch wahrzunehmen. Vor allem geschieht dies über das bewährte Mittel des Grünen Passes, der allein Geimpften und Genesenen in Israel den Zugang zu einem Leben wie in den Zeiten vor der Pandemie erlaubt, mit Restaurantbesuchen, Kulturveranstaltungen oder Aufenthalten in Fitnessstudios. Vom 1. Oktober an ist dieser Grüne Pass, der zunächst bis ins nächste Jahr hinein ausgestellt worden war, nur noch gültig, wenn eine dritte Impfung erfolgt ist oder die zweite nicht länger als fünf Monate zurückliegt.

Die Hälfte der Infizierten sind Schulkinder

Die neuen Impfungen haben offensichtlich bereits dazu geführt, dass die Zahl der ernsten Corona-Erkrankungen trotz der Infektionsrekorde seit rund einer Woche stabil geblieben ist. Betroffen sind derzeit ungefähr 700 Patienten - und eine Studie der Hebräischen Universität sagt voraus, dass die Zahl bis Mitte September auf 500 sinken wird. Auch der sogenannte R-Wert, der die Dynamik der Ansteckung angibt, soll bis dahin von derzeit 1,1 auf 0,85 sinken.

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Die große Unbekannte in dieser Rechnung ist jedoch noch die Auswirkung des Schulstarts. Schon jetzt entfällt rund die Hälfte der Neuinfektionen und der rund 80 000 akuten Fälle auf Schulkinder. Weil Israel ein Land mit junger Bevölkerung ist, kann fast ein Viertel der Menschen - 2,13 Millionen Kinder unter zwölf Jahren - zumindest derzeit noch nicht geimpft werden. Bei den Zwölf- bis 15-Jährigen liegt die Impfquote bei 50 Prozent, bei den 16- bis 18-Jährigen bei 80 Prozent.

Um einen planmäßigen Start des Schuljahres mit Präsenzunterricht zu gewährleisten, hat Israels Regierung einen umfassenden Plan ausgearbeitet. Vorgesehen ist darin unter anderem, dass jeder Schüler zum ersten Schultag mit einem negativen Schnelltestergebnis im Klassenraum erscheint. Sorgen bereiten allerdings noch ungeimpfte Lehrer, derzeit rund 14 Prozent des Personals. Wer sich nicht ständigen Tests unterzieht, dem droht ein unbezahlter Urlaub.

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