Coronavirus:Bundestag beschließt deutschlandweite Corona-Notbremse

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Die Abgeordneten stimmen für Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und einheitliche Maßnahmen in der Pandemiebekämpfung. Die Kernpunkte im Überblick. Eine Demonstration gegen die Gesetzesänderung löst die Polizei wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auf.

Von Philipp Saul

Im Kampf gegen die dritte Corona-Welle sollen bundesweit verbindliche Regeln für schärfere Gegenmaßnahmen kommen. Der Bundestag hat der Änderung des Infektionsschutzgesetzes für eine Bundesnotbremse zugestimmt. 342 Abgeordnete votierten in einer namentlichen Abstimmung für die Notbremse, 250 dagegen und 64 enthielten sich der Stimme.

Zu den konkreten Vorgaben bei hohen Infektionszahlen gehören weitgehende nächtliche Ausgangsbeschränkungen, Schließungen von Schulen und strengere Bestimmungen für Geschäfte. Die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes sollen an diesem Donnerstag noch in den Bundesrat gehen. Danach muss noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnen und das Gesetz muss verkündet werden. Es kann deshalb frühestens am Samstag greifen und soll vorerst bis Ende Juni in Kraft bleiben.

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:RKI: Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 169,3

Am Sonntag lag die Sieben-Tage-Inzidenz noch bei 165,6. CDU-Chef Laschet erklärt im SZ-Interview, er wolle eine Gleichstellung von Geimpften und Genesenen mit negativ Getesteten.

Gezogen werden soll die sogenannte Bundesnotbremse, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) an drei Tagen hintereinander bei mehr als 100 liegt. Fürs Umschalten auf Fernunterricht in den Schulen soll ein höherer Schwellenwert von 165 gelten.

Die Kernpunkte der Notbremse für Regionen mit hohen Infektionszahlen:

Ausgangsbeschränkungen: Von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr darf man die Wohnung oder sein Grundstück nicht verlassen - mit Ausnahmen für Notfälle, die Berufsausübung, Pflege und Betreuung, die Versorgung von Tieren oder andere gewichtige Gründe. Joggen und Spaziergänge sollen bis Mitternacht erlaubt bleiben, allerdings nur alleine.

Private Kontakte: Es darf sich höchstens ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen. Kinder bis 14 Jahre zählen nicht mit. Für Zusammenkünfte von Ehe- und Lebenspartnern oder zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts gilt die Beschränkung nicht. Zu Trauerfeiern sollen bis zu 30 Menschen zusammenkommen dürfen.

Läden: Fürs Einkaufen jenseits des Lebensmittel-, Drogerie-, Buch- und Blumenhandels sowie anderer Bereiche soll gelten: Geschäfte können Kunden nur einlassen, wenn sie einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Steigt der Wert über 150, wäre nur noch das Abholen bestellter Waren (Click & Collect) erlaubt.

Schulen: Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz drei Tage hintereinander über 165, wird ab dem übernächsten Tag der Präsenzunterricht verboten. Ausnahmen für Abschlussklassen und Förderschulen sind möglich.

Die Stimmen in der Bundestagsdebatte

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) verteidigte das Gesetz. Es sei Aufgabe des Bundestags, das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen. Er appellierte an die Abgeordneten: "Schützen Sie Leben."

Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) betonte: "Die Lage ist unverändert ernst." 80 000 Menschen in Deutschland seien in der Pandemie gestorben. "Darüber kann man nicht hinwegsehen." Es müsse etwas getan werden, "und zwar überall in Deutschland und immer und in jedem Fall".

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sprach von einem "Angriff auf die Freiheitsrechte, den Föderalismus wie den gesunden Menschenverstand".

Die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus kritisierte insbesondere die im Gesetz vorgesehene Ausgangssperre. Diese schränke Grundrechte unzulässigerweise ein und treibe die Menschen noch mehr in den privaten Raum. Für ihre Partei kündigte sie an, dem Gesetz nicht zustimmen zu wollen. Sollte es Ausgangssperren geben, werde ihre Partei eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen.

Auch die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali, kritisierte die Ausgangssperren. Sie forderte zudem, in Unternehmen schärfere Schutzmaßnahmen zu verhängen und die sozialen Härten der Pandemie abzufedern. Die Regierung versuche, Grundrechte "praktisch im Vorbeigehen" einzuschränken und ihre Befugnisse massiv auszuweiten. "Die Linke wird das niemals akzeptieren. Wir lehnen Ihr Gesetz weiterhin ab."

Maria Klein-Schmeink von den Grünen forderte einen schnellen, wirksamen Wellenbrecher. Die Maßnahmen in dem Gesetz kämen zu spät und seien nicht ausreichend für eine Trendumkehr. "Diese Notbremse bleibt zu halbherzig." Sie setze sich ebenfalls für einen besseren Schutz in der Arbeitswelt ein. Ihre Parteikollegin Kirsten Kappert-Gonther kündigte an, die Grünen-Fraktion werde sich enthalten. Das Gesetz reiche insgesamt nicht aus und enthalte kritische Punkte wie die Ausgangssperre.

Impfen und testen alleine reiche nicht, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Man müsse die dritte Welle brechen, dafür diene dieses Gesetz. Ein Blick auf die Intensivstationen zeige, dass die Lage in vielen Krankenhäusern weiter dramatisch sei. Die Einschränkungen in der Bundesnotbremse seien deshalb angemessen und verhältnismäßig.

In Berlin versammelten sich auf der Straße des 17. Juni Protestierende in vierstelliger Zahl, wie die Polizei mitteilte. Am Mittag kündigte die Polizei allerdings die Auflösung der Versammlung an. Von der Demonstration gehe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aus. Mindestabstände seien immer wieder missachtet worden, zudem sei oft kein Mund-Nasen-Schutz getragen worden. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot von rund 2200 Beamten im Einsatz. Das Reichstagsgebäude sowie das Brandenburger Tor sind weiträumig abgesperrt.

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