Bürgerdialog:Ein Abend unter Freunden

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Gespräch mit den Vorgesetzten: Finanzminister Christian Lindner beim Bürgerdialog in einer Hamburger Buchhandlung. (Foto: picture alliance)

Christian Lindner besucht in Hamburg einfache Bürger - und trifft dabei auf viele Menschen, die ihm äußerst wohlgesonnen sind.

Von Claus Hulverscheidt, Hamburg

Christian Lindner kann das, das muss man ihm einfach lassen. Mit dem Mikrofon in der Hand steht er auf der stählernen Treppe zwischen dem Zwischen- und dem Obergeschoss der Kunst- und Buchhandlung Felix Jud am Hamburger Jungfernstieg und blickt freundlich-fordernd auf die gut drei Dutzend Menschen, die ein Ticket für die Veranstaltung ergattert haben. Er sei gekommen, um mit seinen "Vorgesetzten" zu diskutieren, sagt er in schön inszenierter Demut, nichts anderes seien die Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie ja schließlich für einen Bundesminister.

Die ersten kleinen Lacher ertönen, dabei können sich der Gast aus Berlin und viele seiner vermeintlichen Vorgesetzten noch nicht einmal richtig sehen. Das Gros des Publikums nämlich sitzt fünf Stufen höher als Lindner in einem engen Veranstaltungsraum von nicht einmal vier mal sechs Metern, eingezwängt zwischen gerahmten Zeichnungen und zwei Büchervitrinen auf Holzhockern. Der kleinere Rest hat sich hinter und zugleich drei Stufen unter Lindner niedergelassen.

Wahrscheinlich gibt es in der Hansestadt mindestens 6000 Veranstaltungsorte, die besser für das Jahresgespräch eines Top-Angestellten mit seinen Chefinnen und Chefs geeignet wären, auch wenn die Kunst- und Buchhandlung Felix Jud ohne jeden Zweifel ein geschichtsträchtiger Ort ist. Auch Olaf Scholz, Peter Altmaier und Klaus von Dohnanyi haben das Geschäft in früheren Jahren schon heimgesucht. Doch Lindner lässt sich die Laune nicht verderben. "Ich bin generell ein fröhlicher Mensch", wird er im Verlauf seiner dreiviertelstündigen Bürgersprechstunde in einem anderen Zusammenhang sagen.

Im direkten Gespräch kommt er an

Und tatsächlich: Zumindest nach außen hin gibt es keinen Hinweis, dass er insgeheim die Menschen in seinem Ministerium gerne achtkantig auf einen anderen Himmelskörper befördern würde, die ihm diesen "Bürgerdialog" eingebrockt haben. In zunächst sechs Städte wird ihn seine kleine Deutschland-Reise bis September führen - von Fürstenfeldbruck über Wuppertal bis nach Oldenburg. Hamburg ist an diesem Abend die zweite Tournee-Station.

Bei allem, was man gelegentlich über die gedrechselten, auf maximale Fernsehtauglichkeit getrimmten Worthülsen sagen kann, die Lindner beständig aufsagt und twittert, so wahr ist auch: Im direkten Gespräch kommt er an. Er ist keiner dieser Sprechautomaten oder stocksteifen Langweiler, mit denen sich die Bürgerinnen und Bürger sonst oft begnügen müssen, wenn ihnen überhaupt einmal ein Spitzenpolitiker über den Weg läuft. "Fragen Sie für einen Freund?", entgegnet er unter dem freundlichen Gelächter seiner Zuhörer einem Mitarbeiter der Finanzverwaltung, der wissen will, wann die Mitarbeiter der Finanzverwaltung endlich auf eine moderne IT und effizientere Arbeitsabläufe hoffen können.

Der FDP-Chef ist tatsächlich ein talentierter Entertainer, einer, der sich gar nicht erst ans Rednerpult stellt, sondern dem Volk mit dem Mikro in der Hand gerne auf die Pelle rückt. Ein Anekdötchen hier, ein kleines populistisches Witzchen dort, dazu eine Schlagfertigkeit, mit der nicht viele seiner Berliner Kabinettskolleginnen und -kollegen gesegnet sind. Wäre an diesem Tag Bundestagswahl und die Menschen vor den Bücherregalen müssten sich spontan entscheiden, Lindner würde wohl ein Vielfaches jener etwa sieben Prozent zusammenklauben, die die Meinungsforscher seiner Partei derzeit in ihren bundesweiten Umfragen zugestehen.

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Er nehme das nicht persönlich, nicht einmal Markus Söder

Das liegt allerdings auch daran, dass das Publikum in der Kunsthandlung alles Mögliche ist - nur kein Querschnitt durch die Hamburger Bevölkerung. Als Lindner am Nachmittag mit einer halben Stunde Verspätung in der kleinen Einkaufsstraße ankommt, geht gerade eine junge Frau mit lila-blauer Punkfrisur am Buchladen vorbei. Innendrin derweil: seitengescheitelte Anfangzwanziger in blauen Sakkos, teils gar mit Krawatte, die nur insofern zur Subkultur zu zählen sind, als Hamburgs Punks Mitglieder der Jungen Liberalen wohl generell für eine besonders spezielle Form der Subkultur halten würden. Dazu ein paar gut gekleidete ältere Herren sowie einige Damen, Typ Hamburger Unternehmerin.

Wann es endlich einfachere Steuervorschriften geben werde, will eine der Zuhörerinnen von Lindner wissen. Warum die FDP keinen Wirtschaftsrat habe, fragt eine andere. Ein Schöngeist wünscht sich, dass der einst abgeschaffte ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kunstverkäufe wieder eingeführt wird, wieder ein anderer bittet den Vize-Vizekanzler, gegenüber der SPD und den Grünen unbedingt hart zu bleiben und das Land gegen Schuldenmacher und andere allzu ausgabenfreudige Kabinettskollegen konsequent zu verteidigen.

Ach, überhaupt: die Koalitionspartner. Ob er überhaupt noch schlafen könne angesichts all der Menschen um ihn herum, die ihn jeden Tag um eine neue Subvention anbettelten, will eine Dame mit besorgter Miene wissen: Nein, nein, sagt Lindner, er nehme Kritik nicht persönlich, nicht einmal von Markus Söder, alles sei schließlich Teil des ganz normalen politischen Spiels. "Machen Sie sich keine Sorgen, mir geht es gut", schiebt er noch hinterher, denn die Sorgenfalten im Gesicht der Fragestellerin haben sich noch nicht wieder geglättet.

Man darf wohl ohne Umschweife sagen: Es ist ein Heimspiel für den Bundesfinanzminister, auch wenn die Veranstalter anschließend beteuern, dass das Publikum mitnichten handverlesen gewesen sei. Mit Fragen nach Flüchtlingen oder dem immensen Anstieg der Lebensmittelpreise jedenfalls, wie vor Tagen beim Tourneeauftakt in Fürstenfeldbruck, muss sich Lindner in Hamburg nicht herumschlagen.

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Das alles bedeutet natürlich nicht, dass der Minister seinen Vorgesetzten nicht auch inhaltlich einige Dinge mit auf den Weg gibt. Ein Steuervereinfachungsgesetz sei in Arbeit, und einen Wirtschaftsrat brauche die FDP schon deshalb nicht, weil ja die ganze Partei wirtschaftsfreundlich sei, sagt er. Die Finanzverwaltung will er weiter modernisieren, die Abgabe der Steuererklärung und den Versand der Bescheide teilweise automatisieren. Und auch mit einer Mehrwertsteuersenkung für Kunstverkäufe kann er sich prinzipiell anfreunden, wäre da nicht die leere Staatsschatulle, die nach den Worten des Kassenwarts derlei Zugeständnisse zumindest vorerst leider unmöglich macht.

Nach einem guten halben Dutzend Fragen ist alles schon wieder vorbei. "Tschö-hö", ruft Lindner in die Runde, und obwohl den Menschen eigentlich ein fast doppelt so langer Austausch mit dem Promi-Gast versprochen war, ist der Applaus freundlich und deutlich. Die Jungen Liberalen, die Unternehmerinnen, der Kunstfreund und der Finanzbeamte werden zufrieden nach Hause gegangen sein. Wenn es allerdings das Anliegen dieser Dialogreihe sein sollte, den Bundesfinanzminister mit Menschen zusammenzubringen, die ihren leitenden Angestellten von der FDP hin und wieder auch einmal ein ganz klein bisschen kritisch beäugen, dann war dieser Abend für die Katz.

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