China-Politik:Lernen aus alten Fehlern

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Zwei SPD-Politiker, die eine Neuausrichtung der deutschen China-Politik anstreben: Lars Klingbeil (links) und Boris Pistorius, hier im Januar im Bundestag. (Foto: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance / Geisler-Fotop)

Greift China mit Hilfe früherer Bundeswehrsoldaten militärisches Wissen des Westens ab? Der jüngste Streit zeigt, wie wichtig eine neue China-Strategie ist. Jetzt reist auch der SPD-Chef nach Peking.

Von Georg Ismar, Berlin

Boris Pistorius spricht Klartext in Singapur. Es geht um ein publik gewordenes Ausbildungsprogramm in China mit Beteiligung ehemaliger deutscher Kampfpiloten. Der Verteidigungsminister fordert von seinem Amtskollegen Li Shangfu den Stopp. "Ich habe deutlich gemacht, dass ich erwarte, dass diese Praxis unverzüglich beendet wird, und habe ihm klargemacht, dass er sicherlich nicht amüsiert wäre, wenn ich das meinerseits probieren würde."

Li Shangfu habe die Tatsache nicht bestritten, aber die Bedeutung relativiert. Pistorius und sein Amtskollege aus Peking trafen beim Shangri-La-Dialog, der wichtigsten Sicherheitskonferenz in der Region Asien-Pazifik, aufeinander - einige Teilnehmer dort gewannen den Eindruck, dass China immer aggressiver auftrete. Frühere Kampfpiloten aus Deutschland sollen seit Jahren in China Militärflieger ausbilden, wie Spiegel und ZDF berichteten.

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Das Verteidigungsministerium betont auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, dass dort bekannt sei, dass China über externe Agenturen versuche, ehemalige Nato-Piloten als Ausbilder anzuwerben. "Dies gilt auch für ehemalige deutsche Bundeswehrpiloten", sagt eine Sprecherin. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) kooperiere im Rahmen seiner Ermittlungen eng mit dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst sowie internationalen Partnern, "um auch aktiv die weitere Anwerbung von Piloten zu verhindern".

Über die während der Dienstzeiten erlangten Kenntnisse müsse auch nach dem Ausscheiden Verschwiegenheit bewahrt werden. Verstoßen Berufssoldaten im Ruhestand und frühere Soldaten gegen sogenannte nachwirkende Dienstpflichten, könnten auch strafrechtliche Tatbestände erfüllt sein. "In diesem Fall würden die zivilen Strafverfolgungsbehörden tätig werden", betont die Sprecherin. Die Schulung von chinesischen Militärpiloten durch ehemalige Nato-Soldaten berge die große Gefahr, "dass nicht nur eine fliegerische Grundbefähigung vermittelt wird, sondern auch relevante Taktiken, Techniken und Verfahrensabläufe offenkundig werden".

Das Beispiel zeigt, wie China auf vielen Ebenen versucht, sich westliches Wissen zunutze zu machen. Wissen, das im Ringen mit dem Westen aber eben auch zur Waffe werden könnte. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien - SPD, Grüne und FDP - ringen gerade um eine neue China-Strategie. Und besonders die SPD steht unter Druck, alte Fehler von zu viel Blauäugigkeit in der Russlandpolitik nicht zu wiederholen. In dieser schwierigen Gemengelage besucht der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil an diesem Montag und Dienstag China, will in Peking hochrangige Vertreter der Kommunistischen Partei treffen, anschließend besucht er noch Südkorea und die Mongolei. Ihn begleitet die neue Asienbeauftragte der Partei, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger.

"Die Asienreise steht im Zeichen der Neuausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik", betont Klingbeil. In der Aufgabenteilung mit der Co-Vorsitzenden Saskia Esken ist er für die internationale Politik zuständig. In einem 23-seitigen Papier der Kommission Internationale Politik wird die neue China-Linie der SPD so umrissen: China ist demnach Partner, wenn es um globale Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien und Nahrungsmittelkrisen sowie um Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Atomwaffen geht - gerne würde man im Willy-Brandt-Haus eine aktivere Rolle und mehr Druck auf Russland zur Beendigung des Ukraine-Kriegs sehen. Als positives Signal wertet man, dass nach dem Besuch von Kanzler Olaf Scholz in Peking deutlichere Signale gekommen seien, dass Russland seine atomaren Drohgebärden einstellen solle. Zugleich sei China im Wirtschaftsbereich Wettbewerber und zunehmend eben auch Rivale.

Alternative Rohstoff-Lieferanten zu finden, ist nicht immer einfach

Um nicht wie bei der Energieabhängigkeit von Russland in eine Falle zu tappen, will man sich jetzt schon wappnen für die möglichen Folgen eines chinesischen Einmarsches in Taiwan. Eine komplette Abkopplung wird abgelehnt, stattdessen müsse es auf europäischer Ebene um "De-Risking" gehen, auch mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur. Bei der Rohstoff-Beschaffung müsse dem Papier zufolge von sofort an das Prinzip "China plus eins" gelten, "bei dem wir neben China immer auch einen alternativen Lieferanten haben". Es müssten daher Anreize für deutsche Unternehmen gesetzt werden, um ihre Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte zu diversifizieren. Aber bisher ist etwa im Bereich der seltenen Erden eine "China plus eins"-Strategie oft noch Wunschdenken.

Und auch in der SPD ist eine schärfere Abgrenzungslinie nicht unumstritten. Was früher Willy Brandt für die Ostpolitik war, war Helmut Schmidt für die Annäherung und den Wandel mit China. Als erster Bundeskanzler besuchte er 1975 die Volksrepublik, zeigte sich beeindruckt von seinen Treffen mit Mao Zedong und Deng Xiaoping, von der chinesischen Geschichte, dem Reformprozess.

In der SPD gibt es eine Reihe Persönlichkeiten, die Teil eines China-Netzwerks sind. Da ist zum Beispiel der frühere Vorsitzende Rudolf Scharping, der mit seiner Beratungsagentur deutsche und chinesische Firmen berät. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich für die Zusammenarbeit mit China, kritisiert manchmal einen zu pauschalen Blick auf die Entwicklungen dort. Er kenne das heutige China wie kaum ein anderer, nimmt er für sich in Anspruch. Lars Klingbeil hat sich von ihm im Vorfeld der Reise keinen Rat geholt.

Auf einen intensiven Austausch mit China hat jahrelang auch der SPD-Oberbürgermeister von Duisburg, Sören Link, gesetzt. Die Partnerstadt von Wuhan setzte auf die Ansiedlung von Unternehmen aus China, die Neue Seidenstraße führt direkt in den größten Binnenhafen Europas. Nach Angaben des Chinabeauftragten der Stadt, Markus Teuber, liegt der der Umschlag über die Seidenstraße in Duisburg bei rund 200 000 Containern im Jahr. Allerdings lassen sich mit einem Zug von Chongqing nach Duisburg nur maximal 80 Standardcontainer transportieren, die Fahrt dauert elf Tage. 30 Züge kommen pro Woche an. Die chinesische Cosco-Reederei sollte sich mit 30 Prozent an einem ganz neuen Terminal im Duisburger Hafen beteiligen - stieg dann aber aus. Warum, darüber ist Stillschweigen vereinbart worden. In Duisburg warnt man davor, chinesische Unternehmen durch eine zu rigide Politik zu verprellen.

Scholz und die SPD gerieten zuletzt ja unter Druck, weil sie sich erfolgreich für eine Cosco-Beteiligung an einem Hamburger Terminal stark machten, die Grünen kritisierten das Geschäft. In Duisburg können sie die Argumente, dass solche Einstiege eine Gefahr sein und kritische Infrastruktur bedrohen könnten, nicht nachvollziehen, zumal auch deutsche Unternehmen weltweit an Häfen beteiligt sind. Aber diese Beispiele zeigen, wie schwierig es ist, hier bei einer neuen China-Strategie klare Grenzen zwischen Chancen, Schutz und Abschottung zu ziehen. Klingbeil erhofft sich von seiner Reise jedenfalls neue Erkenntnisse, miteinander reden ist halt immer besser als übereinander. "Auf Parteiebene werden wir offene Gespräche führen, auch über kritische Themen", sagt er.

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