China:Peking im Angriffsmodus

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Der mutmaßliche Spionageballon, wenige Momente nach dem Abschuss. (Foto: Randall Hill/REUTERS)

China hatte nach dem unerlaubten Überflug eines Beobachtungsballons zunächst kleinlaut reagiert. Inzwischen erhebt es selbst Spionagevorwürfe gegen die USA.

Von Lea Sahay

Es war der chinesische Staatspräsident Xi Jinping, der vor einem Jahr forderte, sich auf einen "Schwarzen Schwan" vorzubereiten. Ein seltenes Ereignis, das niemand voraussehen kann, das aber schwere Folgen haben könnte für die Herrschaft der Partei. Es ist die existenzielle Angst der Führung, von spontanen Protesten überrascht zu werden, oder von der Erschütterung des Finanzsystems. Ein großer weißer Ballon dürfte bisher nicht auf der Liste Xis gestanden haben.

Genau dieser ist nun aber der Grund, warum nicht nur der geplante Besuch von US-Außenminister Antony Blinkens in Peking scheiterte. Der unerlaubte Überflug hat eine neue Front in der Rivalität beider Großmächte eröffnet, die nicht nur Amerikas Debatte über China auf Jahre prägen könnte. Auch in anderen Teilen der Welt sieht sich Peking plötzlich mit Spionagevorwürfen konfrontiert.

Zu Beginn der Krise dürfte die chinesische Regierung nicht geahnt haben, welches Ausmaß die Debatte über Chinas Spähflüge annehmen würde. Peking schien sogar gehofft zu haben, den Besuch Blinkens in China noch retten zu können. Kleinlaut sprach das Außenministerium von einem "Unfall", es handele sich lediglich um einen Wetterballon, der wegen begrenzter Steuerungsmöglichkeiten von der geplanten Route abgekommen sei. Ohne Erfolg, zu groß war auch der innenpolitische Druck auf US-Präsident Joe Biden, mit Härte auf Pekings Überflug zu reagieren.

Zwei Wochen nach Abschuss des mutmaßlichen Spionageballons kann von chinesischer Zurückhaltung keine Rede mehr sein. Wie so häufig, wenn Pekings Machtapparat unter Druck gerät, sind seine Vertreter in den Angriffsmodus gewechselt. Auch um gegenüber dem eigenen Volk Stärke zu demonstrieren, die Partei inszeniert China schon lange in einem Machtkampf gegen den von den USA geführten Westen.

Das chinesische Außenministerium spricht von einem "Informationskrieg" der USA

Laut US-Medienberichten hat China mehr als 40 Länder auf fünf Kontinenten mit einer Flotte von Spionageballons ausgespäht. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums warf den USA hingegen vergangene Woche vor, einen "Informationskrieg" gegen China zu führen. Die internationale Gemeinschaft wisse genau, wer in Wirklichkeit "die Nummer eins unter den Spionage- und Überwachungsimperien" sei, sagte sie. Amerika habe auch Deutschland und die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel bespitzelt, hieß es später. Ein Telefongespräch zwischen den Verteidigungsministern lehnte China ab.

Am Montag legte das Außenamt in Peking nach. Die USA hätten im vergangenen Jahr mehr als zehn Mal Ballons in großer Höhe über chinesischem Territorium fliegen lassen. Dies sei ohne Erlaubnis Pekings geschehen. Anstelle eines Abschusses habe China aber "verantwortungsvoll und professionell" gehandelt. Belege dafür lieferte das Land nicht. Die USA bezeichneten die Vorwürfe als falsch.

Beim G-20-Gipfel im November war man noch um ein besseres Verhältnis bemüht

Für die Beziehungen zwischen den zwei Ländern ist der Vorfall ein neuer Tiefpunkt. Erst im November hatten Joe Biden und Xi Jinping am Rande des G-20-Gipfels vereinbart, dass beide Seiten eine Stabilisierung der Beziehungen anstreben würden. Seit 2018 besteht der Handelsstreit zwischen den Wirtschaftsmächten, China wirft den USA vor, den Aufstieg des Landes aus Missgunst zu behindern. Auch die Territorialansprüche Pekings im Südchinesischen Meer und die Drohungen Chinas gegen das demokratische Taiwan belasten das Verhältnis. Ein angekündigter Besuch des Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, auf der Insel dürfte zu neuen Spannungen führen.

In den Wochen vor dem geplanten Besuch Blinkens hatte sich die Volkszeitung, Chinas wichtigstes Parteiblatt, in täglichen Kommentaren noch für ein friedliches Miteinander zwischen den Großmächten ausgesprochen. Es brauche mehr Kooperationen und Projekte, von denen beide Seiten profitieren würden.

Peking kämpft mit zahlreichen Problemen zu Hause, die Wirtschaft schwächelt, viele internationale Investoren haben sich aufgrund der Pandemierestriktionen und ausbleibender Wirtschaftsreformen zurückgezogen. Die Sorge vor politischer Einflussnahme hat die Skepsis in vielen Ländern wachsen lassen. Peking versucht sich mit einer neuen Charmeoffensive, diese Woche schickt Chinas Führung dafür ihren Spitzendiplomaten Wang Yi nach Europa.

Nach dem Ballonabschuss über dem Atlantik folgten in der Volkszeitung erst sieben Tage Schweigen, dann attackierte das Parteiblatt die USA, sprach von amerikanischer Tyrannei. Die Stärke der US-Demokratie sei ohnehin nur eine Illusion, hieß es in einem Kommentar. Die USA richteten durch ihr Hegemoniebestreben großen Schaden an.

Bei der Münchener Sicherheitskonferenz dürfte Wang Yi sich nun mit Spionagevorwürfe konfrontiert sehen, anstatt unbeschwert für ein neues China nach der Pandemie zu werben. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Montag immerhin ein erstes Zeichen für eine Deeskalation im Streit mit Washington. Demnach erwäge US-Außenminister Antony Blinken am Rande der Konferenz ein Treffen mit Wang, hieß es. Sie dürften einiges zu besprechen haben.

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