Einen Monat nach seinem Verschwinden wurde Chinas Außenminister Qin Gang am Dienstag offiziell aus dem Amt entfernt. Wie der Staatssender CCTV berichtete, stimmte der Ständige Ausschuss des Volkskongresses bei einer kurzfristig anberaumten Sitzung für seine Entlassung. Eine Begründung nannte Chinas Staatsführung nicht.
Nachfolger wird Wang Yi, der bereits vor Qin das Amt des Außenministers innehatte. Als Direktor der Zentralen Kommission für auswärtige Angelegenheiten stand das Politbüro-Mitglied bereits vor seiner erneuten Ernennung in der Hierarchie über Qin. Als Außenpolitik-Verantwortlicher der KP vertritt dieser die Volksrepublik auch nach außen.
Vor zwei Wochen reiste Wang für Gespräche mit US-Außenminister Antony Blinken nach Jakarta, damals schon in Vertretung für Qin. Seit dem 25. Juni war der 57-Jährige ohne weitere Erklärung nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Zunächst war von "gesundheitlichen Gründen" die Rede gewesen. Später gaben Sprecher des Außenministeriums an, keine Informationen zum Verbleiben ihres Chefs zu haben.
Qins Abwesenheit hatte gerade in den sozialen Netzwerken in China für heftige Spekulationen gesorgt. Im chinesischen Internet werden Debatten über die Parteiführung strikt überwacht. In diesem Fall schritten die Zensoren jedoch nicht ein, ungehemmt verbreiteten sich Gerüchte über eine mögliche außereheliche Affäre samt Baby sowie Korruptionsvorwürfe.
Bis dahin galt Qin als enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Xi Jinping, mit dessen Hilfe der Diplomat eine steile Karriere hinlegte. Zuvor war Qin Gang als Botschafter in den USA stationiert.
Nach anfänglicher Zurückhaltung wuchs in den letzten Tagen auch international die Aufmerksamkeit für den Fall. Für Vertreter anderer Staaten stellte sich die Frage, wie sie mit dem mysteriösen Verschwinden umgehen sollten. Die Causa drohte, das ohnehin angeschlagene Image des Einparteienstaats weiter zu schädigen. Auch von einem möglichen Machtkampf innerhalb der Partei war die Rede.
Mit Wang Yis Ernennung scheint Peking diesem Eindruck nun entgegentreten zu wollen: Der 1953 in Peking geborene Diplomat war selbst zehn Jahre als Außenminister tätig, bis Qin Gang den Posten im Dezember 2022 übernahm. Seine neue Doppelfunktion dürfte negative Auswirkungen auf Chinas außenpolitischen Betrieb erst mal abfedern.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Politiker oder Unternehmer verschwindet
Für Peking ist das wichtig: Drei Jahre war das Land durch seine strikte Covid-Politik weitestgehend isoliert. Erst seit Anfang dieses Jahres ist es für chinesische Vertreter wieder möglich, ausländische Gäste persönlich zu empfangen oder für Gespräche ins Ausland zu reisen. Im Mai war Qin Gang für einen Austausch mit Außenministerin Annalena Baerbock nach Berlin geflogen.
In Chinas autokratischem System kommt es immer wieder vor, dass Politiker oder Unternehmer verschwinden, wenn sie ins Visier der Partei geraten. Viele tauchen zum Teil erst nach Monaten oder Jahren wieder auf, wenn sie wegen Korruptionsverdachts oder anderer Vorwürfe vor Gericht gestellt werden. Solange werden die Verdächtigen an geheimen Ort verhört und ohne Zugang zu Anwälten oder Familie zu Geständnissen gezwungen.
Zu den bekanntesten Fällen der vergangenen Jahre gehört ausgerechnet der ehemalige Interpol-Chef Meng Hongwei. Dieser war 2018 auf einer Reise in sein Heimatland verschwunden. Wenig später teilte die Disziplinarbehörde der KP mit, gegen Meng wegen mutmaßlicher Gesetzesverstöße zu ermitteln. Zwei Jahre später verurteilte ihn ein chinesisches Gericht wegen der Annahme von Bestechungsgeldern zu einer langjährigen Haftstrafe.
Wie es nun mit Qin Gang weitergeht, bleibt indes abzuwarten. Zum ersten Mal seit einem Monat setzten sich am Dienstagabend zumindest Chinas Zensoren in Bewegung. Unter der Onlineübertragung des Staatssender CCTV wurden sämtliche Kommentare zu Qin Gang und seinem Verschwinden gelöscht.