Castor-Transporte nach Gorleben:Streckenweise gefährlich

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Schottern auf der einen Seite, Wasserwerfer auf der anderen: Castor-Transporte nach Gorleben bedeuten Zusammenstöße von Polizei und Atomkraftgegnern. Und der Protest könnte von Gewalt überschattet werden.

Jens Schneider

Es ist kein Spiel. Nicht für die Blockierer, nicht für die 16.000 Polizisten entlang der Strecke. Für die Blockierer ist ihr Protest gegen den Castor-Transport ins Zwischenlager ein ernstes Anliegen, viele haben seit Wochen in Camps trainiert, wie es sein wird, wenn sie Sonntagmorgen im Örtchen Gorleben auf der Straße sitzen und sich nach Stunden in der Kälte von Polizisten wegtragen lassen.

Es wird viele verschiedene Formen des Protests entlang der Strecke nach Gorleben geben, eine wird sein, die Gleise unbefahrbar zu machen: Atomkraftgegner üben im wendländischen Pudripp an einer stillgelegten Bahnstrecke während eines Aktionstrainings das sogenannte Schottern. (Foto: dapd)

Für die Beamten sind die Tage im Wendland "der unbeliebteste Einsatz", sagt Friedrich Niehörster. Der Polizeipräsident von Lüneburg leitet den Einsatz. Er spricht von einer "ätzenden Aufgabe". Sie müssen Schiene und Straße für den Castor-Transport frei machen und über Stunden frei halten, auch im Dunkeln - in einem Landstrich, in dem viele Einheimische den Protest unterstützen.

Es ist alles andere als ein Spiel, und doch läuft im Idealfall alles nach festen Spielregeln, ein Beispiel intensiv gelebter Demokratie. Geduldig lösen vier Beamte jeden Blockierer aus der Kette, in der die Demonstranten sitzen. Viele sträuben sich, weil es ihr Ziel ist, möglichst lange zu sitzen. Manche schreien und schimpfen, weil der Griff weh tut. Dann tragen sie die Blockierer hinter die Absperrungen.

Pfarrer beobachten jeden ihrer Handgriffe. Ständig mahnen Sprecher der Blockierer über Megafon, nicht grob zu werden. Sie fordern die Einsatzleitung auf, erschöpfte Beamte auszutauschen. Es ist anstrengend, einen Menschen zu tragen, der sich schwer macht. Vor zwei Jahren, beim letzten Castor-Transport, hat allein die Räumung der Blockade vor dem Zwischenlager einen Tag gedauert.

Diesmal dürfte es noch länger dauern. Die Entscheidungen der Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung und dem Standort Gorleben mobilisieren die Anti-AKW-Bewegung. Mindestens 30.000 Demonstranten werden für Samstag im Wendland erwartet, so viele wie seit 30 Jahren nicht mehr. 1700 Menschen haben im Internet bekundet, sie wollten von Sonntag an bei der Blockade mitmachen. Und noch mehr Bauern als zuletzt wollen mit Traktoren und Landmaschinen die Straßen blockieren. 350 waren es schon beim letzten Mal.

Die Landwirte sorgten 2008 dafür, dass der Transport mit vielen Stunden Verspätung Gorleben erreichte. Der Termin liege gut, sagt Christoph Schäfer von der "Bäuerlichen Notgemeinschaft". Die Kartoffeln seien geerntet, auch die Rüben; da stünden die Traktoren sowieso rum, "da kann man sie am Sonntag bewegen". Das klingt nach Vorfreude, und auch die Polizeiführung gibt sich gelassen. Präsident Niehörster lobt die Bürgerinitiative; von der wisse er, dass sie "Zugesagtes einhält".

Wenn da nur nicht diese Zwischentöne wären, die in den letzten Tagen eine zunehmende Anspannung verraten. Und Furcht widerspiegeln, dass es diesmal anders werden könnte als 2008, eben nicht wie aus dem Demokratie-Lehrbuch. Weil die größere Masse der Demonstranten für die Polizei eine zu große Herausforderung werden könnte. Und weil sich ein Konflikt um eine Protestform ankündigt, die neben den Blockaden und Demos vorbereitet wird.

Die Castorbehälter können über verschiedene Strecken transportiert werden. (Foto: SZ-Graphik/Burgarth/Quelle: Contratom)

Mehr als 1400 Atomkraftgegner haben angekündigt, dass sie "schottern" gehen wollen. Sie wollen in großen Gruppen an die Bahnstrecke nach Dannenberg vordringen, "Lücken suchen, die Polizeiarmada ausmanövrieren, hindurchfließen", wie ein Sprecher sagt - dort Schotter aus den Gleisen graben und sie somit unbrauchbar machen. Auch darauf haben viele sich in Dutzenden Aktionstrainings vorbereitet. Die Polizeiführung warnt, dass es sich um Straftaten handle, und kündigt hartes Vorgehen an. Beide Seiten fürchten eine Eskalation.

Mit Unbehagen haben Sprecher der Protestbewegung aufgenommen, dass Polizei-Chef Niehörster schon den Einsatz von Wasserwerfern gegen Blockierer in Aussicht gestellt hat, wenn auch "nicht mit hohem Druck und nicht aus kurzer Distanz". Das werde "wie ein Eimer Wasser über den Kopf sein".

Warnend sprechen im Wendland alle von Stuttgart, den schweren Verletzungen dort. "Ich hoffe", sagt Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, "dass die Polizei nicht den gleichen Fehler macht wie in Stuttgart."

Beschwörend klingen die Appelle. Die Bürgerinitiative hat in einem Aufruf gemeinsam mit der Gewerkschaft der Polizei vor dem "Herbeireden von Gewalt" gewarnt: "Wir wollen keine Verletzten - auf beiden Seiten nicht." Einsatzleiter Niehörster erinnert an den Transport vor zwei Jahren, als die Zahl der Straftaten gegenüber 2003 von 1800 auf 50 zurückgegangen war: Das gebe ihm Hoffnung auf einen kreativen, bunten Protest.

© SZ vom 05.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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