Verteidigungshaushalt:Eine Lücke von 56 Milliarden Euro

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Nach zwei Jahren Krieg in der Ukraine werden Artillerie-Geschosse knapp: Bundeskanzler Olaf Scholz und die dänische Premierministerin Mette Frederiksen bei der Spatenstich-Zeremonie für eine neue Munitionsfabrik in Unterlüß in der Lüneburger Heide. (Foto: Ronny Hartmann/AFP)

Noch hilft das Sondervermögen. Doch das ist 2028 weg. Auch danach braucht die Bundeswehr Jahr für Jahr ungeheure Summen für Waffen, Munition und Ausrüstung. Und keiner weiß, wo das Geld herkommen soll.

Von Georg Ismar

Der Abgeordnete Andreas Schwarz sitzt etwas ratlos auf einer Bank vor dem Fraktionssaal der SPD im Reichstagsgebäude; er bearbeitet sein Telefon. "Wir brauchen allein 2028 rund 56 Milliarden Euro zusätzlich für den Verteidigungshaushalt", klagt Schwarz. "Das kann man nicht einfach woanders einsparen, das ist unmöglich." So wie dem SPD-Verteidigungs- und Haushaltsexperten geht es gerade einigen in der Ampelkoalition. Es gibt das Versprechen des Kanzlers, das von nun an und bis in die 2030er-Jahre hinein mindestens zwei Prozent der Wirtschaftskraft jedes Jahr in Rüstung und Verteidigung fließen sollen, um verteidigungsfähig gegen Russland zu sein. Aber wo das Geld herkommen soll, das weiß niemand.

Bis spätestens 2028 wird das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht sein, es wird bisher einberechnet in das Zwei-Prozent-Ziel, das sich die Nato-Mitglieder bereits 2014 verordnet hatten. Dann muss alles über den sogenannten Einzelplan 14 gestemmt werden, den regulären Verteidigungshaushalt. Zuletzt betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 4,12 Billionen Euro, folglich sind etwa 80 Milliarden Euro derzeit pro Jahr für die Verteidigung auszugeben. Da aber das BIP nach Schätzungen des Finanzministeriums weiter steigen wird, ergibt sich ohne Sondervermögen für 2028 die 56-Milliarden-Lücke im Vergleich zum gegenwärtigen Etat.

Neues Sondervermögen? Verteidigungs-Soli? Es gibt eine Reihe von Vorschlägen

Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hat eine Erhöhung des Sondervermögens auf 300 Milliarden Euro nicht ausgeschlossen, der SPD-Politiker Schwarz schlägt vor, sämtliche Ausgaben für Rüstung, Verteidigung, Ukraine-Unterstützung und den heimischen Zivilschutz von der Schuldenbremse auszunehmen; dann würde es hier keinen Kostendeckel geben. Andere Abgeordnete haben einen Verteidigungs-Soli ins Spiel gebracht. Auch die Unions-Spitze wird spätestens nach der Bundestagswahl Farbe bekennen müssen - einerseits pocht sie auf weit höhere Rüstungsausgaben, zugleich aber auf strikte Einhaltung der Schuldenbremse. Doch eine klare Idee, wo denn das ganze Geld herkommen soll? Bisher Fehlanzeige.

Es zeigt sich wegen der Bedrohungen durch Russland, den Lieferungen an die Ukraine und der Unsicherheiten in den USA, dass womöglich sogar das Zwei-Prozent-Ziel zu wenig sein könnte und man eher Richtung drei Prozent gehen muss. Das hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schon angekündigt. Die Lager der Bundeswehr sind derzeit relativ leer - und dass Kanzler Olaf Scholz und Pistorius nun einen Spatenstich für eine neue Munitionsfabrik des Rheinmetall-Konzerns gesetzt haben (hier soll vom kommenden Jahr an 155-Millimeter-Artilleriemunition hergestellt werden), hat gleich Kritiker auf den Plan gerufen: warum erst jetzt? Die Ukraine leidet gerade unter der Knappheit, die russische Armee gewinnt an Boden, auch dank weit mehr Munition. Wie düster die Zeiten sind, lässt sich am Aktienkurs von Rheinmetall ablesen. Der hat seit dem Besuch des Kanzlers am 12. Februar um zeitweise mehr als 50 Euro zugelegt und erstmals die 400-Euro-Grenze geknackt.

Überall gibt es großen Nachholbedarf

Gut läuft hingegen die Beschleunigung der Beschaffung: Bei Bestellungen von 25 Millionen Euro und mehr muss immer der Haushaltsausschuss des Bundestags zustimmen. 55 dieser 25-Millionen-Euro-Vorlagen wurden 2023 verabschiedet - ein neuer Rekord. Das Gesamtvolumen betrug fast 47 Milliarden Euro, darunter 24 Milliarden aus dem Sondervermögen. Bewilligt wurden unter anderem 50 Schützenpanzer Puma (4,7 Milliarden), 60 schwere Transporthubschrauber (7,2 Milliarden), das von Israel hergestellte Luftverteidigungssystem Arrow 3 (rund 3,7 Milliarden) und drei Seefernaufklärer P-8A Poseidon (1,1 Milliarden). Allein für das erste Halbjahr 2024 sind weitere 43 dieser 25-Millionen-Vorlagen geplant - etwa für Fregatten und Panzerhaubitzen, aber auch für die technische Modernisierung von neuen Funkgeräten bis hin zu Kommunikationssatelliten. Dazu gibt es großen Nachholbedarf bei der Drohnenabwehr, eine zentrale Lehre aus dem Ukraine-Krieg. Und viel neue Munition soll auch beschafft werden.

Aber reicht das überhaupt? Ein Großteil des Sondervermögens geht in die Luftwaffe und Luftverteidigung. Es war Alfons Mais, der Inspekteur des Heeres, der nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sagte, das Heer stehe "mehr oder weniger blank da". Nun soll zudem noch eine Brigade mit fast 5000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationiert werden, auch die Ersatzbeschaffung von an die Ukraine abgegebenen Kampf- und Schützenpanzern braucht seine Zeit. Militärexperten halten Deutschland bisher nicht für abwehrbereit, zudem gewinnt man zu wenig neues Personal. Pistorius nennt mit Blick auf Russland einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren, indem so viel aufgeholt und neu beschafft werden muss, damit die Bundeswehr im Ernstfall, wie er es formulierte, "kriegstüchtig" ist.

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