Berlin (dpa) - Die Bundesregierung sucht nach Auswegen aus der Haushaltskrise. Sie muss im Bundesetat 2024 ein Loch von 17 Milliarden Euro stopfen. Diese Summe nannte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Abend im ZDF kurz vor dem Beginn von Beratungen der Koalitionsspitzen.
Es müsse nun schnell und sorgfältig eine Entscheidung getroffen werden, so Lindner. „Aber der Staat ist voll handlungsfähig.“ Es müsse erreicht werden, dass der Staat „treffsicherer“ mit dem Geld umgehe, das er habe.
Das Treffen im Kanzleramt wurde nach knapp anderthalb Stunden beendet, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Koalitionskreisen erfuhr. Es habe einen guten politischen Austausch gegeben. Alle drei Partner eine, dass sie gute Lösungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen finden wollten. Beschlüsse waren bei den Beratungen nicht erwartet worden.
Scholz vor dem Treffen optimistisch
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich vor dem Treffen optimistisch gezeigt, Zukunftsinvestitionen trotz der Haushaltskrise möglich zu machen. „Ja, wir werden weiter in die Zukunft investieren“, versicherte er. Deutschland müsse sich das trauen, auch weil andere Staaten wie die USA und China mit hohen Subventionen arbeiteten.
Die Koalition peilt trotz unterschiedlicher Positionen weiter an, den Etat für 2024 möglichst vor Jahresende zu beschließen. „Schön wäre, Ziel wäre, wunderbar wäre, es in diesem Jahr zu schaffen“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Es gebe bei allen drei Koalitionspartnern den Wunsch nach einem baldigen Abschluss.
Dabei müssen jedoch Entscheidungen zu Kernanliegen aller drei Ampel-Parteien getroffen werden. Lindner hat seine Kollegen deshalb bereits auf „erhebliche Kraftanstrengungen“ eingestimmt.
Klingbeil erwartet noch keine abschließende Lösung
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil erwartet noch keine abschließende Lösung für den Haushalt 2024. „Dafür ist die Lage zu groß“, sagte er in der Sendung „Frühstart“ von RTL und n-tv. Doch er hoffe, dass sich erste Lösungskorridore abzeichneten. CDU-Chef Friedrich Merz riet der Bundesregierung in einem „Welt“-Interview, den Etatbeschluss für das kommende Jahr nicht übers Knie zu brechen.
Formal war der Koalitionsausschuss schon länger terminiert. Das Bundesverfassungsgericht hatte untersagt, milliardenschwere Corona-Kredite nachträglich für Klimaschutz und Modernisierung der Wirtschaft zu nutzen und Notlagenkredite für spätere Jahre zurückzulegen. Die Koalitionspartner sind sich über die Konsequenzen uneins.
Problem 1: Intel-Milliarden, Heizungsförderung - was geht im Klima- und Transformationsfonds?
Seit dem Urteil fehlen der Bundesregierung 60 Milliarden Euro, die schon fest für Investitionen in den kommenden vier Jahren eingeplant waren. Damit sollten unter anderem die Förderung für Chipfabriken von Intel und TSMC, für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen, die Sanierung der Bahn und viele andere Projekte finanziert werden.
Rechtsverbindlich zugesagte Mittel können 2024 auch ohne die 60 Milliarden fließen, weil der Fonds eigene Einnahmen und genug Geld hat. Auch schon sicher: Bei der Heizungsförderung soll erstmal nicht gekürzt werden. Doch was ist mit dem Rest? Die Vorhaben beträfen den „wirtschaftlichen Kern Deutschlands“, warnt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Union schlägt vor, die Heizungsförderung rückabzuwickeln. Eine Möglichkeit wäre auch, über Steuererhöhungen mehr Einnahmen zu generieren, was aber die FDP rigoros ablehnt.
Problem 2: Milliardenloch im Etat 2024
Das Urteil riss auch ein Milliardenloch in den Etat für 2024. Lindner sagte im ZDF: „„Für den Haushalt 2024 gehe ich jetzt von einem Handlungsbedarf von etwa 17 Milliarden Euro aus.“ SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hält es deshalb für unvermeidbar, die Schuldenbremse erneut auszusetzen. Das hat die Koalition auch zur Reparatur des Etats 2023 vor - begründet damit, dass die Energiekrise zu Jahresbeginn noch deutlich zu spüren war. Kühnert sagte im Deutschlandfunk, das Loch im Etat sei „über bloße Einsparungen im Kernhaushalt und in den Investitionsvorhaben des Bundes“ nicht zu füllen. Die bisherigen Sparvorschläge würden der Größenordnung nicht gerecht.
Ausnahmen von der Schuldenbremse sind bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen möglich. Dies wurde in den vergangenen Jahren etwa wegen der Corona-Pandemie und der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine genutzt.
Die FDP sieht aktuell keine Grundlage für einen neuen Notlagenbeschluss. Scholz hat angekündigt, Schwerpunkte zu setzen und „natürlich auch Ausgaben zu beschränken“. Wegfallen sollen ab dem Jahreswechsel unter anderem die Energiepreisbremsen, doch weiteres ist offen. Die Grünen wollen an aus ihrer Sicht klimaschädliche Subventionen ran, etwa steuerliche Vergünstigungen für Dienstwagen. Auch die Union hat schon eine Streichliste. Darauf: Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Sozialleistungen. Das lehnen SPD und Grüne ab.
Problem 3: Grundsatzentscheidung zur Schuldenbremse
Direkt nach dem Karlsruher Urteil flammte eine Debatte zur Zukunft der Schuldenbremse auf. Viele Politiker von SPD und Grünen plädieren für eine Reform, so dass der Staat für wichtige Investitionen mehr Kredite aufnehmen darf. Dann stünden Zukunftsprojekte nicht mehr auf der Kippe. Auch Ökonomen halten das für sinnvoll, sogar einzelne CDU-Ministerpräsidenten zeigten sich offen. Die FDP jedoch besteht bislang darauf, die Regelung im Grundgesetz nicht anzutasten. Genauso sieht das CDU-Chef Friedrich Merz.
Problem 4: Nicht viel Zeit vor Weihnachten
Für einen Etatbeschluss noch in diesem Jahr - was üblich wäre - bleibt nicht mehr viel Zeit. Regierungssprecher Hebestreit sprach die Möglichkeit einer Sondersitzung des Bundestags vor Weihnachten an. Dies wäre aber ambitioniert. Auch der Bundesrat tagt regulär nur noch am 15. Dezember.
Alternative wäre laut Hebestreit ein Haushaltsabschluss voraussichtlich Mitte Januar im Bundestag. In diesem Fall würde bis Ende Januar oder Anfang Februar eine vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien jedoch bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
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