Koalition in der Krise:Ampel muss Beschluss des Bundeshaushalts 2024 verschieben

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Finanzminister Christian Lindner und Innenministerin Nancy Faeser bei der Kabinettssitzung am Mittwoch. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Eigentlich sollte per Sondersitzung am Donnerstag zumindest an den Haushalt für das kommende Jahr ein Haken gemacht werden. Aber auch das klappt nun nicht.

Von Georg Ismar, Berlin

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden die Haushaltsprobleme für die Ampelkoalition immer größer. Die für Donnerstag geplante Sondersitzung des Haushaltsausschusses, mit der der Bundeshaushalt 2024 final besiegelt werden sollte, wurde kurzfristig abgesagt. Damit kann auch die für kommende Woche geplante Haushaltswoche mit dem Beschluss des Haushalts durch das Parlament nicht wie geplant stattfinden. Im schlimmsten Fall droht für 2024 erst einmal ein Nothaushalt. Vor allem Wirtschaft und Industrie warnen vor Arbeitsplatzverlusten und Abwanderung, wenn nicht rasch Klarheit über noch vorhandene Spielräume für Investitionen und Transformations-Förderprogramme herrscht.

Noch unmittelbar nach dem Urteil aus Karlsruhe, mit dem die Umwidmung von nicht verbrauchten Corona-Hilfsgeldern in Höhe von 60 Milliarden Euro in einen Klima- und Transformationsfonds (KTF) für verfassungswidrig erklärt worden war, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 15. November betont, der Haushalt 2024 solle dennoch wie geplant beschlossen werden. "Der Deutsche Bundestag wird seine Beratung über den Haushalt 2024 wie geplant fortsetzen (...) und der Haushalt wird planungsgemäß zur Abstimmung gestellt werden", hatte Scholz gesagt.

Nun ist auch das Makulatur. Eigentlich hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) geplant, mit dem Haushalt 2023 und 2024 erstmals seit mehreren Jahren wieder die Schuldenbremse einzuhalten. Aber wegen des Verfassungsurteils und unzulässiger Buchungstechniken muss wohl für das laufende Jahr eine Notlage erklärt und die Schuldenbremse wieder ausgesetzt werden.

Mit einem Nachtragshaushalt könnte dann versucht werden, die Fehler zu heilen und einen verfassungskonformen Haushalt 2023 aufzustellen. Anschließend soll der Haushalt 2024 final auf den Weg gebracht werden. "Das Bundesverfassungsgericht hat uns vor große Herausforderungen gestellt", betonten die haushaltspolitischen Sprecher der Koalition, Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian-Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) am Mittwoch. Darauf wolle man mit Sorgfalt reagieren und einen Haushalt 2024 aufstellen, "der alle Urteilsargumente und gleichzeitig das Gebot des Grundgesetzes nach einem Haushaltsabschluss noch dieses Jahr berücksichtigt".

Die Fraktionsvorsitzenden der drei Ampelparteien betonten, Ziel sei, rasch Planungssicherheit zu schaffen. "Auf die Tagesordnung der Bundestagssitzung nächste Woche werden andere Themen gesetzt."

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Für einen Beschluss in diesem Jahr gibt es nun - ohne Einberufen von Sondersitzungen - nur noch die Sitzungswoche des Bundestags nach dem SPD-Bundesparteitag, die vom 11. bis 15. Dezember geplant ist. Es könnte ansonsten eine vorläufige Haushaltsführung drohen, in der dann zunächst nur noch die nötigsten Ausgaben wie Gehaltszahlungen möglich wären. Im Kanzleramt laufen seit Tagen Krisensitzungen, auch zum Teil nachts, besonders Kanzler Scholz und Finanzminister Christian Lindner stimmen sich eng ab.

Zuletzt hatten sich fast täglich neue Probleme ergeben durch das Urteil: So wurden weitere Finanzzusagen aus dem laufenden Haushalt gesperrt. Es wackeln auch Großprojekte wie die Verdopplung der Ukraine-Hilfe von vier auf acht Milliarden Euro.

Besonders große Industrieunternehmen warnen bereits vor einer Abwanderung, da wegen der Unsicherheiten bei bisher geplanten Förderprogrammen zum Beispiel Stahl- und Chemiewerke keine Investitionsentscheidungen treffen können, Autobauer wiederum warnen vor großen Einbußen wegen fehlender E-Auto-Prämien. Auch die Ansiedlung von Chipfabriken aus den USA und Taiwan steht derzeit auf der Kippe, ebenso der umfassende Wasserstoff-Ausbau.

In der FDP wird es eine Mitgliederbefragung zum Verbleib in der Ampelkoalition geben. Der Vorstoß für eine bundesweite Befragung hat die dafür nötige Zahl von 500 unterschriebenen Anträgen erhalten. Noch vergangene Woche hing am Tag des Urteils des Verfassungsgerichts an Lindners Ministerium ein großes Werbebanner für seine Finanzpolitik mit folgendem Slogan: "Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen. Chancen schaffen. Unser Bundeshaushalt." Inzwischen ist das Banner schwarz verhüllt.

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Die nun gestoppten Nebenhaushalte und Sondertöpfe waren der Versuch von SPD, Grünen und FDP, den Kreditspielraum trotz Schuldenbremse zu erweitern, unter anderem, um die Milliardenkosten für den klimagerechten Umbau von Wirtschaft und Industrie zu finanzieren.

Kanzler Scholz ist inzwischen auch innerparteilich in die Kritik geraten, weil er sich trotz täglich wachsender Unsicherheiten bisher nicht umfassender öffentlich zur entstandenen Lage geäußert hat. Die Idee der Umwidmung von Corona-Geldern in den KTF geht federführend auf den früheren Finanzminister Scholz zurück.

Infolge des Urteils hatte Finanzstaatssekretär Werner Gatzer auch weitere Auszahlungen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gestoppt. Dieser weitere Sondertopf war zur Einrichtung von Strom- und Gaspreisbremsen mit 200 Milliarden Euro gefüllt worden, läuft aber nun bis Jahresende aus. Damit stehen keine Abfederungsmechanismen mehr zur Verfügung, sollten die Energiepreise im Winter steigen. SPD und Grüne pochen auf eine Reform der Schuldenbremse mit mehr Verschuldungsspielraum für Investitionen als die bisher maximal erlaubten 0,35 Prozent des Bruttoninlandsprodukts. Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz fordert hingegen eine Priorisierung und einen Verzicht auf die Kindergrundsicherung, das Heizungsgesetz und auf ein höheres Bürgergeld. "Es geht eben nicht mehr alles", sagte er in der ARD.

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