Christian Wulff wollte die Affäre schmerzfrei durchstehen. Das ist ihm nicht gelungen.
(Foto: dapd)[] 17. Dezember 2011: Journalisten registrieren, dass außergewöhnlich wenige Politiker aus dem schwarz-gelben Lager dem Präsidenten öffentlich zur Seite springen. Oppositionsvertreter erhöhen öffentlich den Druck auf Wulff, im Regierungslager spricht man hinter vorgehaltener Hand von "Instinktlosigkeit" und spielt mit Schaudern den Worst Case durch. Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter fordert Wulff zum Rücktritt auf, das sei "ein Gebot des Anstands und der Verantwortung". Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim diagnostiziert gar einen Rechtsbruch. Wulff habe gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen, sagt von Arnim der Welt. Denn das Gesetz und der dazugehörige Erlass verbiete die Annahme von verbilligten Krediten. "Ein Bezug zum Amt", so von Arnim, "ist bei dem Darlehen von Frau Geerkens aus meiner Sicht gegeben." Außerdem habe Wulff den Unternehmer Geerkes dreimal auf Reisen mitgenommen. Der Unternehmer habe zwar selbst gezahlt, aber für den Juristen liegt die Begünstigung trotzdem auf der Hand: Denn nach "objektiven Kriterien" habe Geerkens nicht in diese Delegationen gepasst. Wulff selbst spult derweil sein Weihnachtsprogramm ab - und äußerst sich in gewundenen Sätzen zu seiner Kreditaffäre: "Man muss selber wissen, was man macht", sagt Wulff etwa in Wittenberg nach der Aufzeichnung einer ZDF-Weihnachtssendung. Er könne sich weiter wunderbar mit den Bürgern unterhalten. "Das ist eigentlich das Wichtige, das Wesentliche, dass man die Dinge bewertet (...) und dann auch unterscheidet, wo ist etwas real und wo ist etwas mit sehr viel Staub aufwirbeln verbunden", sagt Wulff.
[] 18. Dezember 2011: Wulff geht in die Offensive - via Bild-Zeitung. Das Massenblatt hatte die Affäre ins Rollen gebracht, nun darf es vorab melden, bei welchen Wirtschaftsgrößen Wulff sonst noch geurlaubt hat. Während seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident habe er insgesamt sechs Mal die Räumlichkeiten von befreundeten Unternehmern privat genutzt. Unter anderem sei die Familie Wulff 2003 und 2004 zwei Mal zu Gast bei der befreundeten Unternehmerfamilie Geerkens in Spanien gewesen. 2008 habe das Ehepaar Wulff dann die Flitterwochen auf dem italienischen Anwesen des Unternehmers Wolf-Dieter Baumgartl verbracht, der seit 2006 Aufsichtsratschef der Talanx-Versicherungsgruppe ist, schreibt die Zeitung. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth zweifelt an Wulffs Eignung für das Amt des Bundespräsidenten und hält "persönliche Konsequenzen" für denkbar. Wulff selbst zeigt, dass er nicht gedenkt, vorzeitig aus seinem Amt zu scheiden: Als er die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nach einem Festgottesdienst verlässt, ruft ihm ein Passant zu, er solle nicht zurücktreten. Wulff antwortet: "Nein, das machen wir nicht."
[] 19. Dezember 2011: Am Wochenende werde es "kritisch genug" hatte Wulff vor Mitarbeitern gesagt, nun ist es überstanden. Inzwischen solidarisieren sich mehr und mehr Politiker von CDU, CSU und FDP mit dem Präsidenten. Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibe bei ihrer Unterstützung für Wulff, versichert Vize- Regierungssprecher Georg Streiter: "Der Bundespräsident tut erkennbar alles, um die an ihn herangetragenen Fragen zu beantworten." Das reiche nicht, sagt Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke. Und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wirft Bundespräsident Christian Wulff ein "merkwürdiges Amtsverständnis" vor. Es könne nicht sein, dass sich Wulff nur durch seine Anwälte zu der Kredit-Affäre äußere, sagte Nahles. "Ich denke, die deutsche Öffentlichkeit hat ein bisschen mehr als eine Weihnachtsansprache verdient."
Dass die Affäre damit abgeschlossen ist, hofft der Präsident und mit ihm das schwarz-gelbe Regierungslager. Nur "nicht noch so ein Ding", heißt es hinter vorgehaltener Hand. Bleibt es dabei, dürfte Christian Wulff den Fall Geerkens im Amt überstehen, wenn auch ramponiert. Vielleicht kann man in Wulffs Umgang mit dem Fall "kein juristisches Fehlverhalten erkennen", wie es Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier gebetsmühlenartig wiederholt. Aber die Frage ist, wie glaubwürdig ein Präsident ist, der erst dann die volle Wahrheit sagt, wenn er durch die Presse dazu genötigt wird.
"Ehrlichkeit kann weh tun", hatte Christian Wulff in dem Interview vor sechs Jahren gesagt, nun schmerzt sie besonders. Er wurde damals auch dazu befragt, was er von der Mitnahmementalität seines niedersächsischen Amtsvorgängers Gerhard Schröder hält. Der Privatmann Schröder engagierte sich nach seiner Kanzlerschaft bekanntlich für eine Tochter von Gazprom, die den Bau der Ostsee-Pipeline übernahm - ein Projekt, das der Politiker Schröder angeschoben hatte.
Wulff sagte: "Moral lässt sich nur begrenzt verordnen". Wo Wulff recht hat, hat er recht.