Bundespräsident: Rede zum Tag der Deutschen Einheit:Was lange währt, wird endlich Wulff

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Knapp hundert Tage ist er im Amt, doch erst jetzt ist Christian Wulff tatsächlich Bundespräsident geworden. Seine Rede zum 20. Jahrestag der Einheit war zwar rhetorisch eher schlicht - dafür aber inhaltlich reichhaltig. Das Land kann sich hinter seinen Gedanken versammeln.

Heribert Prantl

Der neue Bundespräsident ist kein Richard von Weizsäcker und kein Theodor Heuss. Das muss er auch nicht sein. Bundespräsidenten werden schließlich gewählt und nicht geklont. Er muss auch kein Orpheus sein, bei dessen Gesang sich die Bäume verneigen. Christian Wulff muss schlicht ein Bundespräsident sein, und das ist er wohl nach knapp hundert Tagen Amtszeit am Einheitstag geworden.

Bundespräsident Christian Wulff hielt in Bremen eine solide Rede, die durchaus bemerkenswerte Feststellungen enthielt. (Foto: dapd)

Er beherrscht zwar die Kunst der großen Rede nicht, aber er hat zum zwanzigjährigen Jubiläum der Einheit eine gute, respektable Rede gehalten; sie war zwar nicht rhetorisch, aber inhaltlich reichhaltig. Das Land kann sich hinter seinen Gedanken versammeln. Wulff spannte den Bogen von der deutschen Einheit zur Integration der Ausländer. Es gibt Mäkler, die behaupten, diese beiden Themen passten nicht zusammen, sie gehörten nicht in ein und dieselbe Rede. Da täuschen sie sich: Bei der Integration geht es um die zweite deutsche Einheit, und Wulff hat die Chancen und die Probleme, die es dabei gibt, unprätentiös angesprochen. Er erfüllte die Erwartungen an seine Einheitsrede durchaus. Den Namen Thilo Sarrazin hat er zu Recht nicht erwähnt, aber klare Aussagen gemacht zu der Debatte, die dieser ausgelöst hat.

Zwei von Wulffs Feststellungen sind bemerkenswert. Die erste zur Integration, von der er sagt, dass das Land damit weiter sei, als die Debatte darüber vermuten lasse, aber noch nicht weit genug. Die zweite zum Islam, von dem Wulff sagt, dass er mittlerweile, neben dem Christen- und dem Judentum, zu Deutschland gehöre. Es war fast ein wenig anrührend, wie Wulff erklärte, wie und warum er "natürlich" auch Präsident der Musliminnen und Muslime in Deutschland sei.

Der eine oder andere im Saal hat nicht geklatscht nach Wulffs Rede, weil er sich selber für einen besseren Redner hält, vielleicht auch für einen besseren Präsidenten halten möchte. Es ist ganz gut, dass Personen von solcher Eitelkeit nicht Präsident sind. Vielleicht leidet ja die Präsidentendebatte in Deutschland an dem schönen Satz, den einmal der Historiker Hans-Peter Schwarz gesagt hat: Seit Heuss, dem ersten Staatsoberhaupt der Bundesrepublik, würden Präsidenten daran gemessen, ob es ihnen gelingt, die großen Streitfragen "intellektuell ins Schweben zu bringen". Wem das gelingt, der ist ein Zauberer. Man kann nicht erwarten, dass jeder Präsident zaubern kann. Er muss Streitfragen nicht unbedingt schweben lassen; aber er muss sie ansprechen und den Weg weisen. Das hat Wulff am Einheitstag getan, nicht mit großer Geste, nicht mit historischen Worten - sondern schlicht, aber richtig.

Wulff sprach auch von den Armen dieser Gesellschaft, von der Arbeitslosigkeit, von Europa, von der Finanzkrise, vom Versagen so mancher, die sich zur Elite zählen. War das zu viel auf einmal? Es war ein deutscher Problemaufriss zum Einheitstag. Das soll so sein: Man feiert Erntedank - und weiß doch, dass man immer wieder neu säen muss.

© SZ vom 04.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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