Bundespräsident Joachim Gauck:Weltmeister im lauten Denken

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Bundespräsident Joachim Gauck (Foto: dpa)

Er kann Menschen besoffen reden, berauscht sich, so scheint es, auch gerne an sich selbst. In der Hälfte seiner Amtszeit ist Bundespräsident Joachim Gauck immer mutiger geworden, ist vielfach angeeckt und stößt Kontroversen an. Aber ist das wirklich seine Aufgabe?

Von Constanze von Bullion

Wer Joachim Gauck beim Präsidentsein zusieht, der kann schon mal den Eindruck gewinnen, dass sich da einer an sich selbst berauscht. Zweieinhalb Jahre ist der Seemannssohn aus Rostock jetzt im Schloss, Halbzeit also für ein Staatsoberhaupt der etwas anderen Art. Ein Mann ist da im Amt, der Weltklasse ist im lauten Denken, der sich und seine Landleute besoffen reden kann und mitreißen kann.

Da kommt einer, der sich etwas traut, der auch undiplomatisch ist, das spüren viele, auch Staatsoberhäupter anderer Länder, denen Gauck gern mal ein paar Tränen als Gastgeschenk mitbringt. Da ist einer unterwegs, der es geschafft hat, sich eine ansehnliche Schar von Gegnern zuzulegen.

Aber darf er das überhaupt? Muss ein Bundespräsident nicht Inbegriff der Neutralität sein, von radikaler Zurückhaltung im politischen Tagesgeschäft, dafür aber von ewiger Weisheit im Grundsätzlichen? Er sollte vielleicht, aber Gauck schafft das nicht immer. Und er will es auch immer weniger. Zum Glück.

Protokoll und Experimente

Joachim Gauck war noch nicht Bundespräsident, da hat er sich schon Gedanken gemacht, wie er in einem so großen Amt bestehen könnte, ohne darin zu verschwinden. Ein bisschen Gauck sollte schon übrig bleiben, fand er, bei allen Zwängen des Protokolls. Gauck wollte Präsident sein, unbedingt, und je ärger sein Vorgänger Christian Wulff ins Stolpern geriet, desto dringlicher wurde dieser Wunsch. Als dann die Bundeskanzlerin anrief, saß er im Taxi, sagte Minuten später vor Kameras, er sei nicht einmal gewaschen. Das klang verdutzt, aber Gauck war sehr überzeugt von sich. Das hilft.

Was dann kam, war die Schule Wirklichkeit, das Korsett der Diplomatie wurde geschnürt. So fest, dass Gauck fast die Stimme wegblieb. Er ist als einer gewählt, von dem man erwartete, dass er das Land zum Streit ermutigt, auch unbequeme Wahrheiten ausspricht, ohne Rücksicht auf politische Lager und Gefälligkeitskulturen. Sein Leitmotiv- das ist die Freiheit und die Frage, welche Verantwortung daraus erwächst. Aber Gauck hat auch experimentiert.

Mal stellte er in den Raum, der Whistleblower Edward Snowden sei womöglich ein Verräter. Mal nannte er NPD-Leute "Spinner" oder teilte plötzlich mit, er fahre nicht zu Putins Olympischen Spielen nach Sotschi. Die Kanzlerin wusste von nichts und war irritiert. Gauck mühte sich fortan, im Revier zu bleiben, mit nicht immer glänzenden Resultaten. Eine angebliche Grundsatzrede zu Europa blieb fad wie ein Papiertaschentuch.

Womit die nächste Etappe der Gauck'schen Präsidentschaft erreicht wäre, die von wachsender Furchtlosigkeit gezeichnet ist. Andauernd eckt der Bundespräsident jetzt mit Reden an, die seine Vorgänger wohl für Kamikaze gehalten hätten. Im Frühjahr etwa besuchte er den türkischen Premier Tayyip Erdoğan, dem er vorhielt, die Rechtsstaatlichkeit seines Landes sei mangelhaft. Setzen, fünf! Erdoğan keilte zurück, in Deutschland erntete Gauck Applaus für seinen Mut.

Warum eigentlich? Streng genommen hat er schon in der Türkei die Grenzen präsidialer Zurückhaltung überschritten. Das störte zu Hause aber keinen, weil die Botschaft seiner Rede gut ankam. Das Muster wiederholt sich. Gaucks Ausbrüche aus der Enge seines Amtes werden immer dann als unbotmäßig kritisiert, wenn der Inhalt nicht gefällt. Und weil das je nach politischem Lager variiert, sind es mal Konservative, die Zurückhaltung anmahnen, wenn Gauck Offenheit für Flüchtlinge fordert. Oder es klagt das rot-grüne Establishment, weil er das Land auffordert, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen, auch militärisch.

Man könnte es auch anders ausdrücken: Statt immerfort zu versuchen, Gauck zurückzupfeifen in sein Gehege, was nicht funktioniert, sollten die Deutschen sich freuen über diesen Präsidenten, der sich traut, Kontroversen anzustoßen, die wehtun. Die Debatte über deutsches Engagement in internationalen Krisen ist so eine. Man braucht Gauck nicht zuzustimmen, wenn er mit einer gewissen Penetranz mehr Entschlossenheit bei Auslandseinsätzen anmahnt. Und es hat nicht jedem gefallen, dass er seine Rede zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in den Kontext der Verteidigungsbereitschaft stellte. Keine Frage, der Mann liebt den Klang der eigenen Stimme. Aber mit dem Thema Krieg hat er eine Debatte eröffnet, die ausgefochten werden muss.

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:Kritisieren Historiker Gauck zu Recht?

Bei Historikern stößt die Danziger Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs auf ein zwiespältiges Echo. Sie kritisieren die Schärfe, in der Gauck Russland wegen dessen Vorgehens gegen die Ukraine attackiert hatte.

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Bleibt die Frage, was dieser streitbare Herr mit der zweiten Hälfte seiner Amtszeit anfangen will. Schließlich könnte sie seine einzige bleiben. Das Thema Verantwortung stehe weiter im Mittelpunkt, heißt es in seinem Haus. Das klingt, als wollte Joachim Gauck das tun, was er ohnehin am liebsten macht: einfach weiter.

© SZ vom 18.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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