Bulgarien:Sofia sucht eine Regierung

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Ex-Premier Bojko Borissow ist für viele in Bulgarien nicht mehr als Regierungschef denkbar. Aber sein Einfluss als Strippenzieher bleibt immens. (Foto: Dimitar Dilkoff/AFP)

Trotz mehrerer Neuwahlen scheitert Bulgarien damit, eine stabile Koalition zu finden. Wird deshalb bald wieder abgestimmt? Wichtige Ziele des EU-Staats sind bereits gefährdet.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Wenn nicht noch ein Wunder geschehe, sagte Assen Wassilew, Co-Chef der jungen bulgarischen Partei "Wir setzen den Wandel fort", vor ein paar Tagen, dann müssten seine Landsleute Anfang April schon wieder wählen gehen. Zum fünften Mal in zwei Jahren. Aber Wunder sind in der Politik sehr selten. Und in der bulgarischen Politik, wo persönliche Feindschaften, Allianzen mit einflussreichen Oligarchen, prowestliche und prorussische Lager eine toxische Mischung bilden, werden politische Wunder in der Regel sowieso verhindert.

Seit der Neuwahl des Parlaments im Oktober sind auch zwei weitere Versuche gescheitert, eine Koalition aus den zerstrittenen Parteien zu bilden. Ohnehin waren bereits seit der Wahl im April 2021 die meiste Zeit vom Präsidenten eingesetzte Übergangsregierungen im Amt gewesen. Erst wurde im Juli 2021, dann im November 2021 und zuletzt wieder im Oktober 2022 neu gewählt. Ex-Premier Bojko Borissow hatte es daher, als Wahlsieger, in den vergangenen Wochen im Auftrag des Präsidenten einmal mehr mit der Regierungsbildung versucht. Weil er persönlich als Premier nicht mehr vermittelbar ist, hatte er einen Führungswechsel an der Spitze seiner Gerb-Partei angeboten. Aber alle möglichen Partner sagten ab: Mit dem korrupten Machtpolitiker, der weiterhin im Hintergrund die Strippen ziehen würde, gehe nichts zusammen.

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Dann bekam die Partei von Wassilew den Auftrag zur Regierungsbildung. Er war im ersten Halbjahr 2022 Finanzminister in einer Reformregierung unter seinem Freund Kiril Petkow gewesen. Die Vier-Parteien-Koalition, welche die beiden prowestlichen Politiker angeführt hatten, hatte in Sachen Korruptionsbekämpfung und Energiesicherheit vieles bewegt und Unterstützung für die Ukraine an der Seite der westlichen Partner organisiert. Doch ihre Koalition hielt nur ein paar Monate. Denn dann sprang der erste Partner, die Partei des erratischen Entertainers Slawi Trifonow, schon wieder ab. Regierungen haben eine kurze Halbwertzeit in Bulgarien.

Wassilew und Petkow nominierten für einen neuen Versuch Bildungsminister Nikolaj Denkow und legten Anfang Januar ein Programm zur Modernisierung der Wirtschaft, für Energiesicherheit und nationale Sicherheit vor. Doch sie schafften es nicht mal bis zur Abstimmung im Parlament - keine Chance auf eine Mehrheit. So geht das seit vielen Monaten. Nun könnte eine kleine Gruppierung, Demokratisches Bulgarien, unter Ex-Justizminister Hristo Iwanow, den Zuschlag von Präsident Rumen Radew bekommen. Aber seine Chancen, Unterstützung zum Beispiel für eine Minderheitsregierung zu organisieren, sind abermals gering.

Der "Ersatzkönig" ist geschwächt

Der renommierte bulgarische Politikwissenschaftler und Autor Iwan Krastew sieht die Parteien ohnehin längst wieder im Vorwahlkampf. Der Süddeutschen Zeitung sagte er, Radew habe als Präsident eine Zeitlang davon profitiert, Übergangsregierungen einzusetzen und damit de facto das Land regieren zu können. Aber vermehrte Attacken politischer Partner, vor allem der prorussisch ausgerichteten sozialistischen Partei BSP, schwächten seine Position als "Ersatzkönig".

Trotz des politischen Patts ist hinter den Kulissen einiges im Fluss. Prorussische Kräfte, traditionell stark im Land, haben ihre Propaganda verschärft. Der Krieg in der Ukraine hat wiederum das prowestliche Lager enger zusammenrücken lassen. Regierungsprogramme und zentrale Projekte werden entworfen und verworfen, bei den Sozialisten deutet sich ein Führungswechsel an, bei Gerb ebenso. Das alles hat spürbare Folgen. Die Übergangsregierung hat aufgrund der schlechten Wirtschaftsdaten darauf verzichtet, ein Budget für 2023 vorzulegen, die geplante Einführung des Euro ab 2024 ist gefährdet, der Eintritt in die Schengen-Zone aufgrund des Vetos von Österreich und der Niederlande vorerst gescheitert. Eine gewählte, stabile, handlungsfähige Koalition wäre also dringend nötig.

Krastew sieht Bulgarien tatsächlich auf dem Weg zu einer neuen Regierung - allerdings erst nach den nächsten vorgezogenen Parlamentswahlen. Zentraler Player werde, so der in Wien ansässige Wissenschaftler, weiterhin das political animal Bojko Borissow sein, dessen Gerb-Partei erneut mit den meisten Stimmen aus einem Wahlkampf hervorgehen dürfte. Borissow selber, der zwischen 2009 und 2021 mehrmals Ministerpräsident und dessen Karriere von zahlreichen Korruptionsskandalen begleitet war, sei Geschichte. Aber er bleibe enorm einflussreich, habe Verbündete unter den Bürgermeistern der großen Städte und immer noch gute Kontakte in die EU.

Der russische Angriffskrieg spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Bulgariens. Während sowohl die Reformregierung unter Petkow als auch die aktuelle Übergangsregierung unter Premier Galab Donew die Ukraine aktiv und demonstrativ unterstützt hat, machen prorussische Medien und Parteien mobil. Der bulgarische Journalist Alexander Andreew, der den Einfluss Russlands für das Fachjournal Südosteuropa analysiert hat, sieht Bulgarien "ernsthaft gefährdet" durch Kremltrolle, gekaufte Journalisten und Politiker. Zugleich aber verurteile die Bevölkerung die Gräueltaten der russischen Armee. Das sei ein Hoffnungsschimmer, so Andreew: Mitgefühl und Bündnistreue - trotz verstärkter russischer Einflussnahme.

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