Bürgerschaftswahl in Bremen:Was die rote Stadt bewegt

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  • Im kleinsten deutschen Bundesland Bremen hat die Bürgerschaftswahl begonnen. Bis zum Mittag haben nur wenige Bürger ihre Stimme abgegeben, die Beteiligung war deutlich niedriger als vor vier Jahren.
  • Bremen ist Armutshauptstadt, Bildungsverlierer und Islamistenhochburg.
  • Umfragen zufolge kann die seit acht Jahren regierende Koalition unter dem SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen ihre Regierung fortsetzen. Spannend wird die Wahl für FDP und AfD.

Von Hannah Beitzer, Bremen

Die Bremer wählen eine neue Bürgerschaft: Etwa 500 000 Frauen und Männer können bis 18 Uhr ihre Stimmen in den Wahllokalen abgeben. Die Wahlbeteiligung lag bis Mittag bei nur 14,2 Prozent und damit deutlich niedriger als vor vier Jahren, teilte die Landeswahlleitung mit. Damals hatten zum selben Zeitpunkt schon 20,6 Prozent der Stimmberechtigten gewählt. Umfragen zufolge kann die seit acht Jahren regierende rot-grüne Koalition unter Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ihre Regierung fortsetzen. Bremen ist seit Kriegsende fest in der Hand der Sozialdemokraten. Es wird aber erwartet, dass vor allem die Grünen nach ihrem guten Ergebnis von 2011 diesmal Verluste hinnehmen müssen. Welche Themen in Bremen eine Rolle spielen:

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Ad-Busting, die kreative Auseinandersetzung mit Werbeformen wie Wahlplakaten, ist der Volkssport der Street-Art-Szene. Martin Fuchs hat die skurrilsten Exemplare zur Bremer Bürgerschaftswahl gesammelt.

Bremen ist Deutschlands ärmstes Bundesland. Die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert, die ihr Amt 2007 antrat, dürfte daher wenig Spaß bei der Arbeit haben. Auch den Wahlkampf hat es für die Grünen nicht leichter gemacht. Erst recht, da das Land von 2020 an verpflichtet ist, die Schuldenbremse einzuhalten. Dafür bekommt es 300 Millionen Euro Konsolidierungshilfe im Jahr - und muss im Gegenzug sein Defizit schrittweise auf null senken. Manchmal heißt es für den Senat deswegen: kreativ sein. So erließ er im Herbst 2014 ein Gesetz, wonach die Deutsche Fußballliga die Kosten für die Sicherheit besonders großer Spiele selbst tragen muss. Allein in der Saison 2013/14 hatte das klamme Land 1,4 Millionen Euro für die Polizeieinsätze bei Bundesliga-Spielen gezahlt.

Klamm ist leider nicht nur die Stadt. Jeder vierte Bremer ist arm, die Hansestadt hat die höchste Arbeitslosenquote Westdeutschlands. Besonders Frauen sind in der Hansestadt betroffen, jedes dritte Kind lebt außerdem in Armut. Was tun? Die Parteien der Bürgerschaft setzten eigens dafür einen überfraktionellen Armutsausschuss ein. Im Abschlussbericht hieß es unter anderem, mehr Sozialarbeiter müssten her und vor allem mehr Bildung.

Der Pisa-Schock

Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Bildung. Bremen landet deutschlandweit in der Pisa-Studie regelmäßig auf den hinteren Plätzen und das schon seit 2000, als der "Pisa-Schock" ganz Deutschland erfasste. 13,3 Prozent der jungen Erwachsenen haben dem Statistischen Bundesamt zufolge in der Hansestadt kein Abitur und keine Berufsausbildung, der höchste Wert in ganz Deutschland. Erklärungen dafür gibt es viele. So hat Bremen einen höheren Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund als etwa Sachsen oder Bayern. Und auch Arbeitslosigkeit der Eltern und Armut tragen Bildungsforschern zufolge zu den schlechten Ergebnissen der Bremer Schüler bei.

Seit 2000 unternimmt der Senat einige Anstrengungen, die Werte zu verbessern: Sprachförderungsprogramme, Bildungspläne für Mathematik und Deutsch, Ausbau der Ganztagesschulen und die Einführung eines zweigliedrigen Schulsystems bei den weiterführenden Schulen. Seit 2008 gibt es in Bremen nur noch Oberschulen (für alle) und Gymnasien, deren Erhalt bis 2018 gesichert ist. Eltern und Lehrer jedoch klagen über zu wenig Personal, zu wenig Geld. Im Jahr 2014 fielen in Bremen etwa 100 000 Unterrichtsstunden aus - zu viel, finden Kritiker.

Wer wird in der Bremer Bürgerschaft sitzen? Darüber entscheidet heute der Wähler. (Foto: dpa)

Vorreiter ist Bremen in Sachen Inklusion. Bereits 2009 beschloss der Senat ein Gesetz, das (lern-) behinderten Kindern das Recht zusprach, allgemeinbildende Schulen zu besuchen. Auch da schlägt sich allerdings Kritikern zufolge der Lehrermangel nieder. Sonderpädagogen müssten häufig Stunden abwesender Kollegen übernehmen, so dass nicht genügend Zeit für die Kinder mit hohem Förderbedarf bliebe.

Gute Noten bekommt Bremen immerhin vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft für seine Hochschulen. Passabel sieht es auch bei den Kitas aus. 2014 war Bremen neben Baden-Württemberg das einzige Bundesland, in dem den Kindern genügend Erzieher gegenüber standen.

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Die Sicherheit

In die Schlagzeilen geriet Bremen in den vergangenen Monaten mit einem weiteren unangenehmen Thema: als Hochburg des deutschen Islamismus. Nach Angaben von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) beobachtete der Verfassungsschutz zuletzt etwa 360 Salafisten in der Stadt. Mindestens 16 Islamisten aus Bremen sind nach Syrien gereist, um dort zu kämpfen, so die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden. Vier sollen bereits wieder zurückgekehrt sein, zwei starben offenbar bei Kämpfen.

Ende Februar durchsuchte die Polizei in einem Großeinsatz ein Islamisches Kulturzentrum, verhaftete einige Verdächtige. Sie fanden jedoch weder Terroristen noch Waffen. Hinterher wurde Kritik an dem Einsatz laut, die Informationslage sei zu dünn gewesen, zudem kamen Pannen an die Öffentlichkeit: zeitliche Lücken in der Überwachung, die Festnahme Unschuldiger.

Innensenator Mäurer geriet unter Druck. Er will das Thema nun auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz im Juni setzen. Er fordert eine bundesweite Strategie zur Terrorismusbekämpfung. Im Wahlkampf nützt das Thema vor allem den rechten Parteien - der Alternative für Deutschland (AfD), zu deren Kernthemen Islamismus gehört, und der ebenfalls rechtspopulistischen Wählervereinigung "Bürger in Wut".

Die kleinen Parteien

Spannend dürfte heute der Kampf der kleinen Parteien um den Einzug in die Bremer Bürgerschaft werden. Die AfD zum Beispiel liegt in Umfragen bei etwa fünf Prozent - eine sichere Nummer ist das nicht. In ihrem Wahlkampf setzt sie auf Stimmungsmache gegen den Islam, sie fordert etwa eine "Zurückdrängung des Einflusses ausländischer islamischer Organisationen". Ansonsten ist ihr Spitzenkandidat Christian Schäfer aber eher dem wirtschaftsliberalen Lager von Parteichef Bernd Lucke zuzurechnen als den Pegida-Freunden seiner Partei. Er gilt als zurückhaltend. Den lauten Auftritt besorgen in Bremen die "Bürger in Wut", eine Wählervereinigung, die es seit 2004 gibt. Landesweit liegt sie zwar regelmäßig unter der Fünf-Prozent-Hürde, sie ist aber bereits zweimal über die Bremerhavener Landesliste in die Bürgerschaft eingezogen - eine Besonderheit des Bremer Wahlrechts.

Die Parteien könnten sich durchaus gegenseitig Stimmen wegnehmen. Zudem steht die AfD in der Öffentlichkeit gerade nicht gut da. In ihr tobt ein harter Kampf um die zukünftige Ausrichtung - rechtskonservativ oder eher wirtschaftsliberal und eurokritisch? Nicht zuletzt aufgrund der großen Wahlerfolge des rechtskonservativen Lagers in Ostdeutschland im Herbst 2014 ist der wirtschaftsliberale Europaabgeordnete Lucke unter Druck. Einen Erfolg im großstädtischen Bremen könnte er da gut brauchen - allein um zu zeigen, dass nicht nur laute Islamkritik und rechtspopulistische Töne in die Parlamente führen.

Aus seinem Traum, die FDP als liberale Kraft zu beerben, wird wahrscheinlich in Bremen nichts. Dort könnte der FDP wie schon einige Monate zuvor in Hamburg der Einzug in die Bürgerschaft gelingen. Das wäre im roten Bremen eine kleine Sensation - bei der vergangenen Wahl erhielt sie gerade einmal 2,4 Prozent der Stimmen. Der Erfolg wäre vor allem der parteilosen Spitzenkandidatin Lencke Steiner zuzuschreiben. Die Jungunternehmerin schafft es - mal abgesehen von ein paar peinlichen Auftritten - ebenso wie die Hamburger Spitzenkandidatin Katja Suding, das neue Bild zu verkörpern, das die Partei von sich zeichnen will: jünger, weiblicher, sympathischer, aber trotzdem wirtschaftsliberal. Steiner ist zum Beispiel Quotengegnerin und Kritikerin der Rente mit 63 - wegen der Generationengerechtigkeit.

In Umfragen liegt die FDP in Bremen bei fünf bis sechs Prozent. Das hätte sich vor ein paar Monaten auch noch keiner träumen lassen.

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