Brexit:Warum Migranten in Großbritannien jetzt Angst haben

Lesezeit: 2 min

  • Nach dem Brexit-Referendum wird von einer hohen Zahl an fremdenfeindlichen Übergriffen berichtet.
  • Ein polnisches Kulturzentrum in London etwa wurde mit Parolen beschmiert, anderswo wurden xenophobe Flugblätter verteilt.
  • Londons Bürgermeister und der polnische Botschafter in London zeigen sich besorgt.

Von Benedikt Peters

Irgendwann am Sonntagnachmittag bekommt Ash McGregor eine SMS. "Ich bin sicher, du weißt, wie man ein Ticket für die Fähre nach Rotterdam bekommt, nach Holland, in die Niederlanden! Ich kauf' Dir gerne eins, oder willst Du gleich eines nach Hongkong?"

Seitdem, sagt Ash McGregor, hat er Angst. Wer der Absender war, weiß er nicht. Unterschrieben hatte nur "ein alter Freund aus Yorkshire" - obwohl es sich offensichtlich nicht um einen Freund handelte.

100 rassistische Vorfälle seit Brexit-Referendum

Es ist kein Zufall, dass McGregor die SMS am Sonntag bekam. Zwei Tage zuvor hatte Großbritannien für den Austritt aus der EU gestimmt. McGregor hat zwar einen britischen Pass, sein Vater ist Schotte. Doch seine Mutter kommt aus China. "Ich fühle mich seitdem ziemlich unsicher", sagt er. Der anonyme Schreiber nannte auch die Namen zweier Bekannter McGregors, die ebenfalls einen chinesischen Migrationshintergrund haben. Auch sie sollten das Land jetzt, nach dem Brexit-Votum, verlassen, heißt es in der SMS. Die drei Männer haben jetzt Angst davor, dass es nicht nur bei dieser Aufforderung bleibt.

Nach einer Statistik des Muslim Council of Britain hat es seit Freitag mehr als 100 Fälle gegeben, in denen ausländisch aussehende Menschen angepöbelt, bedroht oder beleidigt wurden. Auf Twitter haben Nutzer Vorfälle unter #PostRefRacism zusammengetragen - eine Abkürzung für "Rassismus nach dem Brexit-Referendum".

"Polnischer Abschaum raus"

Besonders häufig berichten sie von Übergriffen auf Polen. Ein polnisches Kulturzentrum im Londoner Westen wurde demnach mit fremdenfeindlichen Parolen beschmiert. In der westenglischen Kleinstadt Huntingdon fanden sich Flugblätter mit der Aufschrift "Polnischer Abschaum raus", "Weg mit den polnischen Schmarotzern". Polen sind die größte Einwanderergruppe in Großbritannien.

Allerdings trifft der Hass nicht nur sie, sondern potentiell jeden Migranten. Berichtet wird etwa von einem weißen Mann, der sich am Montag vor eine Schule stellte, auf die mehrheitlich muslimische Schüler gehen. Den vorbeigehenden Schülern und ihren Familien zeigte er triumphierend den erhobenen Zeige- und Mittelfinger - das Victory-Zeichen. Pakistani, Rumänen, Spanier - und sogar eine Schottin, die in Wales wohnt sind Anfeindungen ausgesetzt. Beim Brexit-Referendum hatten die Schotten mehrheitlich für den EU-Verbleib gestimmt, die Waliser für den Austritt.

Londons Bürgermeister ist besorgt

Auf Twitter kommen minütlich mehr Berichte hinzu. Viele Menschen mit Migrationshintergrund schreiben über ein Gefühl der Unsicherheit, wie es auch McGregor erfasst hat.

Bisher haben weder die britischen Polizeibehörden noch das britische Innenministerium bestätigt, dass es sich tatsächlich um einen Anstieg sogenannter "hatecrimes" (Hassverbrechen) handelt. So werden Straftaten genannt, die sich gegen Minderheiten richten - also zum Beispiel Angriffe auf Ausländer oder Homosexuelle.

Verschiedene NGOS und Behörden halten die Berichte für authentisch, darunter auch der Premierminister David Cameron. Er zeigte sich bestürzt über die Vorfälle. Auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan zeigt sich sehr besorgt. Khan, der selbst Muslim ist, habe nach eigenen Angaben die Londoner Polizei angewiesen, wegen eines möglichen Anstiegs der Hassverbrechen "besonders wachsam" zu sein. "Ich rufe alle Londoner dazu auf, zusammenzuhalten." Khans Verantwortung als Bürgermeister sei es, "Londons fantastischen Mix an Diversität und Toleranz zu verteidigen".

Sorge um die Zukunft Großbritanniens

Der polnische Botschafter in London hat ebenfalls reagiert. "Wir sind geschockt und tief besorgt wegen der fremdenfeindlichen Übergriffe auf die polnische Gemeinde und auf andere Menschen mit Migrationshintergrund", teilte er mit.

Ash McGregor hingegen sagt, die meisten Sorgen mache er sich gar nicht um sich selbst. "Die harte Debatte um den Brexit hat in meinen Augen dazu geführt, rassistische und fremdenfeindliche Aktionen in einer Weise zu legitimieren, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen habe. Die meisten Sorgen mache ich mir um meine Zukunft - und um die Zukunft Großbritanniens."

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