Brexit-Folgen:Streit über Nordirland spitzt sich zu

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Die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland haben seit dem Brexit wieder zugenommen. (Foto: Larissa Schwedes/dpa)

Die EU-Kommission will der britischen Regierung bei den Zollregeln entgegenkommen. Doch London verlangt bereits Änderungen, die Brüssel zu weit gehen.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Kommission versucht, den Streit um Zollbürokratie in Nordirland zu entschärfen, doch die britische Regierung setzt auf Eskalation. Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič stellte am Mittwochabend in Brüssel Erleichterungen vor, die nach Angaben der Behörde den bürokratischen Aufwand bei Zollerklärungen für britische Firmen halbieren würden. Die Zahl der Kontrollen von Lastwagenladungen an Nordirlands Häfen soll bei vielen Produktgruppen sogar um 80 Prozent sinken. Aber schon vor der Präsentation erhob London weitergehende Forderungen, die für Brüssel indiskutabel sind.

So sagte das britische Kabinettsmitglied Oliver Dowden am Mittwoch in einem Fernsehinterview, dass das bei den Brexit-Verhandlungen vereinbarte "Nordirland-Protokoll grundlegend geändert" werden müsse. "Ein großes Problem für uns" sei etwa die Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof bei Streitfragen das letzte Wort habe. Die Kommission schließt jedoch eine Neuverhandlung des Protokolls aus und beharrt auf der wichtigen Rolle für das Luxemburger EU-Gericht. Spitzt sich der Disput zu, könnte Brüssel schließlich Strafzölle verhängen.

Das Protokoll ist Teil des Austrittsvertrags, den EU und Großbritannien 2019 geschlossen haben, und soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Schließlich könnte es den Friedensprozess belasten, sollte die kaum wahrnehmbare Grenze wieder sichtbar werden. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich die einstige Unruheprovinz Nordirland trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Eine Folge ist, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Die neue Zollbürokratie führte dazu, dass einige Waren in Geschäften knapp wurden. Premier Boris Johnson und der zuständige Minister Lord David Frost verlängerten daher eigenmächtig Übergangsfristen, die Unternehmen die volle Härte des Zollregimes ersparen.

Frost hat Kommissions-Vize Šefčovič in dieser Woche eigene, weitergehende Reformideen unterbreitet. Die beiden Politiker sollen sich an diesem Freitag treffen und Verhandlungen beginnen. Ein Regierungssprecher in London sagte nach Šefčovičs Rede, man werde die Vorschläge "ernsthaft und konstruktiv prüfen". Frost hatte aber bei einem Auftritt am Dienstag gewarnt, dass er Artikel 16 des Protokolls nutzen werde, wenn keine Einigung in Sicht sei. Dieser Artikel erlaubt es, die Regelungen außer Kraft zu setzen, wenn sie zu wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen.

Ein Ex-Berater sagt, Boris Johnson habe das Protokoll nie richtig umsetzen wollen

Die kommenden Wochen würden entscheidend sein, sagte Frost, und es wäre eine "historische Fehleinschätzung", würde sich die EU einer grundlegenden Reform verweigern. Die EU könnte auf die Aktivierung von Artikel 16 nach einer Streitschlichtung mit Strafzöllen reagieren. In Brüssel gehen die meisten inzwischen davon aus, dass London diesen Weg zur Eskalation einschlagen wird.

Die Kommission sieht ihre Vorschläge nicht als unveränderlich, sondern als Verhandlungsgrundlage an. Zugleich sagte Šefčovič, dass er kein anderes Paket mehr vorlegen werde. Voraussetzung für die Zugeständnisse sei zudem, dass London seine ausstehenden Verpflichtungen aus dem Protokoll erfülle, etwa was den Bau von Grenzposten an Häfen angeht oder den Zugang der EU zu Zolldatenbanken.

Pikant ist, dass der ehemalige Chefberater von Johnson, Dominic Cummings, nun erklärte, die Regierung habe nie vorgehabt, das Protokoll wie mit der EU vereinbart umzusetzen. Der Plan sei gewesen, eine Einigung bei den Austrittsverhandlungen mit Brüssel zu erzielen und dann "die Teile, die uns nicht gefallen", loszuwerden, schrieb er auf Twitter.

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