Brexit-Folgen:Vorwärts in die Eskalation

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Am nordirischen Hafen Larne warnt ein Schild, es dürfe keine Zollgrenze in der Irischen See, also zum Rest des Königreichs, geben. (Foto: Clodagh Kilcoyne/REUTERS)

Die EU-Kommission will den Streit bezüglich Nordirlands am Mittwoch mit Vorschlägen entschärfen. Doch London macht bereits klar, dass dies nicht ausreicht. Warum sich der Konflikt weiter zuspitzt.

Von Björn Finke, Brüssel

Diese Woche sollte eigentlich etwas Entspannung im Zollstreit um Nordirland bringen. Das hoffte zumindest die EU-Kommission. Deren zuständiger Vizepräsident Maroš Šefčovič soll an diesem Mittwoch in Brüssel Ideen präsentieren, wie die Zollbürokratie für britische Unternehmen gemindert werden kann. Doch sein Gegenüber in London, Lord David Frost, machte bereits am Wochenende klar, dass es nicht mit Erleichterungen getan ist.

Stattdessen will die konservative britische Regierung das umstrittene Nordirland-Protokoll umschreiben, und sie stellt dabei Forderungen, die für Brüssel inakzeptabel sind. Der irische Außenminister Simon Coveney erkennt darin ein Muster der Briten: "Jedes Mal, wenn die Europäische Union neue Ideen und neue Vorschläge zur Lösung von Problemen vorlegt, werden sie vor ihrer Veröffentlichung abgewiesen, und das geschieht diese Woche schon wieder", klagte er am Montag.

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Frosts Vorpreschen weist darauf hin, dass London den Disput eskalieren lassen will. Die Briten könnten das ungeliebte Protokoll dann aussetzen. Damit würde ein längliches Streitschlichtungsverfahren beginnen, an dessen Ende die EU Strafzölle verhängen könnte. In jedem Fall würde so ein Drama die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien weiter belasten - und vielleicht auch den fragilen Friedensprozess in Nordirland.

Dabei wurde das umkämpfte Protokoll extra aufgesetzt, um den Frieden zu schützen. Die Regelungen sind Teil des 2019 vereinbarten Austrittsvertrags und sollen verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Schließlich könnte es Nationalisten in Nordirland, die für eine Vereinigung der Insel eintreten, zu Gewalt provozieren, sollte die kaum wahrnehmbare Grenze wieder sichtbar werden. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich die einstige Unruheprovinz trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Logische Folge ist allerdings, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Denn haben Lastwagen erst einmal die nordirischen Häfen verlassen, können sie ohne weitere Kontrollen in den Süden der Insel fahren, also in die EU, und von da per Fähre in die anderen Mitgliedstaaten.

Die neue Zollbürokratie bei Lieferungen aus dem Rest des Königreichs nach Nordirland führte schon dazu, dass einige Waren in Geschäften knapp wurden. Die nordirischen Unionisten, die für enge Bande mit dem Königreich eintreten, sehen diese Zollgrenze zwischen ihrer Provinz und dem übrigen Königreich zudem als Provokation an. Jeffrey Donaldson, der Chef der Unionistenpartei DUP, droht bereits, seine Minister aus der nordirischen Regierung zurückzuziehen. Premier Boris Johnson und sein zuständiger Minister Lord Frost verlängerten daher eigenmächtig Übergangsfristen, die Unternehmen die volle Härte des Zollregimes ersparen. Die Kommission strengte deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren an, pausierte dies aber im Sommer, um eine Verhandlungslösung zu finden.

London will das verhasste EU-Gericht loswerden

Ein wichtiger Teil dieser Lösung sollen die Vorschläge sein, die Kommissionsvize Šefčovič am Mittwoch präsentiert. Dem Vernehmen nach regt die Behörde zum Beispiel an, auf Produkten kenntlich zu machen, wenn sie nur für den nordirischen Markt bestimmt sind. Dann besteht kein Risiko mehr, dass sie in die Republik Irland gelangen - und damit in den EU-Binnenmarkt. Diese und andere Erleichterungen sollen Kontrollen und Bürokratiebelastung für Lieferungen nach Nordirland halbieren.

Lord Frost wird aber bei einer Rede am Dienstag in Lissabon seine Forderung wiederholen, dass dies nicht ausreiche und grundlegende Änderungen beim Protokoll nötig seien, etwa was die Rolle des Europäischen Gerichtshofs angeht. Entsprechende Auszüge des Manuskripts veröffentlichte die Regierung praktischerweise schon am Samstag. London lehnt es ab, dass der bei Brexit-Fans verhasste EuGH das Protokoll überwacht, und schlägt eine unabhängige Streitschlichtung vor. Doch für die Kommission ist das indiskutabel, da die Nordirland-Regeln Folgen für die Funktionsfähigkeit des EU-Binnenmarkts haben, des Herzstücks der europäischen Integration. Außerdem hat die britische Regierung dem Nordirland-Protokoll ja in genau dieser Form zugestimmt.

In seiner Rede wird Frost drohen, dass er keine Zeit für endlose Verhandlungen habe und bald Artikel 16 nutze werde, wenn keine Einigung in Sicht sei. Dieser Artikel des Protokolls erlaubt es, die Regelungen außer Kraft zu setzen, wenn sie zu sozialen oder wirtschaftlichen Verwerfungen führen. Die EU kann darauf nach einer Streitschlichtung mit Strafzöllen reagieren. In Brüssel gehen die meisten davon aus, dass London diesen Weg zur Eskalation einschlagen wird. Die Frage ist dann nur, ob und wie beide Seiten sich am Ende doch einigen können.

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