Großbritannien und EU:Brexit-Deal für Nordirland in Sicht

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Der britische Premier Rishi Sunak blickt einer Lösung der Frage des Warenverkehrs zwischen Großbritannien und Nordirland entgegen. (Foto: Henry Nicholls/Reuters)

Im Streit um Zollkontrollen soll es in den kommenden Tagen eine Einigung zwischen London und Brüssel geben. Doch zuvor muss Premier Sunak noch ein paar Probleme lösen.

Von Alexander Mühlauer, London

Sir Tim Barrow ist nicht nur nationaler Sicherheitsberater der britischen Regierung, er ist auch Experte europäischer Befindlichkeiten. Kaum jemand in London versteht besser, wie die Europäische Union tickt. Als ehemaliger Botschafter in Brüssel kennt er die Mechanismen und Eigenheiten des EU-Betriebs nahezu perfekt. Kein Wunder also, dass der britische Premier Rishi Sunak den Spitzenbeamten Barrow damit betraut hat, ein Problem zu lösen, das die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU noch immer belastet: die Brexit-Regeln für Nordirland. Wenn alles läuft wie geplant, könnte sich dieser Streit in wenigen Tagen lösen.

Nach monatelangen Verhandlungen liegt nun jedenfalls ein von Barrow mit vorbereitetes Papier auf dem Tisch, das alle Seiten zufriedenstellen soll. Laut britischen Medien will Sunak bereits am kommenden Dienstag einen Deal im Unterhaus verkünden. Ob es so kommt, ist allerdings völlig offen. Der Premier muss erst noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Bei den Unionisten in Belfast, bei der EU in Brüssel und nicht zuletzt bei den Hardcore-Brexiteers in London.

In nordirischen Häfen sollen nur noch Waren für Irland kontrolliert werden

Am Freitag führte Sunak in Nordirland Gespräche. Dort weigert sich die Democratic Unionist Party (DUP) seit der Regionalwahl im Mai 2022, eine Regierung in Belfast zu bilden. Der Grund ist das Nordirland-Protokoll, das Teil des Austrittsvertrags ist, den London und Brüssel geschlossen haben. Dieses Protokoll sieht vor, dass Nordirland nach dem Brexit de facto Teil des EU-Binnenmarktes bleibt, damit es keine Warenkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gibt.

Die DUP hält die Regelung, die der frühere Premier Boris Johnson ausgehandelt hat, für eine Katastrophe. Ihr Argument: Nordirland sei damit nicht mehr gleichberechtigter Teil des Vereinigten Königreichs. Im Grunde ist das jedoch die logische Folge von Johnsons Brexit-Deal: Waren, die von Großbritannien nach Nordirland kommen, müssen in nordirischen Häfen kontrolliert werden - schließlich könnten sie ansonsten ohne weitere Überprüfung nach Irland in den EU-Binnenmarkt gelangen.

Die britische Regierung hat deshalb unter Federführung von Barrow eine Regelung vorgeschlagen, die sich nun in Sunaks Deal mit der EU wiederfinden soll. Demnach sollen in nordirischen Häfen nur noch Waren vom Zoll kontrolliert werden, die für Irland und damit den EU-Binnenmarkt bestimmt sind - die Verhandler sprechen hier von einer red lane. All jene Güter, die in Nordirland bleiben, sollen nicht vor Ort kontrolliert werden - das wäre dann die green lane.

Neben den Zollkontrollen ist vor allem die Rolle des Europäischen Gerichtshof (EuGH) der Knackpunkt in den Verhandlungen. Die Hardcore-Brexiteers in Sunaks konservativer Partei wollen, dass der EuGH in Sachen Nordirland überhaupt nichts zu sagen hat. Die EU ist jedoch der Auffassung, dass der Gerichtshof selbstverständlich das letzte Wort über Fragen haben soll, die den EU-Binnenmarkt betreffen. Dem Vernehmen nach soll es nun in Sunaks Deal eine Art Beipackzettel geben, der die Rolle des EuGH erläutert. In London heißt es, dass das EU-Gericht ausschließlich in Fragen angerufen werden dürfe, die EU-Recht betreffen. Und auch dann erst, wenn der Weg über nordirische Gerichte ausgeschöpft sei.

Wird der Deal den Unionisten in Belfast reichen?

EU-Diplomaten gehen davon aus, dass eine mögliche Übereinkunft zwischen London und Brüssel weder vom britischen Unterhaus noch vom Europäischen Parlament genehmigt werden muss. Der Austrittsvertrag soll nicht verändert werden. Ob das den Unionisten in Belfast reicht, ist vollkommen offen. DUP-Chef Jeffrey Donaldson sagte nach dem Gespräch mit Sunak, es seien Fortschritte gemacht worden. Allerdings habe man noch keinen endgültigen Text gesehen, den man beurteilen könne. Es sei wichtig, sich nicht unter Druck setzen zu lassen, sondern "den richtigen Deal" zu schließen.

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Auch die Hardcore-Brexiteers unter den Tories bleiben skeptisch. Ihre Sorge ist groß, dass Sunak zu viele Zugeständnisse machen könnte. Der Premier will sich davon nicht beeindrucken lassen. In London heißt es, dass Johnsons Brexit-Vertrag nicht verändert werde, es gehe lediglich darum, den Menschen in Nordirland das Leben leichter zu machen, damit Waren aus Großbritannien ohne Kontrollen in die britische Provinz kommen können.

Sunak will am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen, um letzte politische Details auszuloten. Bereits am Freitag traf sich Außenminister James Cleverly mit Kommissionsvize Maroš Šefčovič in Brüssel. Cleverly twitterte, es sei "ein konstruktives Meeting" gewesen, man werde weiter intensiv an einer Lösung arbeiten.

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