Brexit:Nordiren spüren die Geister der Vergangenheit

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Der offene Grenzübergang bei Dundalk. Hier könnte bald wieder eine harte Grenze die zwei irischen Staaten voneinander trennen. (Foto: AFP)
  • Wegen des Brexits droht zwischen Irland und Nordirland eine neue Grenze zu entstehen.
  • Die Mehrheit der Bürger beider Länder will das verhindern. Ihre Sorge ist, dass der Brexit den Frieden zwischen Protestanten und Katholiken wieder gefährdet.
  • Irische und nordirische Unternehmen sind schon jetzt in großer Sorge. 35 Prozent aller irischen Exporte gehen ins Vereinigte Königreich.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel/Dublin

In Carrickcarnon wissen sie noch, wie es war, das ist es ja. Gerade mal 20 Jahre ist es her, da standen hier, an der Grenze zwischen Irland und Nordirland, bewaffnete Soldaten. Zollbeamte kontrollierten die Reisepässe und Autos all jener, die den Checkpoint passieren wollten. Wer heute auf der Straße von Dublin Richtung Belfast fährt, sieht davon nichts mehr. Die Grenze ist natürlich immer noch da, aber man spürt sie nicht.

Es gibt längst keine Zöllner mehr und auch der Lärm der Militärhubschrauber, die damals über den Grenzposten kreisten, ist verschwunden. Wenn es nach den Bewohnern des irischen Ortes Carrickcarnon geht, soll die Grenze so unsichtbar bleiben wie sie ist. Doch seit die Mehrheit der Briten für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gestimmt hat, sind sie wieder da: die Erinnerungen an die Grenze. Und mit ihnen die Angst, dass der Frieden doch nicht ewig währt.

Auch wenn 56 Prozent der Nordiren gegen den Brexit gestimmt haben, sind sie immer noch Teil des Vereinigten Königreichs. Es würde also in absehbarer Zeit eine neue klare Grenze geben: zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem Nicht-EU-Mitglied Nordirland. Wenn es etwas gibt, dass die Mehrheit der Bürger beider Länder verhindern will, dann ist es eine harte Grenze, wie es sie früher gab. Ihre Sorge ist, dass der Brexit den Frieden zwischen Protestanten, die wollen, dass Nordirland Teil des Vereinigten Königreichs bleibt, und Katholiken, die sich für ein vereinigtes Irland einsetzen, wieder gefährdet.

Der Konflikt war lange Zeit blutig, etwa 3500 Menschen kamen in den Unruhen ums Leben. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 ist es ruhiger geworden. Doch in Dublin und Belfast befürchtet man, dass den anderen EU-Staaten (und auch der Regierung in London) nicht bewusst ist, wie zerbrechlich dieser Frieden immer noch ist.

Aus Brüssel gibt es bislang nicht viel mehr als einen Tweet des Brexit-Chefverhandlers der EU-Kommission, auf den sich die Menschen stützen können. Er sei sich der irischen Sorgen bewusst, schrieb Michel Barnier. Und doch wirft die spezielle Beziehung zwischen Nordirland und Irland für ihn eine heikle Frage auf: Schaffen es die 27 EU-Staaten, vereint gegenüber der Regierung in London aufzutreten? Oder vertritt nicht doch jedes EU-Land am Ende seine Einzelinteressen?

Die Haltung der Regierung in Dublin ist jedenfalls eindeutig. Sie verweist auf die "einzigartige Situation" und die "spezielle Beziehung". Irlands Premierminister Enda Kenny will zwar keine harte Grenze, aber er ist hart in der Sache. Beim All-Island Civic Dialogue, einem irisch-nordirischen Bürgerforum, versprach er vergangene Woche, alles dafür zu tun, dass der Brexit den Friedensprozess nicht gefährde. "Ich sage allen Staats- und Regierungschefs, dass eine möglichst enge Beziehung mit dem Vereinigten Königreich im Interesse der EU ist", erklärte Kenny. An diesem Donnerstag trifft er EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel. Nächste Woche dann Ratspräsident Donald Tusk.

Mit der britischen Premierministerin Theresa May hat sich Kenny auf zwei Grundsätze geeinigt. Erstens: keine harte Grenze. Und zweitens: keine Einschränkung für den gemeinsamen Grenzraum zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich. Den Grenzraum, die sogenannte Common Travel Area, gibt es seit den 1920er-Jahren. Iren können frei nach Großbritannien reisen, dort arbeiten und umgekehrt. Dieses Abkommen ist auch als Protokoll in den EU-Verträgen festgehalten. Doch Großbritannien wäre nach einem Brexit eben nicht mehr Teil der EU.

Wer in Nordirland geboren ist, soll auch das Recht bekommen, EU-Bürger zu bleiben

Auch das Karfreitagsabkommen, das einst der Durchbruch auf dem Weg zum Frieden auf der Insel war, wollen Iren und Nordiren ins Post-Brexit-Zeitalter retten. Es besagt unter anderem, dass alle in Nordirland Geborenen das Recht auf die irische und britische Staatsangehörigkeit haben. Sie alle blieben also, sofern sie das wollen, nach einem Brexit EU-Bürger, obwohl ihr Land dann nicht mehr zur Union gehören würde. Das Abkommen schließt auch die Möglichkeit einer Wiedervereinigung mit Irland nicht aus, wenn sich die Mehrheit der Nordiren dafür aussprechen sollte.

Das alles sind Sonderrechte, die es in einem Brexit-Vertrag zu berücksichtigen gilt. In Brüssel sind sich die Unterhändler dessen bewusst. Doch bevor sie über diesen "Spezialfall" beraten, wollen sie den Briten erst einmal eine Rechnung präsentieren, die sich "gesalzen" hat, wie Juncker droht. Vor den Gesprächen über ein Handelsabkommen wollen die Brüsseler Unterhändler über Geld reden. Etwa die langfristigen finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens und die Frage, wie viel es das Land kostet, die Pensionen der EU-Beamten zu bezahlen, von deren Diensten auch das Vereinigte Königreich mal mehr, mal weniger profitiert hat.

Irische und nordirische Unternehmen sind schon jetzt in großer Sorge. Großbritannien will ja künftig nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion sein. Allein deshalb wird es schwierig, dass die Grenze so unsichtbar bleibt wie jetzt. Lkw und Züge müssten wieder kontrolliert werden. 35 Prozent aller irischen Exporte gehen ins Vereinigte Königreich. Auf sie könnten Zölle fällig werden.

Bis Ende März will die Londoner Regierung den offiziellen Austrittswunsch in Brüssel einreichen. Die Bewohner von Carrickcarnon werden dann auf die Straße gehen, wo einst die Grenzposten standen. Sie wollen daran erinnern, was Frieden in Europa für sie bedeutet.

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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