Johnson in Luxemburg:Sieht so der Brexit aus?

Großbritanniens Premier Johnson lässt eine Pressekonferenz platzen - sein luxemburgischer Amtskollege Bettel stellt sich alleine auf die Bühne. Das ärgert die Briten.

Von Thomas Balbierer

"Es ist an ... Mr. Johnson", sagt Xavier Bettel mit einer Kunstpause und deutet mit beiden Händen nach rechts. Doch wo man Mr. Johnson vermuten würde, steht nur ein leeres Rednerpult vor einer grünen Hecke. Der Redner ist offenbar abhandengekommen. Trotzdem fährt Luxemburgs Premier Bettel fort: "Er hält die Zukunft aller Briten in der Hand." Boris Johnson kann ihn da schon nicht mehr hören. Er hatte den luxemburgischen Regierungssitz wenige Minuten zuvor unter lautem Protest zahlreicher Demonstranten verlassen. Die nach dem Treffen geplante Pressekonferenz absolviert Bettel nun alleine.

Es ist ein Auftritt, der das vom Brexit zerrüttete Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien besser kaum illustrieren könnte. Am Montag traf sich Johnson mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Luxemburgs Premier, um über den britischen EU-Ausstieg zu diskutieren. Inhaltlich brachte der Termin nichts Neues. Doch die von Seltsamkeiten und Konflikten geprägte Geschichte des Brexit ist um eine Episode reicher. Denn Johnson, der sich zuvor noch mit dem grünen Comic-Helden "Hulk" verglichen hatte, sagte spontan eine geplante Pressekonferenz ab. Nach dem Treffen ging Johnson ohne einen Blick an den bereits aufgestellten Rednerpulten vorbei. Der Grund: Britische Demonstranten am Zaun des Regierungssitzes seien zu laut gewesen. Sie buhten Johnson aus und skandierten Sprüche wie "Stoppt den Brexit, Stoppt den Putsch". "Ich glaube, unsere Standpunkte wären da möglicherweise untergegangen", erklärte Johnson im Anschluss. Es wäre Bettel gegenüber nicht fair gewesen, die Pressekonferenz vor dieser Geräuschkulisse abzuhalten, schob er entschuldigend hinterher.

Bettel pochte auf das Austrittsabkommen - unter dem Jubel der Demonstranten

Doch Bettel schien der Lärm nichts auszumachen. Nachdem Johnson in seine Limousine gestiegen war, stellte sich der Luxemburger alleine an eines der Pulte und sagte: "Demonstrieren ist ein demokratisches Recht." Dann erklärte er, dass das vereinbarte Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien die einzige Lösung sei, die die Zustimmung aller 27 verbliebenen EU-Mitglieder sowie des Europäischen Parlamentes habe. In Johnsons Abwesenheit griff Bettel den Tory-Premierminister angesichts dessen ablehnender Haltung zum Backstop, der Lösung der irischen Grenzfrage, deutlich an. Die Menschen bräuchten "Klarheit, Sicherheit und Stabilität". "Man kann ihre Zukunft nicht für parteipolitischen Nutzen zur Geisel nehmen." Von den Demonstranten erntete Bettel Jubel und Zustimmung.

Das Bild vom leeren Rednerpult steht sinnbildlich für die Entfremdung zwischen der EU und Großbritannien. Viele Anhänger von Johnsons hartem Kurs sehen sich bestätigt, dass es dem Vereinigten Königreich außerhalb der EU besser gehen werde und man der Union keine Träne hinterherweinen müsse. Briten, die gegen den Austritt sind, werten Johnsons Verhalten als weiteren Beweis seines erratischen und zerstörerischen Regierungsstils. Und die EU steht, ähnlich wie Xavier Bettel, etwas verblüfft daneben, pocht auf die Einhaltung von Gesetzen und blickt mit einer Mischung aus Mitleid und Fassungslosigkeit auf die Nachbarn von der Insel.

In Großbritannien ist von einer gezielten Demütigung die Rede

Dort sorgt die Szene für Empörung. Die Boulevardzeitung Mirror schreibt, die Pressekonferenz sei "demütigend" gewesen und berichtet, Johnson habe Bettel um die Verlegung des Pressegesprächs nach drinnen gebeten. Doch dieser habe abgelehnt. Der Guardian meldet unter Berufung auf einen luxemburgischen Offiziellen, es habe keinen Raum gegeben, der für die vielen Medienvertreter groß genug gewesen wäre. "Es war wirklich nicht unsere Intention, Mr. Johnson bloßzustellen", zitiert ihn die britische Zeitung.

Dennoch ist ein Streit um die "Demütigung" des Premiers in Großbritannien entbrannt. Der Sun-Politikredakteur Tom Newton Dunn schreibt auf Twitter: Es sei schwer, sich etwas "Provokanteres" vorzustellen als Bettels Verhalten, an anderer Stelle ist von einem "Hinterhalt" die Rede. Ein Brexit-Aktivist erklärt nach der Aktion: "Ich wollte einen No-Deal-Brexit nie so sehr wie jetzt." In den sozialen Medien sprechen nun viele von einer kalkulierten Zurschaustellung durch die EU. Der Labour-Abgeordnete David Lammy hingegen betont, man könne nicht Brüssel für die Fehler des eigenen Landes verantwortlich machen. "Beschuldigt uns. Beschuldigt Westminster."

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