Brexit:Ein Albtraum namens Johnson

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Mit dem Rausschmiss der Brexit-Rebellen hat der Premier die Tories gespalten. Doch es gibt auch Hoffnung für seine Gegner: Hat er überzogen?

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Theresa May, die letzte Premierministerin, musste im Brexit-Streit immer wieder den Vorwurf hören, sie laviere zu sehr. Noch heute heißt es, sie hätte sich zwischen den Remainern und den harten Brexiteers in ihrer Partei entscheiden müssen und sei daran gescheitert, dass sie versucht habe, beide Seiten zufriedenzustellen - sowohl die EU-Freunde als auch die Verfechter eines bedingungslosen Austritts.

Wahr ist: May hatte Minister aus beiden Lagern in ihrem Kabinett, die sich bekämpften und oft illoyal waren. Aber am Ende brachte sie einen Deal mit Brüssel zustande. Und der wurde dann, absurd genug, unter anderem von jenen Hardlinern zu Fall gebracht, die jetzt in der Regierung sitzen.

Jetzt regiert Boris Johnson, und der hat von Anfang an auf ein eindeutiges Signal gesetzt: Er berief keine Remainer, nicht mal Anhänger eines weichen Brexits in sein Kabinett, sondern nur Ideologen des Austritts. Sein Beraterteam besteht aus überzeugten EU-Gegnern, denen das Schicksal der Konservativen Partei im Zweifel egal ist. Entscheidend ist für sie das gemeinsame Ziel: der harte Schnitt, No Deal.

Großbritannien
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Aber offenbar hat Johnsons Chefberater Dominic Cummings die Konservative Partei nicht verstanden. Und offenbar haben Brexiteers wie Parlamentsminister Jacob Rees-Mogg, der am Dienstagabend einen unhöflichen Auftritt im Unterhaus hinlegte, die Stimmung falsch interpretiert. 22 Parlamentarier - langjährige Parteimitglieder, ehemalige Kabinettsmitglieder, überzeugte Tories, Berühmtheiten wie der "Vater des Hauses" Kenneth Clarke und der Enkel von Winston Churchill, Nicholas Soames - haben mit der Opposition gestimmt.

Ihre prompte, brutale Abstrafung hat nun eine Empörung ausgelöst, wie es all die Lügen und Grobheiten von Johnson in den Wochen seit seinem Amtsantritt nicht vermocht haben. Die Tory-Abgeordneten wurden abgestraft, weil sie einem Gesetzesantrag zustimmen, der Johnson auffordert, mit Brüssel einen Deal zu schließen. Nur wenn er diesen Deal bis Mitte Oktober nicht macht, soll er, so sieht es der Antrag vor, die EU um einen Aufschub von drei Monaten bitten.

Johnson nannte diese Idee in seiner gestrigen Rede wütend "Selbstaufgabe", damit werde Brüssel die alleinige Macht übertragen Die Rebellen wollten den Brexit verhindern, wollten Labour an der Macht sehen. Er tobte und drohte. Rees-Mogg näselte und belehrte. Die Rebellen zeigten sich davon nicht beeindruckt, manche sagten später, dieses Verhalten habe sie in ihrer Haltung noch bestärkt.

Die Regierung wertete die Abstimmung über den No-Deal-Vermeidungsantrag als "Vertrauensabstimmung"; kurz nach dem Votum gingen die Fraktionsgeschäftsführer die Liste alphabetisch durch und informierten die Rebellen, sie seien raus. Manche erfuhren vom Ende ihrer Parteikarriere per SMS.

Stil und Umgang skandalös

Selbst Fans von Johnson finden, das gehe zu weit. Stil und Umgang seien skandalös. Gleichzeitig wird ganz klar, wohin die Reise geht: Der Premier will keine Zweifler mehr in seiner Partei haben. Er will eine Brexit-Partei daraus machen, die einerseits die echte Brexit-Partei von Nigel Farage herausfordern kann, andererseits alle Hardliner bei den Tories glücklich macht.

Der Preis ist ungeheuer hoch; derzeit ist die Partei de facto gespalten. Liberalere, EU-freundliche Wähler haben hier keine Heimat mehr. Die "nasty party", die gemeine Partei, wie die Tory-Party von ihren Gegnern genannt wird, hat ihr Gesicht gezeigt. Johnson hat viel Sympathie verspielt.

Doch es gibt auch Hoffnung. Einer der geschassten Rebellen, Ex-Entwicklungshilfeminister Rory Stewart, zeigte sich am Mittwochmorgen sicher, dass Johnson bald weg und der Albtraum vorbei sei. Dann werde er wieder als konservativer Kandidat antreten.

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