Brexit:Zwischen grüner Grenze und roten Linien

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Allgegenwärtiger Protest gegen den Brexit in der nordirischen Grenzstadt Newry. (Foto: Charles McQuillan/Getty Images)
  • Bislang stand die EU beim Brexit geschlossen hinter Irland. Doch die Einigkeit der Union bröckelt.
  • Das Signal in Richtung Dublin ist eindeutig: Irland soll nur nicht glauben, dass es bei einem ungeordneten Brexit auf Grenzkontrollen verzichten könnte.
  • Die EU will zunächst abwarten, was bis zum 29. Januar in London geschieht.

Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Auch Solidarität hat Grenzen. Wo diese genau verlaufen, muss in diesen Tagen Leo Varadkar lernen. Bislang konnte der irische Premierminister sich auf die anderen EU-Staaten verlassen; sie alle standen im Brexit-Streit an der Seite Dublins. Doch seit Varadkar klar gesagt hat, dass er "keinerlei Planungen" für die Möglichkeit einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland habe, macht sich in vielen Mitgliedstaaten Unmut breit, den Varadkar nun zu spüren bekommt. "Irland kann sich nicht an einem harten Brexit vorbeimogeln", sagt ein EU-Diplomat. Noch deutlicher wird der Chefsprecher der EU-Kommission, der auf die Frage, was im Fall eines No-Deal-Szenarios passieren würde, überraschend klar antwortet: "Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich: Es würde eine harte Grenze geben."

Das Signal in Richtung Dublin ist eindeutig: Irland soll nur nicht glauben, dass es bei einem ungeordneten Brexit auf Grenzkontrollen verzichten könnte. Doch mit dieser Haltung steuert die EU in der Irland-Frage auf ein Dilemma zu. Sie muss einerseits das Karfreitagsabkommen wahren, das eine gesicherte Grenze auf der irischen Insel einst Vergangenheit werden ließ. Andererseits gilt es, die Integrität des Binnenmarktes zu gewährleisten. Würde sich Dublin also im Fall eines ungeregelten britischen EU-Austritts am 29. März weigern, die Grenze zu Nordirland zu kontrollieren, müsste die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland einleiten. Schließlich hätten Schmuggler damit ein zollfreies Tor in die EU.

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Doch was passiert, wenn es wegen inneririschen Grenzkontrollen zu Unruhen oder gar Gewalt kommt? Das will sich in Brüssel, Berlin und anderswo niemand ausmalen. Nur: Die Gefahr droht, keiner kann sie ausblenden. Sie schwebt gewissermaßen über den festgefahrenen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union.

Die EU will zunächst abwarten, was bis zum 29. Januar in London geschieht. Dann soll es zum Showdown im britischen Unterhaus kommen. Und dann wird sich wohl auch zeigen, ob die Brexit-Verhandlungen weiter an der irischen Frage hängen - oder nicht. Besteht die britische Regierung weiter auf Änderungen beim Backstop, dürfte der Druck auf Irland auch innerhalb der EU steigen. Die Auffanglösung soll Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland verhindern. Kommt es zum Backstop, verbleibt Nordirland im Binnenmarkt und würde damit anders behandelt als der Rest des Königreichs. Nach Lesart der Brexiteers will die EU Großbritannien genau in diese Situation hineintreiben - und für immer darin gefangen halten.

Premierministerin Theresa May hatte deshalb immer wieder versucht, den Backstop zeitlich zu befristen. Doch darauf will sich die EU nicht einlassen, denn für Irland ist die Auffanglösung eine Art Friedensversicherung, damit es zu keiner gesicherten Grenze auf der irischen Insel kommt. Sollte sich diese Position verändern, müsste der Vorschlag aus Irland kommen, heißt es in Brüssel. Doch danach sieht es nicht aus.

Liebe Iren, es gibt keinen Spielraum

Wie verzwickt die Lage ist, zeigt sich am Mittwoch beim Auftritt von EU-Chefunterhändler Michel Barnier vor dem Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel. Die Wahrung des "fragilen Friedens" auf der irischen Insel sei stets eine Priorität der EU-27 gewesen, sagt er und schickt eine klare Botschaft nach Dublin: "Die Grenze zu Irland ist die Grenze zu all unseren Ländern." Alle EU-Außengrenzen "von Finnland bis Griechenland" würden streng überwacht, um Unternehmen und Bürger zu schützen und um etwa die Einfuhr von Tierseuchen zu verhindern. Die EU sei hierzu verpflichtet, sagt er und meint damit: Liebe Iren, es gibt keinen Spielraum.

Barnier, der an diesem Donnerstag von Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erwartet wird, macht erneut klar, dass die EU-27 das Londoner Nein zum Austrittsvertrag respektiert. Er beobachte, dass sich im Unterhaus eine Mehrheit gegen einen ungeordneten Austritt bilde: "Aber es reicht nicht, den No Deal abzulehnen. Es braucht eine positive Mehrheit für eine andere Lösung." Die EU sei bereit, bei der politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen noch ehrgeiziger zu sein, aber dafür müsse London seine roten Linien verändern. Großbritannien solle als "Nachbar und Verbündeter" eng mit der EU verbunden bleiben, sagt Barnier und warnt zugleich: Wenn London nicht mithilft, einen harten Brexit zu verhindern, dann fehlt das Vertrauen, eine solche Partnerschaft auszuhandeln.

Unterdessen stellt die EU-Kommission Pläne vor, wie europäische Fischer im Fall eines harten Brexit finanziell entschädigt werden können. Die Notfallmaßnahmen für ein No-Deal-Szenario werden immer konkreter. Noch im Januar sollen Experten der Kommission in die Hauptstädte der EU-27 reisen, um die dortigen Regierungen zu unterstützen. In Malta schmiedet Premier Joseph Muscat ganz eigene Pläne. Auf der Insel lebende Briten sollen bei einem No Deal ein Aufenthaltsrecht erhalten - und zwar für zehn Jahre. Muscat macht kein Geheimnis daraus, was hinter diesem Werben steckt: "Nach dem Brexit wollen wir das EU-Mitglied sein, das Großbritannien am besten behandelt."

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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