Brexit:Rückkehr der Untoten

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Hat bereits angekündigt, Mays Nachfolge antreten zu wollen: Der britische Ex-Außenminister Boris Johnson will Parteichef der Tories werden. (Foto: dpa)

Großbritanniens Führungsriege ist selbst schuld daran, dass der Horror vor dem unkontrollierten Austritt wieder da ist. Dass bestimmte Persönlichkeiten nicht von der politischen Bühne zu kriegen sind, hilft aber auch nicht.

Kommentar von Stefan Kornelius

In der Politik ist eines gewiss: Die Zeit steht nicht still, sie arbeitet - für oder gegen eine Idee, für oder gegen eine Person. Die Methode Aussitzen geht nicht wirklich, auch wenn es einem billigen Klischee entspricht, dass Politiker Probleme gerne einfach liegen lassen. Bundeskanzler Helmut Kohl, der als Meister aller Aussitzer verspottet wurde, verwendete sehr viel Energie darauf, seine Person unangreifbar zu halten.

Diese Fähigkeit ist Theresa May nicht gegeben, die britische Premierministerin hat außerdem ein Jahrhundertproblem zu bewältigen. Wer also glaubte, den Brexit könne man nach den kraftraubenden Wochen um den inzwischen verschobenen Austrittstermin am 29. März einfach mal ruhen lassen, der hat sich getäuscht. Zwei, drei Ereignisse haben ausgereicht, um die britische Staatskrise wieder voll zu entfachen und den Akteuren sowohl in London wie auch auf dem Kontinent klarzumachen, dass dieses Thema nach einer Lösung schreit.

Großbritannien
:Labour-Partei erklärt Brexit-Gespräche mit Regierung für gescheitert

Das teilt Parteichef Corbyn mit. Premierministerin May dürfte damit auch bei der vierten Abstimmung über ihren Brexit-Deal im Unterhaus scheitern.

Beschleuniger Nummer eins ist die Europawahl, die nun auch in Großbritannien abgehalten und dort zu einem jämmerlichen Ergebnis führen wird. Entgegen aller Rationalität scheinen die Anhänger einer EU-Mitgliedschaft nicht zur Wahl gehen zu wollen. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass ihr Votum zugunsten einer proeuropäischen Kraft in der innenpolitischen Logik als Votum gegen den Brexit interpretiert würde. Fairerweise muss man sagen, dass außer den LibDems keine Partei eine Plattform bietet, wo sich diese Wähler - es müsste knapp die Hälfte der Wahlbevölkerung sein - zu Hause fühlen dürfen.

So also wird das unerträgliche Stehaufmännchen Nigel Farage mit höhnischem Lachen auf dem Siegerpodest stehen und den Freunden des harten Austritts neue Hoffnungen bescheren. Offenbar ist es leichter, einen Vampir zu töten, als die Idee der imperialen Wiedergeburt Großbritanniens aus der Welt zu schaffen.

Beschleuniger Nummer zwei hat, wieder einmal, die Premierministerin geliefert. Ohne echte Not kündigte sie an, sie werde einen Zeitplan für ihren Abgang vorlegen, sollten die Konsensgespräche mit Labour scheitern. Die Gespräche scheiterten dann natürlich, weil die Hardliner bei den Tories die Chance sahen, May loszuwerden und sich ihrer Lieblingsbeschäftigung widmeten: Personalkegeln. Britische Politik scheint sich auf Intrigen, Machtspiele und Postenschiebereien zu reduzieren. Boris Johnson jedenfalls gehört auch zu jenen Untoten, die sich zum Machtkampf zurückmelden.

Labour hat sich keinen Gefallen getan, die Gespräche mit May über einen gemeinsamen Austrittsplan für beendet zu erklären. Ja, die Premierministerin ist schwach, vermutlich hatte sie Schwierigkeiten, ihre Zusage über eine Zollunion mit den nötigen Stimmen zu unterfüttern. Aber nun dräut das viel größere Desaster: ein vom Machtkampf bei den Tories geschwängerter Sommer, die Machtübernahme der Hardliner und eine Radikalisierung, die am Ende doch zu einem unkontrollierten Brexit führen kann.

Für dieses Szenario hat übrigens die Europäische Union die Uhr gestellt. Die Verlängerung des Austrittsprozesses läuft bis zum 31. Oktober. Es sieht nun nicht mehr danach aus, als könne oder wolle Großbritannien um einen neuerlichen Aufschub bitten.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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