Brexit:Geeinigt aus Erschöpfung

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Die britische Premierministerin Theresa May und EU-Komissionspräsident Jean-Claude Juncker. (Foto: REUTERS)

Die Vereinbarungen mit der EU erkaufen den Briten vor allem eines: Zeit. Erst einmal ändert sich nichts, am Ende steht - vielleicht - ein Freihandelsvertrag, May kann mit dieser Lösung leben. Und die EU?

Kommentar von Stefan Kornelius

So etwas wie einen Erschöpfungsbruch gibt es auch in der Politik: Irgendwann mögen die alten Knochen nicht mehr und geben nach. Irgendwann ist genug gestritten, gesagt und gerungen - und man möchte nur noch eine Entscheidung haben.

In der Brexit-Saga ist dieser Moment nun erreicht. Theresa May hat mit einer bemerkenswerten Dickhäutigkeit ihre Vorstellung eines Austritts aus der Europäischen Union in zwei Dokumente gepackt. Mit höchster Wahrscheinlichkeit werden die Staats- und Regierungschefs der EU diesem Plan zustimmen. Dann liegt es am britischen Parlament, Ja oder Nein zu sagen - mit allen Konsequenzen.

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Die Wucht des Augenblicks ist seiner Klarheit zu verdanken: ja oder nein. Es ist diese Klarheit, die Theresa May plötzlich stark macht und ihre Widersacher schwach. Sie verspricht eine Lösung, die Gegner des Austrittsvertrags versprechen Chaos und Probleme für das Vereinigte Königreich. So simpel kann die Welt sein. Wehe dem, der diese Wahl hat.

Reduziert auf ja oder nein wirken die Scheidungsvereinbarung und die politische Absichtserklärung wie simple Handreichungen auf dem Weg in eine idyllische Zukunft. Theresa May flankiert die Abmachungen auch stets mit den gleichen Versprechungen: Großbritannien kontrolliert wieder seine Grenzen, sein Geld und seine Gesetze.

Wer genauer hinschaut, sieht natürlich, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil. Die EU ist nicht ohne Grund so schweigsam. Triumphgeheul könnte den Sieg kosten. Sowohl der Austrittsvertrag wie auch die Erklärung über die politische Zukunft lassen sich nämlich auf drei simple Sätze reduzieren: Erst einmal ändert sich nichts, dann wird weiter verhandelt, und am Ende steht vielleicht ein Freihandelsvertrag, der Großbritannien mehr oder weniger an die EU bindet.

Diese Lösung ist gemessen an den politischen Vorgaben des britischen Wahlvolks vernünftig und lässt den bestmöglichen Spielraum für eine Beziehung zum Vorteil aller. Mays Plan ist dabei leicht zu durchschauen: Die Premierministerin braucht Zeit, damit sich das politische Klima im Land beruhigt. Dann wird man über die endgültige Verbindung zur EU reden können.

Drei Indizien für diese Taktik finden sich in der politischen Erklärung: Erstens lassen sich die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen verlängern, May nimmt den Gesprächen also den Druck, den der Austrittsartikel 50 der EU geschaffen hat. Und zweitens findet sich der Hinweis auf eine "ehrgeizige Zoll-Vereinbarung", mit der sich die Grenzfrage in Nordirland technisch lösen lässt. Drittens übernimmt May verklausuliert ein paar Forderungen ihrer Gegner - wohl wissend, dass die politische Erklärung nicht rechtlich bindend ist.

May kann mit dieser Lösung leben, die EU kann es auch. Bleibt das Parlament, von dem man weiß, dass man nichts weiß. Bis zur Abstimmung werden Wochen vergehen, in denen noch ein paar Knochen aus schierer Erschöpfung brechen werden. Sicher ist auch hier: Am Ende muss abgestimmt werden. Ja oder nein, eine simple Wahl.

Die Briten sind ausgelaugt, die EU ist es auch. Es ist also gut möglich, dass die Klarheit des Sondergipfels die Nebelsuppe über London lichtet und zur Einsicht verhilft, dass nun genug verhandelt wurde. Mays Gegner mussten in dieser Woche bereits kapitulieren, mangels Beteiligung fiel ihr Misstrauensvotum aus.

© SZ vom 23.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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