EU-Austritt Großbritanniens:Das steht in der "politischen Erklärung" zum Brexit

EU-Austritt Großbritanniens: Noch ist unklar, ob das britische Unterhaus dem Austrittsvertrag zustimmt.

Noch ist unklar, ob das britische Unterhaus dem Austrittsvertrag zustimmt.

(Foto: AFP)

Am Sonntag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten über die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich abstimmen. Bei zwei heiklen Themen müssen noch Kompromisse gefunden werden.

Von Matthias Kolb, Brüssel

36 Seiten umfasst der Entwurf der "politischen Erklärung", auf die sich die Verhandlungsteams geeinigt haben und die EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker an EU-Ratspräsident Donald Tusk geschickt hat. Es geht um die künftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich in der Zeit nach dem Brexit, der am 29. März 2019 vollzogen wird.

Anders als der 585 Seiten lange Austrittsvertrag, auf den sich beide Seiten vor einer Woche geeinigt haben, ist dieses Dokument nicht völkerrechtlich bindend. Weil es sich um eine Absichtserklärung handelt, haben die Politiker mehr Spielraum, um der innenpolitisch enorm unter Druck stehenden britischen Premierministerin Theresa May zu helfen, eine Mehrheit im Parlament in London zu finden.

May wird am Samstag erneut zu Juncker nach Brüssel reisen, um die zwei verbliebenen kniffligen Themen zu lösen: Spanien verlangt ein Veto-Recht für das britische Überseegebiet Gibraltar und droht weiterhin mit einem "nein". Im britischen Parlament verteidigte May das Austrittspaket am Donnerstag als einen "sehr guten Deal für das Vereinigte Königreich". Im Streit um Gibraltar habe sie dem spanischen Ministerpräsident Pedro Sánchez zu verstehen gegeben, dass die britische Zugehörigkeit Gibraltars verteidigt werde.

Zudem fordern Belgien, Dänemark, Portugal und Frankreich Zugang zu den britischen Gewässern für ihre Fischereiflotten. EU-Diplomaten hoffen, dass rechtzeitig Kompromisse - etwa durch Zusatzprotokolle oder ergänzende Texte - gefunden werden, ehe die Staats- und Regierungschefs der EU-27 am Sonntag zum Sondergipfel eintreffen, um das Paket zu billigen.

Die größte Hürde wäre dadurch aber nicht beseitigt: Bisher ist weiter völlig offen, wie es May gelingen soll, genügend Abgeordnete ihrer eigenen Partei beziehungsweise aus der Labour-Opposition von diesem Deal zu überzeugen. Voraussichtlich Mitte Dezember stimmt das Unterhaus ab, anschließend muss noch das Europäische Parlament sein Okay geben. Im Gegensatz zur Situation in London gilt ein positives Votum im EU-Parlament als sehr wahrscheinlich.

Der Oppositionsführer im britischen Parlament, Labour-Chef Jeremy Corbyn, griff May scharf an. Die Erklärung sei ein "Zeugnis über das Versagen" der Regierung und enthalte seitenweise "leeres Geschwafel". Er kündigte an, seine Fraktion werde das Abkommen nicht unterstützen.

Die wichtigsten Inhalte der Erklärung über die künftigen Beziehungen von EU und Großbritannien im Überblick:

In der Einleitung halten die Partner fest, dass sie eine "ehrgeizige, breite, tiefe und flexible Partnerschaft" anstreben. Hier geht es also ums Grundsätzliche. EU und London bekennen sich zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Multilateralismus und wollen hohe Standards bei "freiem und fairen Handel, den Rechten von Arbeitnehmern sowie Verbraucher- und Umweltschutz" erhalten. Wohl um May zu helfen, den Deal durchs Parlament zu kriegen, wird das Ergebnis des Brexit-Referendums "respektiert". Explizit erwähnt wird auch, dass die Personenfreizügigkeit zwischen Großbritannien und der EU-27 beendet wird und London künftig seine eigene Handelspolitik bestimmen kann.

Das heikle Thema Nordirland wird an drei Stellen erwähnt. In Absatz 19 betonen beide ihre "Entschlossenheit", die umstrittene "Auffanglösung" (Backstop) durch ein Folge-Abkommen mit "alternativen Maßnahmen" überflüssig zu machen, mit dem eine Grenze mit Schlagbäumen und Kontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland verhindern werden soll. Um den fragilen Frieden, der seit dem Karfreitagsabkommen 1998 besteht, nicht zu gefährden, wollen beide Seiten das "Peace Plus"-Programm zur Aussöhnung weiter finanzieren. Auf Seite 25 wird nochmals die Bedeutung der Nordirland-Frage betont. So wird May versuchen, die zehn nordirischen Abgeordneten der DUP, die ihre Mehrheit im Unterhaus stützen, zu überzeugen.

Im Kapitel zu den Wirtschaftsbeziehungen wird die "Schaffung eines Freihandelsgebiets" ohne Zölle, Abgaben und mengenmäßige Beschränkungen angestrebt. Ob Zoll- oder sonstige Kontrollen nötig sein werden, hänge von den "Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs" in den künftigen Verhandlungen ab, heißt es im Text, in dem als Ziel eine "ehrgeizige, weitreichende und ausgewogene wirtschaftliche Partnerschaft" genannt wird. Hier wird gerade Deutschland darauf achten, dass die Integrität des Binnenmarkts gewahrt bleibt.

Um die Beeinträchtigungen für die Bürger so gering wie möglich zu halten, sollen für "kurzzeitige Besuche" visafreie Reisen möglich sein und Diskriminierungen vermieden werden. Angestrebt wird auch, dass das Vereinigte Königreich weiterhin an EU-Programmen für Wissenschaft, Bildung, Jugend- und Kulturförderung teilnimmt - die "fairen und angemessenen finanziellen Beiträge" müssen wie so vieles in diesem Dokument noch ausgehandelt werden. Für die Koordination dieser Gespräche soll ein "Gemeinsames Komitee" eingerichtet werden. Außerdem sollen hochrangige Vertreter beider Seiten "mindestens alle sechs Monate" über Fortschritte und beraten.

Im Kampf gegen internationalen Terrorismus, illegale Migration sowie bei der Strafverfolgung und in Justizfragen wollen EU und das Vereinigte Königreich möglichst eng kooperieren. Ähnliches gilt für den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, wo sich beide Seiten gemeinsam gegen Cyber-Attacken, Desinformationskampagnen sowie die Erosion der regelbasierten internationalen Ordnung schützen wollen. Im Rahmen von internationalen Institutionen wie Nato und UN soll der Schulterschluss gesucht werden. Zudem bekennen sich beide Seiten zum Pariser Klimaabkommen. Großbritannien soll auch die Möglichkeit bekommen, sich an der Pesco-Militärinitiative der EU zu beteiligen.

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