Europäische Union:"Ernste Divergenzen" mit London

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Der britische Verhandler David Frost (links) zu Gast in Brüssel. (Foto: AP)

Die Brexit-Gespräche zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU enden vorzeitig - doch es gibt Hoffnung.

Von Björn Finke, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London, Brüssel/London

Wenn Verhandlungen für fünf Tage angesetzt sind und nach vier Tagen ohne greifbares Ergebnis beendet werden, wirft das beunruhigende Fragen auf. EU-Chefunterhändler Michel Barnier und sein britisches Gegenüber David Frost diskutierten von Montag bis Donnerstag in Brüssel über die künftigen Beziehungen zwischen der Union und dem Königreich. Ursprünglich sollte die Runde bis Freitag andauern, doch das Duo machte vorzeitig Schluss. Barnier betonte am Freitag, dass die Atmosphäre gut gewesen sei. Beide Seiten hätten allerdings gemerkt, dass sie zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu Bereden gehabt hätten, sagte der Franzose nach Angaben von Teilnehmern eines Briefings für Europaabgeordnete. Am Dienstag und Mittwoch gehen die Gespräche in London weiter.

Die schöne Atmosphäre ändert freilich nichts an der schwierigen Lage - wobei es bei einzelnen Punkten offenbar Bewegung gibt. Nach der Verhandlungsrunde ließ Barnier mitteilen, es blieben "ernste Divergenzen" zwischen beiden Parteien. Er wiederholte die drei wichtigsten Forderungen der EU: So soll zollfreier Handel nur gewährt werden, wenn London garantiert, nicht Sozial- und Umweltstandards oder Regeln für Subventionen abzuschwächen. Denn dies würde das "Level Playing Field" gefährden, also faire Spielregeln und fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen in der Union und im Königreich. Außerdem verlangte Barnier eine "ausgewogene Lösung" für Europas Fischer und betonte, dass die EU nicht viele getrennte Abkommen mit den Briten abschließen wolle, sondern es für die Vereinbarungen einen überwölbenden Rahmen geben müsse, inklusive "wirksamen Verfahren zur Streitschlichtung".

Boris Johnson hält sich einen No-Deal-Brexit nach wie vor offen

Alle drei Themen sind umstritten; so will Großbritanniens Premier Boris Johnson verhindern, dass sein Land weiter EU-Standards und -Vorgaben beachten muss. Zudem ist es ihm wichtig, dass die Fangquoten für die fischreichen britischen Gewässer zugunsten heimischer Flotten geändert werden. Bislang legt die EU in ihrer Gemeinsamen Fischereipolitik fest, dass britische Fischer in ihren eigenen Gewässern vergleichsweise wenig fangen dürfen - zum Vorteil von Flotten aus EU-Staaten. So holen deutsche Hochseefischer ihren kompletten Nordsee-Heringsfang aus britischem Seegebiet. Die Verhandlungsposition der EU ist bisher, dass diese günstige Verteilung so bleiben soll. London lehnt das ab. Doch offenbar will Barnier Johnson entgegenkommen.

Wie es in Brüssel heißt, ist die Kommission nun bereit, in Debatten über Fangquoten für einzelne Fischarten in manchen Seegebieten einzusteigen. Barnier sagte nach der Verhandlungsrunde nur, die EU habe "aufmerksam zugehört", was Johnson wichtig sei - und als ein Beispiel dafür führte er an, dass Johnson den heimischen Fischern zeigen wolle, "dass der Brexit einen echten Unterschied macht". Zugleich betonte der frühere Binnenmarkt-Kommissar, er erwarte, dass sich London ebenfalls bemühe, die Positionen der EU besser zu verstehen und zu respektieren.

Barnier und Frost haben nicht mehr viel Zeit: Die Briten haben die EU am 31. Januar verlassen, aber bis Jahresende läuft die Übergangsphase, während der das Königreich in Binnenmarkt und Zollunion bleibt. Johnson schließt aus, diese Übergangsphase zu verlängern. Daher würden am 1. Januar 2021 Zölle und Zollkontrollen eingeführt, wenn sich London und Brüssel nicht rechtzeitig auf einen Handelsvertrag einigen.

Immerhin sieht es so aus, als gebe es auch aufseiten der Briten Bewegung. Frost sprach zwar von "wesentlichen Differenzen", bezeichnete die Gespräche aber als "nützlich". Dem Vernehmen nach ist London dazu bereit, im Streit über Wettbewerbsbedingungen auf die EU zuzugehen. Dafür wird aber eine klare Voraussetzung genannt: Brüssel müsse damit aufhören, bei jedem möglichen Streitfall auf ein letztes Wort des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu pochen. In Verhandlungskreisen wird daher über das Modell eines Schiedsgerichts nachgedacht, das paritätisch von Abgesandten des EuGH sowie des britischen Supreme Courts besetzt werden könnte. Dieses Gremium würde auch über die Einhaltung eines fairen Wettbewerbs richten. Kommt es zu keiner Einigung, gäbe es die Möglichkeit von Vergeltungszöllen, heißt es. Doch zunächst einmal bräuchte es gemeinsame Regeln.

Johnson sagte am Freitag, dass ein gutes Abkommen erreicht werden könne. Sollte dies nicht möglich sein, gebe es "die sehr gute Option eines Arrangements im australischen Stil". Australien hat mit der EU allerdings keinen Freihandelsvertrag. Johnson hält sich also die Möglichkeit eines No-Deal-Brexit nach wie vor offen.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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